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Kommentar

Zeugnis vor der Sommerpause
Die Ampel-Koalition: Eine Kompromissmaschine mit Aussetzern

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Lesezeit 8 Minuten
Pressekonferenz zum Ampelkoalitionsvertrags, in den damaligen Ämtern: Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD (l-r), Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat und geschäftsführender Bundesfinanzminister und Christian Lindner, Parteivorsitzender der FDP, Volker Wissing, FDP-Generalsekretär, und Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD, kommen zur Pressekonferenz, um den gemeinsamen Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die künftige Bundesregierung vorzustellen.

Die Vorstellung des Koalitionsvertrags war 2021 mit Aufbruchsgestus verbunden: Norbert Walter-Borjans, Annalena Baerbock, Robert Habeck, Olaf Scholz, Christian Lindner, Volker Wissing, Saskia Esken (von links). (Archivbild)

Das Zeugnis für die Bundesregierung fällt vor der Sommerpause durchwachsen aus. Einiges ist geschafft, doch die Koalition als Kompromissmaschine stottert inmitten enormer Herausforderungen.

Nun hat Friedrich Merz also auch einen Orden bekommen. Einen symbolischen zumindest. Immerhin. Seine Lieblingsfeindin Angela Merkel hat innerhalb von wenigen Monaten drei von diesen Ansteckern erhalten, vom Bundespräsidenten, vom bayerischen und vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Der CDU-Chef hat zur Ehrung seiner Vorgängerin sehr laut geschwiegen.

Nun hat auch Merz seine Anerkennung als bedeutender Politiker. Aber ach: Es sind nur Worte, die lassen sich nicht ans Jackett heften. Der Verleiher ist zwar Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestags, aber eben kein Präsident, und außerdem noch Mitglied der Grünen, die Merz zum Hauptgegner seiner Partei erkoren hat. Merz sei „die Hauptstütze der Koalition“, hat Anton Hofreiter mit Blick auf die Zusammenarbeit von SPD, Grünen und FDP dem „Spiegel“ gesagt. Und da ist der dritte Haken: Es ist zwar ein Superlativ, aber schmücken kann sich Merz damit eigentlich nicht.

Hofreiter hat es noch etwas ausgeschmückt: Die Frage „Willst du lieber mit Merz regieren?“ werde in der Ampel in allen drei Parteien mit einem klaren Nein beantwortet.

Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass Bundeskanzler Olaf Scholz oft so entspannt wirkt, trotz alledem, was so passiert. Und wenig ist das nicht: Russland führt weiter Krieg gegen die Ukraine, die Preise steigen und der Klimawandel lässt sich am Thermometer und an den Unwetterwarnungen ablesen. Gestiegen sind außerdem die Umfragewerte der AfD. Sie hat in bundesweiten Umfragen zum Teil die SPD überholt und liegt dort auf Platz zwei. In Thüringen, wo kommendes Jahr gewählt wird, sind die Rechtsextremen auf Platz eins.

Ampel streitet, wo es nur geht

Und die Ampel streitet, wo es nur geht: Erst über Corona-Impfungen und Waffenlieferungen an die Ukraine, dann über Autobahnen und synthetische Kraftstoffe. Die Debatte ums Heizungsgesetz dauerte Monate. Gerungen wurde um den Haushalt, die Kindergrundsicherung sorgt weiter für Ärger. Dazu seit Neuestem das Elterngeld und das Ehegattensplitting.

Fehlende Stabilität

Hofreiters Worte sind nicht nur bitter für Merz, sie sind auch eine verheerende Zwischenbilanz der Ampel: Sie attestieren der Koalition eine fehlende innere Stabilität.

Wie geht man damit um als Kanzler? „Schönen Dank für die Frage“, würde Scholz vermutlich antworten. Es ist eine seiner Standardformulierungen. Höflich sein, ruhig bleiben, alles Weitere findet sich. Nur einmal ist er in diesem Jahr öffentlich so richtig laut geworden: Als Demonstranten ihn bei einer Veranstaltung in Berlin-Falkensee als Kriegstreiber beschimpften, schrie er zurück: „Putin ist der Kriegstreiber.“ Plötzlich war Schluss mit Nuscheln.

