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Grünen-Chef Anton Hofreiter„Gut, dass Fridays for Future auf uns Druck ausübt”

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Anton Hofreiter

  1. Am Samstag wird das Pariser Klimaschutzabkommen fünf Jahre alt.
  2. Am Samstag wird das Pariser Klimaschutzabkommen fünf Jahre alt.
  3. Der Kritik junger Klimaschützer an seiner Partei kann Hofreiter auch Gutes abgewinnen.

Herr Hofreiter, das Pariser Klimaschutzabkommen wird fünf Jahre alt. Wie fällt denn Ihre Bilanz aus?Anton Hofreiter: Das Zustandekommen des Pariser Klimaschutzabkommens war ein großer Erfolg. Aber zum Geburtstag würde ich mir wünschen, dass die Weltgemeinschaft näher an der Einhaltung wäre. Auch Deutschland ist bei weitem nicht auf dem 1,5-Grad-Pfad. Nichtsdestotrotz gibt es zwei gute Nachrichten. Die eine ist die breite Bewegung von Schülerinnen und Studenten, also „Fridays for Future”. Sie haben die politischen Möglichkeiten enorm erweitert. Eine ähnlich gute Nachricht sind die riesigen technologischen Sprünge, die wir gemacht haben. So sagt uns etwa die Stahlindustrie: „Wir können CO2-freien Stahl herstellen. Schafft uns die Rahmenbedingungen.”

„Fridays for Future” und andere Gruppen werfen allerdings auch den Grünen vor, dass sie nicht genug täten. Sie haben mit „Ende Gelände” sogar die Parteizentrale besetzt. Für Zwist sorgt vor allem der Bau der A49 und die Rodung des Dannenröder Forst in Hessen.

Es ist nicht nur gut, dass „Fridays for Future” den Möglichkeitsraum erweitert haben; es ist ebenso richtig, dass sie auch auf uns an den richtigen Stellen politischen Druck ausüben. Denn auch wir Grüne müssen uns immer wieder hinterfragen, ob wir angesichts der Dramatik der Klimakrise das, was möglich ist, unterschätzen und alles Machbare für mehr Klimaschutz tatsächlich rausholen. Allerdings war die A49 dafür kein gutes Beispiel. Denn Bauherr ist die Bundesrepublik Deutschland und nicht das Land Hessen. Das Projekt basiert auf dem Bundesfernstraßenausbaugesetz. Um das zu verändern, bräuchten wir eine Mehrheit im Deutschen Bundestag.

Nur strahlen die hessischen Grünen nicht selten aus, dass sie mit dem Bau gar kein Problem haben, sondern verweisen auf die Gesetzeslage.

Die Grünen in Hessen haben jahrzehntelang versucht, diesen Autobahnbau zu verhindern. Jetzt musste Tarek Al-Wazir als Landesverkehrsminister sich an die im Bund beschlossenen Gesetze halten.

Sind die Grünen da nicht schon etwas zur Spießerpartei geworden, die den jungen Leuten mal sagt, was im Gesetz steht – so wie früher die so genannten etablierten Parteien den Grünen?

Was ist spießig am Rechtsstaat? Wir Grüne stellen uns jeder Debatte, ob wir wirklich an die Grenze des Durchsetzbaren rangehen. Das haben wir bei unserer Grundsatzprogrammdiskussion gezeigt. Aber unsere Aufgabe ist es, im nächsten Jahr dafür politische Mehrheiten zu erzielen. Dafür braucht es einen Schulterschluss der Klimabewegung und aller sozial-ökologischen Kräfte. Dazu rufe ich auf. Lasst uns bei aller Differenz im nächsten Jahr nicht die gemeinsame Aufgabe vergessen.

Dabei streben die Grünen bei der Bundestagswahl neuerdings Platz eins an. Führt das nicht dazu, dass Sie, um solche Wahlergebnisse zu erzielen, auch Leute einsammeln müssen, die es dann vielleicht doch nicht so ernst meinen mit dem Klimaschutz?

Es reicht doch eben nicht, nur die Überzeugten zu überzeugen. Wir müssen mehr Menschen für mehr Klimaschutz überzeugen, und da bin ich optimistisch. Mit der Klimakrise kann man nicht verhandeln; das ist den meisten inzwischen klar. Wir haben nicht mehr viel Zeit. In der nächsten Legislaturperiode müssen wir die Weichen so stellen, dass wir unsere Lebensgrundlagen nicht weiter zerstören. Unser Ziel ist, all das in den Mainstream zu tragen und so zu verankern, dass die anderen sich daran ausrichten müssen – und nicht Klimaschützer an ihnen.

