Neues Gesicht für AmerikaWer ist die neue Vizepräsidentin Kamala Harris?
Washington – Als alles vorbei war, gab Kamala Harris auf Twitter einen Einblick, wie es aussieht, wenn alle Anspannung abfällt. Sie twitterte ein Video des Anrufs bei Joe Biden: „Wir haben es geschafft, Joe!“
Harris kämpft, bis alles vorbei ist. Wie vor zwei Jahren im US-Senat: Die Anhörung lief schon acht Stunden, als Brett Kavanaugh, der konservative Kandidat der Trump-Regierung für den frei gewordenen Sitz am Obersten Gericht, sichtlich ins Schwimmen geriet. Ob er mit dem Vertreter einer bestimmten Anwaltsfirma über die Mueller-Untersuchung gesprochen habe, wollte Senatorin Kamala Harris von dem Topjuristen wissen. Kavanaugh wich mehrfach aus. Immer wieder stellte Harris dieselbe Frage.
„Ich bin nicht sicher“, wandte sich Kavanaugh: „Ich weiß nicht, wer da arbeitet.“ Und schließlich: „Ich möchte wissen, über welche Person Sie reden.“ Darauf hatte Harris gewartet: „Sie denken an eine bestimmte Person, die Sie uns nicht verraten wollen“, konterte sie. Als Kavanaugh wenig später um die Wiederholung einer Frage bat, erwiderte sie kühl: „Ich habe die Frage erst vor einer Minute gestellt. Erstaunlich, dass Sie sich daran nicht erinnern können.“ Mehr als sieben Minuten dauerte das Kreuzverhör. Man konnte fast Mitleid mit dem Bewerber bekommen.
Eine Frau, die den Chauvinisten Trump nervös macht
„Boshaft“ sei die Senatorin damals im September 2018 gewesen, empörte sich am Dienstag Donald Trump: Der Auftritt der frisch gewählten Vizepräsidentin der USA sei „eine furchtbare Sache“ gewesen. Die Reaktion illustriert die Verunsicherung des Chauvinisten über eine Frau, die sich nicht einschüchtern lässt. Eine Frau, die als ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien die Waffen der Rhetorik beherrscht. Und eine Frau, die einen starken Machtwillen hat.
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Das hat der gewählte 46. US-Präsident Joe Biden an der eigenen Person erfahren. Eher jovial und schlecht vorbereitet war er im Juni 2019 in die erste Debattenrunde der demokratischen Bewerber gestolpert und hatte offensichtlich keinen Angriff von Harris erwartet.
Doch die damalige Mitbewerberin ging ihn plötzlich scharf an, weil er sich in den 1970er-Jahren dagegen ausgesprochen hatte, schwarze Kinder mit Bussen in weiße Schulbezirke zu fahren. Ein kleines Mädchen habe damals in so einem Bus gesessen, berichtete Harris: „Das kleine Mädchen war ich.“
Geboren im kalifornischen Oakland
Harris wurde 1964 im kalifornischen Oakland als älteres von zwei Kindern einer Krebsforscherin aus Indien und eines Ökonomen aus Jamaika geboren. Die Eltern hatten sich in den bewegten 1960er-Jahren an der linken Universität von Berkeley kennengelernt und nahmen die Tochter im Kinderwagen zu Protestmärschen mit. Doch die Ehe hielt nicht lange. Nach der Scheidung wurden beide Mädchen von der Mutter großgezogen.
„Meine Mutter verstand sehr gut, dass sie zwei schwarze Töchter erzog“, hat Harris später in ihrer Autobiografie geschrieben: „Und sie war entschlossen sicherzustellen, dass aus uns selbstbewusste, stolze schwarze Frauen wurden.“ Tatsächlich legte Kamala eine bemerkenswerte Karriere hin: Nach dem Jurastudium arbeitete sie zunächst im Büro eines Staatsanwalts und wurde dann mit 38 Jahren zur ersten schwarzen Distriktstaatsanwältin von San Francisco gewählt.
