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Interview mit Peter Altmaier„Die finanziellen Reserven sind bei vielen erschöpft”

Lesezeit 7 Minuten
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Peter Altmaier

  1. Wirtschaftsminister Peter Altmaier fürchtet, dass die Corona-Pandemie vollends außer Kontrolle geraten könnte.
  2. Im RND-Interview fordert er schnelle und harte Maßnahmen, um die zweite Welle zu brechen.
  3. Lesen Sie im Interview, welche Hilfen er betroffenen Unternehmen und Selbständigen zusagt.

Herr Altmaier, Deutschland diskutiert über einen harten Lockdown. Wie schädlich wäre der für die Wirtschaft?

Die Ausbreitung der Pandemie hat sich dramatisch beschleunigt: Auf fast 30.000 Neuinfektionen und fast 600 Tote an einem Tag. Die bisherigen Einschränkungen haben das Infektionsgeschehen also nur kurzfristig, aber nicht nachhaltig und nicht stark genug gebremst. Wir brauchen sehr schnell zusätzliche und wirksame Maßnahmen um die Welle zu brechen und das Infektionsgeschehen wieder kontrollierbar zu machen. Der Schutz der Gesundheit von Millionen Bürgern lässt uns keine Wahl. Ein ständiges Hin und Her würde die Wirtschaft aber viel stärker in Mitleidenschaft ziehen, als klare effektive Maßnahmen, die ihr Ziel erreichen.

Halten Sie eine bundesweite Schließung des Einzelhandels vor Weihnachten für denkbar?

Sachsen, wo die Infektionen derzeit am höchsten sind, hat das bereits beschlossen. Wir brauchen aber auch anderswo weitere Einschränkungen noch vor Weihnachten. Das ist mit das wichtigste Thema, das wir mit den Bundesländern klären müssen. Ich wünsche mir schnelle und gemeinsame Entscheidungen, denn niemand hat Verständnis, wenn vergleichbare Sachverhalte ganz unterschiedlich behandelt werden.

Bislang wollen viele Ministerpräsidenten das Land erst nach Weihnachten herunterfahren.

Das Infektionsgeschehen hat sich wie gesagt in den letzten drei Tagen dramatisch beschleunigt. Wir sind wieder in einer Phase exponentiellen Wachstums und sehen, dass die ersten Intensivstationen an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen. Wir können deshalb auf gar keinen Fall bis nach Weihnachten warten, ehe wir darauf reagieren. Wir müssen jetzt klären, wie es weitergeht. Sonst gerät der Pandemie-Verlauf vollständig außer Kontrolle.

Welche Corona-Regeln wollen Sie verschärfen?

Sowohl im privaten Bereich als auch im öffentlichen Raum müssen die Kontakte drastisch reduziert werden. Wir müssen Bereiche ins Visier nehmen, die möglichst wenig in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eingreifen. Aber klar ist: Das wird nicht zum Nulltarif gehen. Alles, was gesundheitspolitisch notwendig ist, werden wir so flankieren, dass die betroffenen Unternehmen und Mitarbeiter damit fertig werden können. Wir haben in Deutschland europaweit die umfassendsten Hilfsprogramme. Und diese haben auch bisher gut gewirkt. Durch unsere Hilfsprogramme haben die Einschränkungen in der Pandemie die Substanz unserer Wirtschaft nicht beschädigt.

Eine Forderung, die immer wieder auftaucht, ist eine Homeoffice-Pflicht für Menschen, denen das möglich ist. Was spricht dagegen?

Ich halte wenig davon, in die betriebliche Praxis hinein zu dirigieren. Wir haben als Staat an die Wirtschaft appelliert, ihre Beschäftigten in dieser Pandemie-Situation wo immer möglich ins Homeoffice zu schicken. Die Reduzierung von Kontakten ist aber auch am Arbeitsplatz organisierbar. Ein Sonderfall sind Großraumbüros. Hier sollten Unternehmen die Zahl der Mitarbeiter tatsächlich auf ein absolut notwendiges Minimum beschränken. Aber für neue Rechtsansprüche ist jetzt, wo viele Unternehmen ums Überleben kämpfen, einfach nicht die Zeit.