Am Freitag nun gibt Scholz seine Sommerpressekonferenz. Bilanz wird da gezogen nach einem Regierungsjahr. Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Unabhängigkeit von russischem Gas und jetzt gerade auch noch die China-Strategie. Es ist schon was geschafft. Aber zur Bilanz gehören auch: beleidigte Minister und die Veröffentlichung interner Briefe als Mittel der Auseinandersetzung.

Schönen Dank? Von wegen.

Im vergangenen Jahr hat Scholz bei seiner ersten Sommer-PK wissen lassen, dass er sich die Fähigkeit zuschreibt, auch mal zerknirscht zu sein. Es gäbe eine Gelegenheit, aber Scholz’ Thema ist ja eher die Zuversicht. Er unterscheidet sich da gar nicht so sehr von seiner Vorgängerin, er verkündet es nur offensiver.

Den entscheidenden Zuversichtssatz hat allerdings Merkel geprägt, auch auf so einer Sommer-Pressekonferenz. „Wir schaffen das“ – sagte sie 2015 in Anbetracht der damaligen Flüchtlingswelle. Einprägsam war das und sehr bestimmt.

Das werden wir hinbekommen
Bundeskanzler Olaf Scholz

Scholz variierte den Satz bei seiner ersten Sommer-PK im vergangenen Jahr mit Blick auf den Ersatz von russischem Gas in eine etwas holprigere Version: „Das werden wir hinbekommen.“

Verschlossen und zurückhaltend

Auch in Verschlossenheit und Zurückhaltung sind sich Scholz und Merkel nicht unähnlich. Den Vorwurf, Konflikte laufen zu lassen, nicht früh und entschlossen genug Position zu beziehen bekam Merkel zu hören. Und jetzt hört ihn Scholz. „Wo ist Scholz?“, hatte die Union zwischendurch zu ihrer Lieblingsfrage erkoren. Auch in der Koalition ärgern sich manche, dass der Kanzler und seine SPD sich fast genüsslich zurücklehnten, wenn FDP und Grüne sich in die Haare bekommen. Die Grünen klagten da mehr als die FDP.

Wo ist Scholz
CDU

Aber die Rolle des weisen Mediator hat sich zunächst nicht ausgezahlt, zumindest sagen das die Umfragen. Scholz hat inzwischen ab und an mal eingegriffen: Er drängte auf Fertigstellung des Heizungsgesetzes. Und nachdem Finanzminister Christian Lindner (FDP) beim Erstellen des Haushalts nicht weiterkam, ließ der Kanzler wissen, dass er dem FDP-Mann jetzt mal unter die Arme greife. Er wehrte sich lautstark gegen Demonstranten.

Und SPD-Chef Lars Klingbeil erinnerte, dass es seine Partei noch gibt – mit Vorschlägen zur Erhöhung des Mindestlohns und zur Abschaffung des Ehegattensplittings, die der FDP nicht gefallen.

Nicht jede Debatte ist ein Streit, und nicht jeder Kompromiss ist ein Verrat.
Johannes Vogel, FDP-Fraktionsgeschäftsführer

Auch in Merkels Regierungen gab es Koalitionsstreit, schlechte Umfragewerte und die Frage nach offensiverer Führung. „Diskurs gehört dazu“, antwortete sie darauf 2018 in ihrer Sommer-PK. Es könne nun mal nicht alles schon in der ersten Sekunde entschieden werden – sonst „näherten wir uns sehr autokratischen Methoden“. Unterschiedliche Meinungen gehören zur Demokratie, war die Botschaft.

So kann man es auch sehen: Dass es eine Stärke ist, unterschiedliche Meinungen auszuhalten, statt sie abzubügeln. „Nicht jede Debatte ist ein Streit, und nicht jeder Kompromiss ist ein Verrat“, so sagt es auch FDP-Fraktionsgeschäftsführer Johannes Vogel.