Acht Jahre später stieg sie zur kalifornischen Generalstaatsanwältin auf. Seit 2017 vertritt sie den Bundesstaat im US-Senat. Wenn sie im November erfolgreich ist, wäre sie die erste schwarze Frau und die erste Person mit indischen Wurzeln im Vizepräsidentenamt der USA.
Biden: „Furchtlose Kämpferin für den kleinen Mann“
Ihre eigenen Präsidentschaftsambitionen platzten wie ein HeißluftballonMit ihren Ambitionen auf eine eigene Präsidentschaftskandidatur war Harris freilich weniger erfolgreich. Ihre Kampagne geriet bald völlig außer Tritt. „Sie startete wie eine Rakete und endete wie ein geplatzter Heißluftballon“, schrieb das Magazin „The Atlantic“. Schon im vorigen Dezember gab Harris auf. Sie wartete jedoch bis zum März, bevor sie sich öffentlich auf die Seite von Biden schlug. Seither macht sie für ihn Wahlkampf. Die Angriffe gegen den 77-Jährigen von damals? „Es war eine Debatte“, spielte die Politikerin im Interview mit dem Talkmaster Stephen Colbert vor ein paar Wochen den Konflikt herunter.
Auch Biden hat die damalige Verletzung inzwischen offenbar vergessen. Er wählte Harris aus insgesamt 20 Kandidatinnen für seinen Stellvertreterposten aus. In dem Tweet, mit dem er die Personalentscheidung bekanntgab, lobt er sie als „furchtlose Kämpferin für den kleinen Mann“ sowie eine der besten Staatsdienerinnen und hebt hervor, dass sie eng mit seinem Sohn Beau zusammengearbeitet habe.
Eine selbstbewusste Frau, die Tochter zweier farbiger Immigranten, eine eloquente Rednerin – in gewisser Weise scheint die 55-Jährige den mehr als zwanzig Jahre älteren Biden auf ideale Weise zu ergänzen.
Nicht ganz klar ist, wofür Harris politisch steht
„In ihrer Lebensgeschichte können ich und viele andere sich wiederfinden“, erklärt Ex-Präsident Barack Obama, der mit Harris seit seiner Senatsbewerbung im Jahr 2004 befreundet ist: „Ihre Geschichte besagt: Ganz gleich, wo du herkommst, wie du aussiehst, an was du glaubst oder wen du liebst – hier ist ein Platz für dich.“
Nicht ganz so klar ist hingegen, wofür Harris politisch steht. In ihrer Zeit als Staatsanwältin setzte sie auf eine harte Law-and-Order-Politik, forderte mehr Polizei auf der Straße und lehnte die systematische Untersuchung von Polizeigewalt ab. Das hat ihr bei ihrer Präsidentschaftskampagne viel Kritik von Parteilinken eingebracht. Nun kämpft sie entschieden für eine Polizeireform und nennt eine personelle Aufstockung der Sicherheitskräfte falsch.
Auch in der Gesundheitspolitik hat Harris keinen klaren Kurs vertreten. Im Senat unterstützte sie den Vorstoß des linken Kollegen Bernie Sanders für eine einheitliche Bürgerversicherung. In einer Debatte sprach sie sich für die Abschaffung der privaten Krankenversicherung aus. Kurz darauf erklärte sie, sie habe die Frage falsch verstanden. Sie vertritt nun ein Modell, dass allen Amerikanern den Zugang zu einer Krankenversicherung ermöglichen soll, ohne die privaten Assekuranzen abzuschaffen.
Der Versuch der Trump-Kampagne, die Biden-Stellvertreterin als radikale Linke darzustellen, entbehrt jedenfalls jeder ernsthaften Grundlage. Eher könnte man ihre Position pragmatisch und bisweilen etwas unbestimmt nennen. „Ich versuche nicht, die Gesellschaft umzukrempeln“, sagte sie im vorigen Sommer in einem Interview mit der „New York Times“: „Ich versuche mich nur um die Dinge zu kümmern, die Menschen nachts um den Schlaf bringen.“