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Trifft die auch aus Ihrer Fraktion geäußerte Kritik zu, dass die November- und Dezember-Hilfen zu üppig ausgefallen sind?

In der ganz überwiegenden Mehrheit helfen diese Programme Unternehmen, die um ihre Existenz kämpfen, die Schäden durch den Schließungsbeschluss abzumildern In Einzelfällen mag die Kritik zutreffen. In anderen Fällen sind Unternehmen enttäuscht, weil sie nicht den Zugangskriterien für die Hilfen entsprechen oder mehr finanzielle Hilfe bräuchten. Nach vielen Monaten der Pandemie, sind die Reserven bei vielen schlicht erschöpft. In Ausnahmesituationen wie diesen wird man Hilfen nie millimetergenau zuschneiden können – vor allem dann nicht, wenn sie schnell fließen sollen. Aber genau deshalb haben wir ein breites Portfolio an Unterstützungsmaßnahmen, Zuschüsse- und Kreditprogrammen bereitgestellt.

Die Auszahlung der Mittel hat länger gedauert als sie angekündigt hatten. Haben Sie den Mund ein bisschen zu voll genommen?

Nein. Ich habe angekündigt, dass noch im November die ersten Abschlagszahlungen bei Unternehmen ankommen und so ist es auch gekommen. Also lediglich knapp vier Wochen nachdem die Ministerpräsidenten der Länder die Schließungen beschlossen haben. Das ist Rekord für ein Förderprogramm. Inzwischen haben wir fast 500 Millionen Euro an 200.000 Unternehmen und Solo-Selbstständige ausgezahlt. Und es werden täglich mehr.

Sie hatten vorgeschlagen, als zusätzliche Hilfe eine großzügigere Verrechnung von Verlusten zu ermöglichen. Wie weit sind Sie in ihren Verhandlungen mit Finanzminister Olaf Scholz gekommen?

Das würde kleinen und großen Unternehmen in dieser schwierigen Zeit sehr helfen, ja. Ich hoffe, dass sich die klaren ökonomischen Argumente auch beim Koalitionspartner durchsetzen. Aber das besprechen wir nicht über die Medien, schließlich ist Geschlossenheit der Koalition in der Krise ein hohes Gut.

Im Klartext: Sie können sich nicht gegen Olaf Scholz durchsetzen…

Das wäre eine Fehldeutung. Wir halten engen Kontakt mit den Unternehmen und Verbänden und wissen, wo der Schuh drückt. Das haben wir in das Design der verschiedenen Hilfsprogramme einfließen lassen. Die Wirtschaftshilfen der vergangenen Monate tragen klar die gemeinsame Handschrift des Bundeswirtschafts- und des Bundesfinanzministeriums. Aber: Regieren bedeutet immer auch, Kompromisse zu schließen. Eine Koalition ist kein Schokoladenautomat, wo man oben einen Euro reinwirft und unten die gewünschte Tafel rauskommt.

Wird es ein Wiederaufbauprogramm geben, wenn sich das Leben normalisiert?

Konjunkturprogramme beschließt man, wenn eine lang anhaltende Rezession droht. Das haben wir in diesem Jahr getan und die Wirtschaft in ihrer Breite belebt. Nach dem schweren Absturz im zweiten Quartal haben wir im dritten Quartal einen Bilderbuchaufschwung gesehen. Die Selbstheilungskräfte unserer Wirtschaft funktionieren. Ich setze darauf, dass die Verluste von 2020 im kommenden Jahr voll ausgeglichen werden können. Wenn die Pandemie nicht völlig außer Kontrolle gerät, werden wir kein weiteres Konjunkturpaket brauchen. Die deutsche Wirtschaft ist stark genug, wir dürfen sie nur nicht mit unnötiger Bürokratie oder Gerede über zusätzliche Steuern belasten.

