AboAbonnieren

Kommentar zum BundestagWürdeloser und peinlicher Umgang mit Selenskyj und seinem Land

Lesezeit 3 Minuten
Selenskyj Bundestag

Bildschirm mit Wolodymyr Selenskyj hinter der Regierungsbank

Die Rede von Wolodymyr Selenskyj vor dem Bundestag geht tief ins Herz, und zugleich spricht sie für eine herausragende Fähigkeit des politischen Kalküls. Bei seinen digitalen Auftritten vor westlichen Parlamenten und Staatenlenkern steuert er gezielt wundeste Punkte der einzelnen Länder in der jüngeren Geschichte an – und formuliert daraus seinen Anspruch an Unterstützung zur Rettung der Ukraine. Er bittet flehentlich.

Doch der Westen hält seine Forderungen für unerfüllbar, was nur zum Teil stimmt. Wie aber das deutsche Parlament mit Selenskyj und seinem Land am Donnerstag umgegangen ist, ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Einfach würdelos.

Zunächst setzt Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zu einer überflüssigen Ansprache an. Während Selenskyj aus dem Kriegsgebiet zugeschaltet ist, erzählt die Grünen-Politikerin, was in der Ukraine passiert. Das weiß der Präsident nun wirklich selbst am besten. Und in Deutschland ist es auch bekannt. Mit bedeutungsschwerem Ton sagt die Politikerin, dass „wir“ – wer immer das ist – die Ukraine und ihre Menschen sähen und in Gedanken bei ihr seien und auch bei jenen, die um „Euch“ trauern.

Das könnte Sie auch interessieren:

Selenskyj muss sich das anhören, es stiehlt ihm Zeit, außerdem weiß er, dass ihm dieses Mitgefühl herzlich wenig bringen wird. Er braucht jetzt nicht als erstes jemanden, der bei denen ist, die um sein Land, die Toten und Verletzten trauern. Er braucht Leute, die kommen beziehungsweise Militärgerät liefern, mit dem sich die von Kremlchef Putin angegriffene Ukraine verteidigen kann.

Am Mittwoch hatte Selenskyj vor beiden Kammern des US-Kongresses an den japanischen Angriff 1941 auf die US-Pazifik-Flotte in Pearl Habor sowie an die islamistischen Terroranschläge vom 11. September 2001 erinnert. Alle wissen um die harten Reaktionen der USA – im übrigen auch um die bedingungslose Solidarität Deutschlands mit dem Nato-Partner USA gegen die Taliban in Afghanistan 2001.

Selenskyj redet den Deutschen ins kollektive Gewissen

Am Donnerstagmorgen redet Selenskyj den Deutschen ins kollektive Gewissen, indem er die Mauer herausgreift, die das Land trennte und die die Bürgerinnen und Bürger der DDR einrissen, um frei zu sein. Jetzt gehe es darum, den Krieg zu stoppen und den Bau einer neuen Mauer in Europa zu verhindern. Eine Mauer, hinter der sich die Deutschen weiter befänden – nur auf der Seite der Freiheit, während die Ukraine darum kämpft.

Aber weder gehen die USA und die Nato auf die Forderung ein, eine Flugverbotszone über der Ukraine durchzusetzen, damit Russland keine Bomben mehr auf Entbindungsstationen, Kindergärten, Schulen und Schutzräume für Zivilisten werfen kann. Der Westen muss sich selber schützen und will eine Eskalation des Krieges mit Russland zu einem dann zu befürchtenden dritten Weltkrieg verhindern. Noch will die Bundesregierung der Ukraine helfen, schnellstmöglich in die EU aufgenommen zu werden. Das könnte sie aber durchaus.

Man muss sich für den Bundestag schämen

Selenskyj hat nichts zu verlieren, seine harte Kritik an Deutschlands Unbeweglichkeit in diesem Zusammenhang sowie an dem Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland wirkt nach. Er bittet Bundeskanzler Olaf Scholz persönlich, diese neue Mauer in Europa wieder einzureißen.

Und was macht der Bundestag? Er unterbricht die Sitzung nicht einmal, um für einen Moment innezuhalten. Er redet auch nicht darüber, was Selenskyj gesagt hat. Das deutsche Parlament geht einfach zur Tagesordnung über. Göring-Eckardt gratuliert zwei Abgeordneten zum Geburtstag und will dann über die Einführung einer Corona-Impfpflicht debattieren lassen. Die Union protestiert. Und die Fraktionen streiten.

Ihren Applaus im Stehen für den ukrainischen Präsidenten, der vielleicht sein Leben in diesem Krieg geben wird, ist schon verhallt. Man schämt sich. Sie hätten wenigstens alle schweigen können - vor und nach seiner Rede.