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Kommentar

„Es ist etwas passiert in Deutschland“
Beim Thema Klimaschutz liegen die Nerven blank – wieso eigentlich?

Ein Kommentar von
Lesezeit 8 Minuten
Ein Fahrradfahrer von hinten auf einer Straße.

Fahrräder, Autos, E-Scooter, Fußgänger: Alle wollen möglichst viel Platz auf den Straßen.

Wer den Kurs ändern will, darf nicht überreißen. Die Bundesregierung aber tut genau das. Ihre Botschaft an die Deutschen: Ihr heizt, esst, reist, baut und wohnt falsch. Ein persönlicher Appell für mehr Augenmaß.

Thomas Bär fährt kaum Auto. Im Keller des Familienvaters stehen drei teure Fahrräder. Er lebt in einem urbanen Cafè-Latte-Stadtviertel in Hannover, in dem die Grünen bei der letzten Landtagswahl mit 32 Prozent stärkste Kraft wurden. Ein klassischer Grünen-Wähler. Bär sympathisiert mit strengerer Klimapolitik, E-Mobilität, Umweltschutz. Dann aber kam diese Nachricht. Die Stadt will ganze Wohnblocks für die Autos von „Anwohnenden“ sperren. Geplant sind stattdessen Laubhütten und eine „Silent Disco“.

„Kurze Frage“, sagt Bär. „Was soll der Mist? Das nützt doch keinem. Und es nervt selbst mich, der ich fast nur Fahrrad fahre. Wir leben nun mal in der Stadt. Das ist übergriffig und wird dem Klima keinen Deut helfen. Sogar hier bei uns haben die Leute die Nase voll von diesem sinnlosen Kulturkampf.“

Das politische Klima ist vergiftet

Selbst im grünen Kernland liegen die Nerven blank. Das Ringen um die richtige Klimapolitik zermürbt das Wahlvolk. Es befindet sich dabei in einem bizarren Zwiespalt: Einerseits ist einer breiten Mehrheit sehr bewusst, dass ein Weiter-so keine Option ist. Für den Ressourcenhunger der Deutschen würden im Weltmaßstab 2,9 Erden benötigt. Wir haben aber nur eine. Andererseits fühlt sich die Politik der Berliner Ampel für Millionen an, als seien sie Teenager, in deren Zimmer die Eltern stürmen, um die Musik leiser zu drehen. So nicht, Sportsfreunde! Es ist ja nur zu eurem Besten!

Es ist etwas passiert in Deutschland. Und das habe ich nicht rechtzeitig bemerkt, reflektiert, gespürt
Robert Habeck,Grüne, Wirtschaftsminister

Die Arena, in der Deutschland um seine Zukunft ringt, ist acht Quadratmeter groß, zwei Meter hoch, kühl, feucht und dunkel. In der Ecke surrt eine Gasheizung. Hier unten, im Heizungskeller eines durchschnittlichen Wohnhauses, spielt sich eine politische Entfremdung ab.

Der Mann, der dafür verantwortlich ist, gab sich zuletzt bei „Anne Will“ zerknirscht. „Es ist etwas passiert in Deutschland“, räumte Klimaminister Robert Habeck (Grüne) ein. „Und das habe ich nicht rechtzeitig bemerkt, reflektiert, gespürt.“ Sein Fazit kurz vor der Berliner Sommerpause: „Die Heizungsdebatte hat dazu beigetragen, dass die AfD in den Umfragen jetzt zweitstärkste Partei ist.“

Zu besichtigen ist ein Vertrauensverlust zwischen Regierung und Regierten. Und zwar in beide Richtungen: In Sorge um das Wohlverhalten seiner Bürgerinnen und Bürger ersinnt der Staat fortlaufend kleine Angriffe aufs Alltägliche.

Nicht alle werden Gesetz, nicht alle sind Unsinn, aber sie beherrschen den Ton in der Debatte: das baldige Aus für Gas- und Ölheizungen, Dauerduschen, Kaminöfen, Feuerwerk, Heizpilze, Zigarettenautomaten, Kaffeesahnedöschen, To-go-Becher, Süßigkeitenwerbung, Luftballons, Ponyreiten, Himmelslaternen und nächtliche Denkmalbeleuchtung. Vor allem die Grünen erfüllen damit das Klischee von der bildungsbürgerlichen Ökoelite, die fest davon überzeugt ist, alles ein bisschen richtiger, sauberer, korrekter und nachhaltiger zu machen als die breite Mehrheit.

