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Kommentar

Die Republikaner auf Geisterfahrt
Sturz von Kevin McCarthy ist Produkt ultrarechter Kamikaze-Politik

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
WASHINGTON, DC - OCTOBER 3: Former Speaker Kevin McCarthy (R-CA) speaks to the press after the motion to vacate his position passes in the U.S. Capitol on October 3, 2023 in Washington, DC. The House voted by simple majority to oust McCarthy as speaker, an effort led by a handful of conservative members of his own party, including Rep. Matt Gaetz (R-FL).   Anna Rose Layden/Getty Images/AFP (Photo by Anna Rose Layden / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)

Der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, spricht mit der Presse.

Nach dem Abgang von Repräsentantenhaus-Sprecher Kevin McCarthy ist der amerikanische Kongress außer Kontrolle und die Handlungsfähigkeit der US-Regierung gefährdet, kommentiert Karl Doemens.

Mitleid muss man mit dem Mann nicht haben. Kevin McCarthy ist nicht der aufrechte Kämpfer für die konservative Sache, als der er sich zuletzt ausgegeben hat. Der Mann ist ein opportunistischer Karrierist aus dem Bilderbuch. Nach dem Kapitolsturm vom Januar 2021 machte er Donald Trump in dessen Domizil Mar-a-Lago seine Aufwartung. Ein Jahr später rollte er den Ultrarechten in seiner Fraktion den roten Teppich aus, um nach 15 quälenden Wahlgängen endlich den Job des Repräsentantenhaus-Sprechers zu bekommen.

Fortan war der stets perfekt geföhnte 58-Jährige nicht mehr als eine Marionette der Trump-Extremisten, denen er sogar die offizielle Anbahnung eines grotesken Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident Joe Biden zubilligte, das er selbst aus guten Gründen für Unsinn hält. Wenn er gewollt hätte, hätte er schon vor Monaten die zwei Dutzend Dauer-Blockierer in seinen Reihen isolieren und bei den Etatverhandlungen einen breiten Kompromiss mit den Demokraten suchen können. Das tat er erst, als es zu spät war. Vorher setzte er auf einen Pakt mit dem Teufel. Der hat nun seinen Tribut gefordert.

Kevin McCarthy: Sturz des Speakers ist reine Kamikaze-Aktion

Es ist müßig, nach den Gründen der Frondeure unter Führung des halbseidenen Abgeordneten Matt Gaetz zu fragen. In dem Konflikt geht es nicht um die Sache. Der ultrarechte bis rechtsextreme Flügel der Republikaner ist schlicht politikunfähig. Einige hassen den demokratischen Staat so, dass sie ihm die Mittel abdrehen wollen. Andere sind Verschwörungsideologen, viele schlicht Krawallmacher und Selbstdarsteller, die sich für ihre wütende Basis inszenieren. Die Ablehnung jeglichen Kompromisses und eine nihilistische Obstruktionspolitik sind ihr kleinster gemeinsamer Nenner.

So entpuppt sich der Sturz des Speakers als reine Kamikaze-Aktion. Ein mehrheitsfähiger Nachfolger oder eine Nachfolgerin ist aus naheliegenden Gründen nicht in Sicht: Der Job kommt einem Himmelfahrtskommando gleich. Bizarrerweise wird schon diskutiert, ob der biegsame McCarthy nicht erneut antreten könnte. Jedenfalls dürfte der Kongress auf absehbare Zeit kaum verlässlich handlungsfähig sein. Die Republikaner befinden sich im Krieg mit sich selbst. Sie halten zwar die Mehrheit im Repräsentantenhaus, aber sie haben die Kontrolle verloren.

Das parlamentarische Chaos kommt den zynischen Trumpisten gerade recht. Jeden Demokraten (nicht nur jene in der Oppositionspartei) aber muss es alarmieren. Wie unter diesen Umständen ein Haushalt beschlossen, wie weitere Ukraine-Hilfen sichergestellt und ein Mitte November drohender unkontrollierter Shutdown verhindert werden sollen, ist völlig unklar.

Die Republikaner haben sich – angetrieben von ihrem Sektenführer Donald Trump, der gestern vor dem New Yorker Obergericht mit irren Drohungen die passend schrille Begleitmusik lieferte – in eine Spirale des Wahnsinns begeben. Mit jeder Drehung werden sie radikaler. Jemand müsste dringend die Notbremse ziehe. Doch bislang ist niemand in Sicht, der diese Geisterfahrt beendet.