Wie können die Lücken im Bildungssystem gefüllt werden? Lesen, Schreiben, Rechnen: Es mangelt nicht an Analysen und an Lösungsvorschlägen, sondern an der Umsetzung. Die drängendsten Probleme müssen jetzt angegangen werden. Ein Kommentar.
Kommentar zu den BildungsprotestenFöderalismus abschaffen ist keine Lösung
Zwischen der Bildungsmisere in Deutschland und die Corona-Pandemie gibt es einige Parallelen, die eng mit dem föderalen Staatsaufbau Deutschlands zu tun haben. Als es darum ging, die Pandemie in den Griff zu bekommen, stellte man schnell fest, dass die Probleme nur gesamtstaatlich zu lösen sind. Das stand allerdings im Widerspruch zur föderalen Aufgabenverteilung, schließlich sind die Länder für große Teile möglicher Bekämpfungsmaßnahmen zuständig.
Es fehlte (und fehlt) ein im Grundgesetz verankertes Gremium, in dem Bund und Länder gemeinsam verbindliche Beschlüsse fassen können. Als Hilfsinstrument wurden regelmäßig stundenlange Konferenzen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin beziehungsweise dem Kanzler abgehalten (die berühmt-berüchtigten „MPK“), die sich dadurch auszeichneten, dass gemeinsame Beschlüsse manchmal nur Minuten nach dem Ende der Beratungen von einzelnen Regierungschefs wieder in Frage gestellt und anschließend auch nicht oder nur verändert umgesetzt wurden.
Ähnlich verhält es sich in der Bildungspolitik. Bildung ist allein Ländersache. Das kann in Frage gestellt werden, weil es im Unterschied zu der Zeit, als das Grundgesetz entstanden ist, durchaus gesamtstaatliche Bildungsfragen gibt, wie etwa das Thema Digitalisierung, die Integration von Zugewanderten oder die Inklusion. Unabhängig davon existiert aber noch nicht einmal auf Länderseite eine Institution, die verbindliche Beschlüsse fassen kann. Zwar gibt es die Kultusministerkonferenz, doch auch sie ist im Grunde lediglich ein Debattierclub. Erinnert sei nur an den Beschluss der Kultusminister, sich nicht gegenseitig Lehrer abzuwerben. Ein Witz. Bayern beispielsweise lockt zum Beispiel mit Umzugskostenpauschalen und „Regionalprämien“.
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Immer wieder wird darüber diskutiert, den Bildungsföderalismus abzuschaffen und das Thema beim Bund zu konzentrieren. Doch das ist keine Lösung. Erstens ist es in einem so einem großen Land wie Deutschland durchaus sinnvoll, die Bildungsstrukturen zumindest in bestimmten Grenzen in Abhängigkeit von der Lage vor Ort zu gestalten. Zweitens sind die politischen Realitäten schlicht so, dass es nie eine Mehrheit für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes geben würde. Die Debatte ist also überflüssig.
Mehr Chancen hätten möglicherweise ein Entscheidungsgremium, in das der Bund einbezogen wird und in dem verbindliche Beschlüsse mit Mehrheitsprinzip gefasst werden. Zudem müssen klare Finanzierungswege und Verteilungsmechanismen festgelegt werden für den Fall, dass sich der Bund an den Bildungskosten beteiligt.
So gut es ist, dass er sich mit den Ländern nunmehr auf das „Startchancen-Programm“ für die Förderung von Schulen in sozialen Brennpunkten geeinigt hat: Vom Beschluss im Koalitionsvertrag bis zum Start des Projektes wird es, wenn alles gut geht, über drei Jahre dauern! Dermaßen lange Entscheidungswege kann sich Deutschland angesichts der Probleme im Bildungsbereich nicht mehr leisten.
Ein Bildungsgipfel, den die Demonstranten in vielen Städten am Wochenende gefordert haben, dürfte hingegen wenig helfen. Es mangelt nicht an Analysen und an Lösungsvorschlägen, sondern wegen der fehlenden Entscheidungsstrukturen an einer konkreten Umsetzung. Aber selbst das muss kein Hinderungsgrund sein, die drängendsten Probleme jetzt anzugehen. Ganz vorn stehen dabei die sinkenden Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen der Jüngsten. Es nützt nichts, diese lediglich zu konstatieren. Hier müssen schnellstens die Lehrpläne so angepasst werden, dass die Lücken geschlossen werden. Dafür sind keine Bildungsgipfel oder Föderalismusreformen notwendig.