Ob in Italien oder auf Island – an mehreren Orten der Welt ereignen sich oder drohen zurzeit Vulkanausbrüche. Ist das noch normal?
FaktencheckGibt es dieses Jahr mehr Vulkanausbrüche als sonst?
Wird er oder wird er nicht ausbrechen? Forscherinnen und Forscher weltweit blicken gespannt nach Island, wo Tausende Erdbeben in den vergangenen Tagen einen neuen Vulkanausbruch wahrscheinlich machen.
Unter der Stadt Grindavík auf der Reykjanes-Halbinsel südwestlich von Reykjavík ist ein unterirdischer Magmatunnel entstanden, der bald die Oberfläche durchbrechen könnte. Bis das Magma die Erdoberfläche erreicht, werde es nur noch wenige Tage dauern, warnt der isländische Wetterdienst.
Ätna spuckt wieder Lava und Asche
Derweil spuckt der Ätna, Europas größter aktiver Vulkan, schon wieder Lava und Asche aus. Auf mehrere Städte in der Umgebung wie Milo und Zafferana Etnea ging in den vergangenen Tagen Ascheregen nieder. Größere Schäden gab es jedoch keine. Inzwischen hat sich die Lage wieder etwas beruhigt, berichtete das italienische Institut für Geophysik und Vulkanologie (IGNV) in Catania.
Nicht nur den Ätna haben die Expertinnen und Experten dort genau im Blick, sondern auch die Phlegräischen Felder. Ein insgesamt 150 Quadratkilometer großes Areal aus Dellen und Kratern, zu großen Teilen im Meer versteckt – ein Supervulkan.
„Das ist wahrscheinlich der bestbeobachtete Vulkan der Welt“, sagte Geophysiker Giovanni Macedonio vom IGNV. Der letzte Ausbruch auf den Phlegräischen Feldern war 1538. Damals hatte sich der Boden über einen Zeitraum von 70 Jahren durch Magmaschübe nach und nach um mehrere Meter angehoben.
Das beobachten die Forscher und Forscherinnen auch jetzt: Seit sieben Jahrzehnten wölbt sich der Boden wieder. Heißt: mehr Spannung, mehr Risse, mehr Brüche, mehr Beben – bis es irgendwann vielleicht zu viel wird. Aber wann, was und ob überhaupt etwas passieren wird, weiß niemand.
2023 bisher 78 bestätigte Vulkanausbrüche
Es wirkt so, als seien die Vulkane weltweit in diesem Jahr so aktiv wie schon lange nicht mehr. Unmöglich wäre das nicht, schließlich ist bekannt, dass der Klimawandel Vulkanausbrüche wahrscheinlicher macht – und umgekehrt Vulkanausbrüche zum Klimawandel beitragen. Ein Teufelskreis.
Doch die Wahrheit ist: „Insgesamt ist das Niveau der globalen Aktivität bislang recht normal oder sogar eher niedrig“, sagt Ed Venzke, Datenbankmanager für das Global Volcanism Program (GVP) der US-amerikanischen Smithsonian Institution. Seit 1968 sammelt das Institut Daten zu Vulkanausbrüchen.
Gelistet hat das GVP für dieses Jahr bisher 78 bestätigte Vulkanausbrüche (Stand: 15. November). Nicht alle davon haben aber in diesem Jahr begonnen. Mancher Vulkan auf der Liste ist schon seit Jahrzehnten aktiv – so wie der Dukono in Indonesien, bei dem Forschende seit August 1933 regelmäßig Ascheexplosionen und Aschefahnen beobachten. Nur 28 der 78 Ausbrüche begannen in diesem Jahr.
Vulkanausbrüche werden schneller entdeckt und gemeldet
Der Blick auf die Zahlen verrät, dass in diesem Jahr bisher sogar weniger Vulkane ausgebrochen sind als im vergangenen Jahr. Damals zählte das GVP des Smithsonian 85 Eruptionen, 33 davon waren neu. Noch weiter in der Zeit zurückgeblickt, ergibt sich folgendes Bild:
Auf den ersten Blick könnte man bei diesem Anstieg der Vulkanausbrüche meinen, „dass der Planet bald von vulkanischer Aktivität überschwemmt werden könnte“, heißt es auf der Internetseite des GVP. Doch auch das ist ein Trugschluss.
Denn dass die Vulkanausbrüche in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen haben, ist in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass die Weltbevölkerung gewachsen ist. Die Zahl der Menschen, die in der Nähe eines Vulkans leben, ist gestiegen. Das heißt: Mehr Augen entdecken und melden mehr Vulkanausbrüche.
Gleichzeitig haben sich die Meldewege verbessert. Erdbeobachtungssatelliten übermitteln fortlaufend Bilder von der Erde, so können Forschende schneller Eruptionen aufspüren. „Diese kollektiven ‚Augen am Himmel‘ haben Ausbrüche entdeckt, über die sonst vielleicht nicht berichtet worden wäre“, erklärt das GVP. Mit dem weltweiten Internetzugang können zudem Berichte von Vulkanausbrüchen schnell und einfach über Ländergrenzen hinweg übermittelt werden.
Was die Forschenden auch festgestellt haben: Krisen und Kriege nehmen Einfluss auf die Meldezahlen. Einer der stärksten Rückgänge bei der Berichterstattung über Vulkanismus erfolgte zum Beispiel 1929 nach dem Börsencrash und während der darauffolgenden Großen Depression.
Auch der Erste und Zweite Weltkrieg sorgten für „Täler“ in den Ausbruchszahlen. Die Erklärung dafür ist einfach: „Die Menschen waren mit anderen Dingen beschäftigt“, als eruptierende Vulkane zu melden, schreiben die Expertinnen und Experten.
Mensch kommt Vulkanen immer näher
Dass in diesem Jahr weniger Vulkanausbrüche stattfanden als im Vorjahr, sei aber noch nicht als Trend zu werten, sagt Christoph Helo, Geowissenschaftler und Vulkanologe von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Er spricht vielmehr von einer „Streuung“ beziehungsweise von „Schwankungen“. „Dieses Jahr sind es weniger Ausbrüche, nächstes Jahr kann es schon wieder ganz anders aussehen.“
Genaue Prognosen können Expertinnen und Experten nicht abgeben, denn die vulkanischen Aktivitäten sind ziemlich komplex. Sie seien eingebunden in ein „gesamtes, geodynamisches System“, erklärt Helo.
Neben der Mantelkonvektion, also Fließbewegungen von an sich festem Gestein im Erdmantel, spielen etwa auch Plattenverschiebungen bei Vulkanausbrüchen eine Rolle. Diese unterschiedlichen Einflussfaktoren machen es unmöglich, die Häufigkeit von Eruptionen vorherzusagen.
Es lässt sich daher auch nicht prognostizieren, ob Vulkanausbrüche für den Menschen in Zukunft gefährlicher werden. Was sich jedoch festhalten lässt, ist: Der Mensch kommt Vulkanen immer näher – notgedrungen muss man sagen. Denn die wachsende Weltbevölkerung braucht mehr Lebensraum und damit rücken Städte und Siedlungen immer dichter an Vulkangebiete heran.
Und gleichzeitig nehme mit dem Klimawandel die Verletzlichkeit des Menschen zu, sagt Vulkanologe Helo. Der Klimawandel wird zum Gesundheitsrisiko, er bedroht Existenzen, zerstört Ökosysteme und Lebensräume. „Das heißt, wir werden womöglich verletzbarer, was einzelne Vulkanausbrüche angeht, die vor hundert Jahren vielleicht noch kein Risiko dargestellt hätten.“ (mit dpa)