Wer das Beste befiehlt, ist ein Tyrann.
Paul Kirchhof, ehemaliger Verfassungsrichter

Diese wiederum fühlt sich umgekehrt gegängelt vom übergriffigen, neopaternalistischen Geist der grünen Klimapolitik, die den Verdacht nährt, dass nicht ein breiter gesellschaftlicher Konsens die Agenda in Klimafragen bestimmt, sondern die radikale Besserwisserei der Letzten Generation.

E-Autos und Wärmepumpen mögen für großstädtische Besserverdiener locker finanzierbar sein – für Millionen verunsicherte Normalbürger und -bürgerinnen sind sie es nicht. Die wenigsten haben genügend Geld auf der hohen Kante. Oder wollen sich in Zeiten von 6,4 Prozent Inflation und 21,6 Prozent armutsgefährdeter Kinder vorschreiben lassen, wofür sie ihr knappes Geld ausgeben.

Muss etwas passieren? Selbstverständlich. Alles, was dem Weltklima nützt, ist im Kern gut und richtig. Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein. Dauert die Klimawende zu lange? Gewiss. Ist der klassische Kapitalismus durchgespielt? Vermutlich. Doch wer den Kurs ändern und Menschen mitnehmen will, darf nicht überreißen. Habeck zum Beispiel hat unterschätzt, was für ein emotionales Thema das Heizen ist.

Der Ampelkoalition ist es bisher nicht gelungen, ihren Klimafahrplan auch den Nichtstammwählern außerhalb der urbanen Wohlfühloasen hinreichend zu kommunizieren. Deutschland ist aber nicht nur Berlin-Friedrichshain. Deutschland ist auch Detmold, Westrhauderfehn, Anklam und das Allgäu. So erleben wir einen Strömungsabriss zwischen Regierung und Volk, der auf alternative Angebote beflügelnd wirkt. Die Grünen liegen in Umfragen aktuell bei 17 Prozent – weit entfernt von früheren Umfragehöhenflügen. Die Puste, die Rot-Grün-Gelb ausgeht, ist der Wind unter den Flügeln der AfD.

Populisten sind immer dann erfolgreich, wenn Wählerinnen und Wähler sich übervorteilt, überfordert oder übergangen fühlen. Das Umfragehoch der AfD basiert auf ihrer kecken Anmaßung, vermeintlich einfache Antworten zu kennen. So reduziert die Partei die Komplexität der Realität, bietet emotionale Entlastung und unterfordert damit permanent die Intelligenz. In die Lücken, die die mangelhaften Erläuterungen der Bundesregierung lassen, träufelt sie das verführerische Gift der Vereinfachung. Das ist ihr Angebot. Klima? Eine Massenpsychose. Ausländer? Brauchen wir nicht. Berlin? Alle korrupt.

Demokratie ist ein Ringen um Mehrheiten. Es genüge nicht, schrieb einst Egon Erwin Kisch, für eine gerechte Sache zu streiten. Denn: „Nicht die bessere Sache erficht den irdischen Sieg, sondern die besser verfochtene Sache.“ Die Energiewende wird in diesem Kontext maximal mies verfochten.

Wenn eine Regierung derart tief in das Verhalten und die Entscheidungsfreiheit ihrer Bürger eingreifen möchte, muss sie klar und präzise begründen, warum sie das tut. Sie muss die Lebensrealitäten und Verlustängste der Betroffenen (aner-)kennen. Und sie muss handwerklich sauber arbeiten. Doch selbst Habeck sagt: „Ich bin auch nicht zufrieden mit der Bundesregierung.“ Denn es geht nicht bloß um Fakten im politischen Geschäft, sondern auch um Gefühle. Zum Beispiel das verletzende Gefühl, für ein „falsches Leben“ getadelt und bestraft zu werden.

„Alle großen Ideen scheitern an den Leuten“, seufzte eins Bertolt Brecht. Denn kein Vormarsch sei so schwer wie der „zurück zur Vernunft“. Aber Fürsorge und Bevormundung sind Geschwister. Ein „Nanny-Staat“, der tief in das Gefüge der menschlichen Entscheidungsarchitektur eingreifen will, riskiert viel. Wer freie Entscheidungen moralisch bewertet, entwertet gleichzeitig Lebensentwürfe.

Das fördert Trotz und Widerstand, denn niemand wird gern als betreuungsbedürftiger Trottelbürger diffamiert, den man vor sich selbst schützen muss. Gewiss ist der Mensch sich selbst (und dem Planeten Erde) der größte Feind. Doch Vernunft und Einsicht kann man nicht verordnen. Ob strenge Verbote oder sanfter Druck – wer übertreibt, verliert Akzeptanz. Das Heizungsgesetz sei „der Tropfen zu viel an Gesetzgebung“ gewesen, sagt Habeck selbst.

