Es ist immer wieder frappierend, wie schnell sich die Tonlage nach einer Bundestagswahl ändert – jedenfalls in Parteien, die mit einer Regierungsbeteiligung rechnen können wie jetzt die Grünen. Vor dem Urnengang lautet die Devise mit Blick auf die politische Konkurrenz: „Auf sie mit Gebrüll!“ Und alles geschieht natürlich öffentlich.
Nun lassen dieselben Grünen die Jalousien herunter. Die neue Devise lautet: „Klappe halten!“ Es gibt keine substanziellen Informationen über den Verlauf der Gespräche mit der FDP. Es gibt auch keine Festlegung auf eine Ampel statt auf Jamaika. Vielmehr gibt es zwei Worte, die mit V beginnen: Vertrauen und Verantwortung.
„Klappe halten!“
Das Schicksal der Partei liegt bis auf weiteres in der Hand des Sondierungsteams unter Führung der Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. Und das ist erst der Anfang. Die Partei kommt jetzt in den Schraubstock der Realpolitik, die in der Regel ein paar Meilen hinter dem zurück bleibt, was Idealisten sich so wünschen.
Erst wenn eine Koalition steht, der Vertrag ausgehandelt ist und die Ministerien verteilt sind, lässt der Druck wieder nach. Dann dürfen die eigenen Parlamentarier mitreden, über Gesetze nämlich. Dann wird auch nicht jede abweichende Meinung zur innerparteilichen Krise.
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Nein, noch ist keineswegs amtlich, dass die Grünen tatsächlich Regierungspartei werden. Wenn sie und die FDP zu hohe Ansprüche stellen, dann könnte sich auch eine neue Große Koalition zusammen finden, diesmal unter Führung eines SPD-Kanzlers Olaf Scholz.
Niemand weiß überdies, wie viel ihrer eigenen Agenda die Grünen in ein Bündnis retten können, ob die eigenen Ministerinnen und Minister überzeugen und welche unvorhersehbaren Krisen eine neue Regierung bewältigen muss.
Probleme lösen
Als die Grünen das letzte Mal im Bund regierten, gab es gleich drei große Herausforderungen: den Kosovo-Krieg, den der grüne Außenminister Joschka Fischer wegen seiner Zustimmung auf einem Parteitag mit einem Farbbeutel am Hals bezahlte, den Afghanistan-Krieg, dem mehrere Grünen-Abgeordnete nicht zustimmen wollten und der eine Regierungskrise auslöste, sowie die Agenda 2010, für die in erster Linie die SPD bezahlte, obwohl die Grünen sie mittrugen.
Auch Regierenden kommt jedenfalls allzu oft das ganz normale, unberechenbare Leben dazwischen. Regieren bedeutet dann nicht mehr: Eigene Pläne umsetzen, sondern Probleme lösen.
Dass der Kleine Parteitag der Grünen zwei Stunden eher zu Ende ging als gedacht, spricht unterdessen Bände. Sie sind offenkundig bereit, sich in den Schraubstock des Kommenden zu begeben – egal, wie es ausgeht.