In China erreichen die Exporte ein neues Rekordhoch. Bereitet Ihnen das Sorge?

Eindeutig ja. Durch eine konsequente Bekämpfung der Pandemie konnten Länder wie China, Japan und Korea ihr wirtschaftliches Leben schneller wieder hochfahren als wir in Europa. Das führt dazu, dass Asien im weltweiten Wettbewerb seine Position verbessern konnte. Darauf wird Europa reagieren müssen. Aber erstmal müssen die Infektionszahlen runter.

Wie kann eine europäische Antwort aussehen?

Freundlich, entschlossen und selbstbewusst. Wir werden unsere chinesischen Partnern daran erinnern, dass unsere Unternehmen dort gleiche Ausgangsbedingungen brauchen wie ihre bei uns. Noch wichtiger aber scheint mir, dass Europa seine Innovationsfähigkeit verbessert. Deshalb arbeiten wir daran, wie wir bei Plattformökonomie und künstlicher Intelligenz besser werden können. Die gemeinsame europäische Dateninfrastruktur GAIA-X, die wir aus der Taufe gehoben haben und gerade aufbauen, zeigt, wie das funktionieren kann.

In welchem Ausmaß ist die deutsche Exportwirtschaft von der Pandemie getroffen?

Das kommt auf die Branche an. Die Autoindustrie etwa hat sich im zweiten Halbjahr erholt. Andere Branchen wie die Stahlindustrie haben große Schwierigkeiten. Die Stahlerzeugung steht gleich doppelt unter Druck: durch Dumping internationaler Konkurrenten und den Nachfragerückgang infolge der Pandemie. Die Bundesregierung wird der Stahlindustrie die Hilfen anbieten, die sie braucht, um eine Zukunft zu haben.

SPD und Gewerkschaften fordern einen Einstieg des Staates beim angeschlagenen Stahlunternehmen Thyssenkrupp.

Davon bin ich nicht überzeugt. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer, deshalb wird es mit mir als Wirtschaftsminister keine Teilverstaatlichung von Thyssenkrupp oder anderen Stahlunternehmen geben. Wir wollen den stahlerzeugenden Unternehmen dabei helfen, den Umstieg auf eine klimaneutrale Produktion hinzubekommen, in der statt Kokskohle grüner Wasserstoff genutzt wird. Mir liegt viel daran, dass auch in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland qualitativ hochwertiger Stahl produziert wird.

Lassen Sie uns noch über die CDU reden: Bislang gibt es keinen klaren Favoriten im Rennen um den Parteivorsitz. Warum stellen führende Politiker wie Sie nicht mit einer klaren Empfehlung die Weichen für die Zukunft mit?

Die Entscheidung liegt bei den Delegierten des CDU-Parteitages und da liegt sie in den richtigen Händen. Ich halte mich da mit Ratschlägen zurück.

Wann muss der Kanzlerkandidat bestimmt werden?

Aus meiner Sicht bleibt nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz genügend Zeit, um zu klären, wer die Union in die Bundestagswahl 2021 führt.

Wird Ihr eigenes Engagement in Regierung und Partei davon abhängen, wer das Rennen macht?

Das weiß ich erst, wenn feststeht, wer gewonnen hat.

Also ja.

Man tut gut daran, seine Entscheidungen immer im Lichte der Ereignisse und Begebenheiten insgesamt zu treffen. Alles andere wäre nicht klug. Die meisten Menschen haben gerade aber andere Sorgen als die Frage, wie das Personaltableau der CDU aussieht. Wir sollten nicht über Posten spekulieren, sondern die größte Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik lösen. Damit haben wir genug zu tun.

Das Gespräch führten Eva Quadbeck und Andreas Niesmann