Wenig Zutrauen

Ein weiteres Beispiel für politische Sittenwächterei: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das Rauchen in Autos verbieten, in denen Kinder und Schwangere mitfahren. Muss das wirklich der Staat regeln? Genügt da nicht der gesunde Menschenverstand? Hinter derlei Gängelung – wie auch hinter dem Prinzip des sanfteren politischen „Stupsens“, dem „Nudging“ – steckt ein zutiefst negatives Menschenbild.

Es geht davon aus, dass Menschen außerstande sind, von sich aus das Richtige zu tun. Der Gouvernantenstaat traut dem Einzelnen nicht viel zu. Also sagt er ihm bis tief ins Detail, was falsch und was richtig ist. In Deutschland gibt es mindestens 246?944 Bundesvorschriften. Früher galt: Erlaubt ist, was anderen nicht schadet. Derzeit lautet das Motto eher: Erlaubt ist nur noch, was der Gesellschaft ausdrücklich nützt.

„Wer einem anderen das Beste wünscht, ist ein guter Mensch“, hat der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof mal gesagt. „Wer das Beste befiehlt, ist ein Tyrann.“ Aber genau so, wie kein Mensch eine Insel ist, ist eben keine Meinung die reine Lehre. Das politische Feintuning des individuellen Lebens engt stark ein – der Volksvertreter wird zum Volksvormund. Auch wenn Freiwilligkeit, das große liberale Ideal, gewiss nicht das Patentrezept für alle Probleme sein kann. Ein Verbot ist nicht per se schlecht und ein Gesetz zumeist kein Eingriff in die persönliche Freiheit. Man kann auch Ungerechtigkeit verbieten, riskantes Verhalten oder Waffenbesitz.

Natürlich sind das „Ökodiktatur“-Geschrei am rechten Rand und das Freiheitsgetrommel libertärer Medien maßlos übertrieben. Die reflexhafte Anti-Grünen-Kampagne der „Bild“-Zeitung bedient nur dumpfe Ressentiments von Leuten, die Kritik an ihren Positionen mit „Zensur“ verwechseln und dankbar für klare Feindbilder als Zornventil sind.

Umgekehrt ist die pauschale Verunglimpfung von AfD-Wählern als autoritätshungrige, diktatursozialisierte Antidemokraten auch wenig hilfreich. Ist man ein Nazi, wenn man AfD wählt? Nein. Unterstützt man eine rechtsextreme Partei, die Nazis in ihren Reihen duldet? Ja. Stärkt das am Ende auch Nazi-Positionen? Gewiss. Doch sich gegenseitig zu beschimpfen nützt weder dem gesellschaftlichen noch dem realen Klima. Der AfD entzieht man nicht mit Verteufelung den Boden, sondern mit Politik, die das Leben konkret verbessert.

Das Problem: „Im Unterschied zu Willkürherrschaften wie Despotien, Tyranneien oder Diktaturen ist eine Republik eine höchst anspruchsvolle politische Ordnung“, erläutert Karl-Heinz Breier, Professor für politische Bildung an der Universität Vechta. Wer tief sitzende Gewohnheiten infrage stellt, muss also sehr behutsam vorgehen.

Denn er rüttelt an den Grundfesten. Rund 30 bis 40 Prozent des menschlichen Alltags bestehen aus Gewohnheiten. Sie machen unsere Existenz erst möglich, denn sie schützen uns vor der Überforderung durch endlose Alltagsentscheidungen. Radikalverbote aber sind die schwarze Pädagogik des Staates. Sie fördern ein „Die da oben“-Gefühl.

Gefühl der Gängelung

Wie also ließe sich das verbreitete Gefühl der Klimagängelung reduzieren? Studien zeigen, dass vor allem Anreize helfen, schädliches Verhalten zu überdenken. Druck ist selten hilfreich. Die Bundesregierung muss viel klarer erklären, was genau sie warum plant – und vor allem: welche positiven Folgen das hätte. Sie muss dabei die Lebenswirklichkeit der Betroffenen berücksichtigen.

Und sie muss sich darauf besinnen, dass auch jenseits der Klimafrage viel Arbeit wartet. Die drei Ampelfraktionschefs haben bereits angekündigt, sich in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode verstärkt um Sozial- und Wirtschaftspolitik kümmern zu wollen. Politik jenseits des Klimathemas? Keine ganz schlechte Idee, findet auch Fahrradfahrer Thomas Bär. Denn: „Das größte Ziel von Politik kann nicht darin bestehen, rote Fahrradwege auf den Asphalt zu malen und Straßen zu sperren. Es geht um viel mehr.“ (RND)