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Selenskyj-Rede an den Bundestag„Die Ukraine ist die neue Berliner Mauer“

Lesezeit 4 Minuten
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Wolodymyr Selenskyj spricht auf einer Videoleinwand im Bundestag.

Berlin – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat mit einer Rede vor dem Bundestag um die Unterstützung Deutschlands gebeten. „Bitte helfen Sie uns, diesen Krieg zu stoppen“, sagte Selenskyj. Der ukrainische Präsident war per Videoschalte in den Bundestag geschaltet worden. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt hatte sich zuvor an Selenskyj gewandt. „Es ist uns eine Ehre, dass Sie heute zu uns sprechen werden“, sagte die Grünen-Politikerin zu Beginn der Bundestagssitzung in Richtung des ukrainischen Präsidenten. „Dieser Krieg muss beendet werden, Russland muss seine Angriffe einstellen und seine Truppen aus der Ukraine abziehen.“

Selenskyj kritisiert deutsche Russland-Politik

„Ich wende mich an euch nach drei Wochen voller russischer Angriffe auf die Ukraine, nach acht Jahren Krieg am Donbass“, begann Selenskyj seine Rede. „Wohnviertel, Krankenhäuser, Schulen werden mit Raketen, Bomben und Artillerie angegriffen. In drei Wochen sind tausende Ukrainer gestorben. Die Besatzer haben 108 Kinder getötet – mitten in Europa, im Jahr 2022“, führte Selenskyj laut Übersetzung aus.

Der ukrainische Präsident übte Kritik an der deutschen Russland-Politik in der Vergangenheit. „Wir haben immer gesagt, dass Nord Stream 2 eine Waffe ist – wir haben die Antwort bekommen: Das ist Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“, sagte Selenskyj mit Bezug auf das lange Festhalten Deutschlands an dem deutsch-russischen Gaspipeline-Projekt, das nun auf Eis liegt. „Wir haben ihren Widerstand gespürt, wir haben gespürt, sie wollen die Wirtschaft weiterführen.“

Selenskyj beschreibt eine „neue Mauer“ in Europa

Selenskyj beklagte zudem, dass er lange vergeblich um Hilfe gebeten und sein Ansinnen eines Nato-Beitritts keinen Erfolg gehabt habe. Auch dass Deutschland und Europa nun zögerten, die Ukraine in die Europäische Union aufzunehmen, kritisierte er. Diese Haltung sei „ein Stein“ für eine „neue Mauer“, die unterdrückte von freien Staaten in Europa trenne, sagte er. Selenskyj nahm damit Bezug auf die Berliner Mauer. „Vielleicht merken Sie es nicht, aber sie befinden sich irgendwie wieder hinter einer Mauer – nicht hinter der Berliner Mauer, sondern hinter einer in der Ukraine“, erklärte der ukrainische Präsident.

Nicht jeder würde verstehen, was hinter dieser Mauer passiere. „Die russischen Truppen unterschieden nicht zwischen Zivilisten und Soldaten, alles ist eine Zielscheibe. In Mariupol wurde ein Schauspielhaus gesprengt, in dem tausende Menschen saßen. Sie zerstören alles, den ganzen Tag, 24 Stunden lang. Damit keine Rettung für unsere Menschen kommt", sagte Selenskyj.

Erinnerung an die historische Verantwortung Deutschlands

Selenskyj erinnerte in seiner Rede auch an die historische Verantwortung, die Deutschland seit der Nazi-Zeit trage. „Ich wende mich auch im Namen der Ukrainer an Sie, die die deutsche Besatzung und Babyn Jar überlebt haben“, so Selenskyj. „Nach 80 Jahren ist dort wieder eine Rakete gelandet. 'Nie wieder' muss man verkörpern, sonst ist es nichts wert. Wieder versucht man in Europa ein ganzes Volk zu vernichten.“

In Babyn Jar hatten deutsche SS-Truppen am 29. und 30. September 1941 innerhalb von 48 Stunden mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordeten, bei einem Angriff auf Kiew wurde eine Gedenkstätte beschossen.

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Die Ukrainer wollten „frei leben“ und sich nicht einem anderen Land „unterwerfen“, erklärte Selenskyj. „80 Jahre nachdem viele Menschen getötet und gefoltert wurden, passiert es jetzt zum zweiten Mal. Das ist eine historische Verantwortung“, sagte der ukrainische Präsident zu den Abgeordneten im Bundestag und nahm Bezug auf berühmte Worte eines ehemaligen US-Präsidenten.

„Ronald Reagan sagte einmal in Berlin: Zerstört diese Mauer. Ich möchte heute sagen: Herr Scholz, zerstören Sie diese Mauer. Geben sie Deutschland eine Führungsrolle. Unterstützen Sie uns. Bitte helfen Sie uns, diesen Krieg zu stoppen.“

„Ohne Eure Hilfe können wir die Ukraine und Europa nicht verteidigen“

Selenskyj sprach allen Unterstützern der Ukraine seinen Dank aus – auch für die Aufnahme von Geflüchteten. „Ich danke jedem, der uns unterstützt. Auch den normalen Menschen, die uns unterstützen, den Journalisten, die das Böse zeigen und den deutschen Geschäftsleuten, die Werte höher stellen als die Wirtschaft“, erklärte Selenskyj. Ebenso danke er den Politikern, die die Ukraine in die EU aufnehmen wollen, harte Sanktionen gegen Russland unterstützt haben und „verstehen, dass ein Embargo notwendig“ sei. „Ohne eure Hilfe können wir die Ukraine und Europa nicht verteidigen.“