Gleichwohl ist es ja so, dass zum Beispiel die Zahl der Autos weiter zunimmt. Sagen Sie den Leuten, dass sie weniger Autos kaufen oder existierende Autos verkaufen sollen?

Wir werden auch in Zukunft Auto fahren; ich will, dass dann aber nur noch emissionsfreie Fahrzeuge unterwegs sind und wir eine bessere Bahn bekommen. Viele Züge im Nah- und Fernverkehr sind nach wie vor unpünktlich. Da kann man es den Leuten nicht vorwerfen, wenn sie weiter auf ihre Autos zurückgreifen. Aber ja: Klimaschutz bedeutet Veränderung, für manche sehr große. Wir verlangen Beschäftigten im Braunkohlesektor einiges ab. Auch die Beschäftigten, die Komponenten für Verbrennungsmotoren herstellen, werden sich neu orientieren müssen. Wer sich nicht weiterqualifizieren kann, braucht Anspruch auf eine soziale Absicherung. Man muss ehrlich sein: Der Kampf gegen die Klimakrise bedeutet für viele Menschen Veränderungen, teilweise massive Veränderungen. Doch wenn man die Veränderungen nicht angeht, dann wird es noch viel härter.

Was muss konkret anders werden – wenn Sie es auf ein Wahlplakat schreiben müssten?

Dafür reicht ein Plakat nicht aus. Wir müssen uns bewusst machen: Gegen die Klimakrise gibt es keinen Impfstoff. Und auch unseren Wohlstand sichern wir nur mit mehr Klimaschutz. Deshalb: Wir müssen auch bei der Mobilität zu 100 Prozent raus aus dem Öl. Dafür braucht“s: Mehr Bahn, Bus, Fahrrad und mehr Platz für Fußgänger - und eine komplette Antriebswende. Das ist bei 800.000 Beschäftigten in der Automobilindustrie eine gigantische Herausforderung.

Winfried Kretschmann scheint eher am Verbrennungsmotor - Stichwort: Kaufprämie - und damit am Status quo festzuhalten.

Nein, Winfried Kretschmann ist diese Herausforderung auch voll und ganz bewusst. Aber er hat mit Mercedes ein Unternehmen, das in großen Schwierigkeiten steckt und Zehntausende von Arbeitsplätzen anbietet. Ich halte das Festhalten am Verbrennungsmotor trotzdem für falsch.

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Wird das Klima im Bundestagswahlkampf 2021 das beherrschende Thema?

Die nächste Wahl ist vielleicht die entscheidende Klimawahl. Die nächste Regierung hat es mit in der Hand, ob die Klimakrise beherrschbar bleibt. Es geht um die Rettung unserer Lebensgrundlagen - nicht nur künftiger Generationen, sondern von Menschen, die bereits geboren und heute 15, 20 oder 25 Jahre alt sind.

Klimaschutz kostet Geld. Es sieht aber so aus, als wären die Kassen des Staates nach der Corona-Krise leer. Besorgt Sie das?

Ja, das besorgt mich. Aber das Dümmste, was man in einer Volkswirtschaft machen kann, ist, nicht zu investieren. Am Klimaschutz werden wir nicht sparen. Deshalb wollen wir die Schuldenbremse ändern - zugunsten von Investitionen in Digitalisierung, in Bildung, in Klimaschutz. So wollen wir jährlich zusätzlich 50 Milliarden Euro ausgeben über zehn Jahre. Wir sind fest davon überzeugt: Wenn wir das Geld richtig investieren, dann gibt es eine mehrfache Rendite: Denn so bringen wir den Klimaschutz voran und schaffen nachhaltigen Wohlstand und gute Arbeitsplätze.

Wie sind die Chancen, dass wir das Pariser Abkommen noch einhalten?

Wenn wir im nächsten Jahr loslegen und eine ganze Reihe von Gesetzen ändern - in allen Sektoren: im Wärmesektor, im Industriesektor, im Mobilitätssektor, im Energiesektor -, dann haben wir noch die Chance.

Das Gespräch führte Markus Decker