Reden, ohne etwas zu sagen

Merkel ist mit ihrer Methode nicht schlecht gefahren: Sie galt in der ersten Phase ihrer Amtszeit nicht als besonders beliebt, aber mit ihr an der Spitze gewann die Union noch weitere drei Bundestagswahlen. Scholz wird das registriert haben. Aber Scholz will natürlich Scholz sein und nicht Merkel II. In seiner ersten Sommerpressekonferenz im vergangenen August hat er daher zur Sicherheit festgehalten: Er telefoniere gerne mit Merkel. „Aber ich bin jetzt Bundeskanzler.“

Und ein bisschen macht er es schon anders. Er ist vergleichsweise häufig zu Gast in Interviewsendungen. Er sei der deutsche Regierungschef, der „am meisten kommuniziert“, hat Scholz sich kürzlich in der ARD gelobt. Allerdings heißt „am meisten“ nicht „am besten“.

Ich möchte mal erleben, wie man da gemeinsam in Urlaub fährt als Familie, wenn einer in der Familie immer sagt, was weiß ich: Mallorca, keine Kompromisse
Olaf Scholz

Auch das wird ihm ja vorgeworfen: Dass Scholz zwar redet, aber nicht wirklich klar ist, was er sagen will. Das ist eine Kunst, es hilft, wenn man sich nicht festlegen will. Aber auch in der SPD haben sie das als Manko registriert.

Vielleicht ist es also eine Reaktion, wenn Scholz die Führungsfrage im selben ARD-Interview mit einem Westernvergleich mal etwas bunter beantwortet. Manche wünschten sich einen John Wayne in der Politik, sagte er. Also einen coolen Cowboytypen, der alles alleine löst und entscheidet. Eine Koalition sei allerdings wie eine Familie. „Ich möchte mal erleben, wie man da gemeinsam in Urlaub fährt als Familie, wenn einer in der Familie immer sagt, was weiß ich: Mallorca, keine Kompromisse.“

Die Koalition ist eine Kompromissmaschine

So weit, dass Scholz, Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gemeinsam in den Urlaub fahren, kommt es vermutlich nie. Aber die Beschreibung ist klar: Die Koalition ist eine Kompromissmaschine. Allerdings hat sich in den vergangenen Monaten genau der umgekehrte Eindruck eingeprägt. Der nämlich, dass in der Ampel zeitlich viele John Waynes unterwegs sind und vielleicht auch die eine oder andere Joan. Oder, um beim Hinweis von FDP-Politiker Vogel zu bleiben: Nicht jede Debatte ist Streit, aber auch nicht jeder Streit ist eine Debatte.

Gebündelt hat sich das in einigen Personen: FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki kündigte im Februar an, Habeck könne sich „gehackt legen“ mit dem Bau neuer Stromleitungen, wenn die Grünen sich dem Bau von Autobahnen verweigerten. Der Bitcoin-Experte der FDP-Fraktion, Frank Schäffler, bezeichnete Habecks Heizungsgesetz als „Atombombe“ und wurde zum Wortführer der Kritik in seiner Partei, dem Lindner und seine Führungscrew nur hinterhereilen konnte.

SPD arbeitet sich an Baerbock ab

Andere FDP-Politiker formulieren vornehmer, aber der Tenor ist derselbe: hier die grünen Ideologen, da die vernünftigen Liberalen. Statt Kompromiss hört man bei der FDP häufig, dass man seine Position mit Härte verteidige. Äußerungen über Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die mit der FDP über die Kindergrundsicherung und das Elterngeld im Clinch liegt, hören sich zuweilen an, als säße im Ministerium eine Praktikantin auf dem Chefinnensessel.

Die SPD arbeitete sich an Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und deren forschen Umgang mit China ab.

Bei den Grünen räumt man eigene Kommunikationsfehler ein, findet aber, man sei viel beweglicher als die Koalitionspartner und werde ohnehin ungerecht behandelt.

Die Verkaufe gehört dazu

Scholz könnte das als Hickhack vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen im Herbst abtun.

Er könnte sagen, dass es ja auf die Beschlüsse ankomme. Und dass es noch zwei Jahre dauert bis zur nächsten Bundestagswahl.

Allerdings gehört zur Politik auch die Verkaufe, ob man das will und gut findet oder nicht. Scholz sagt: Zuversicht. Er sagt: Respekt. Aber beides strahlt sein Bündnis gerade nicht aus. Beleidigte ringen mit Genervten um Lösungen.

Ein führender Koalitionsvertreter stellte vor Kurzem schon die Sinnfrage: „Wir müssen uns schon fragen, ob wir als Koalition so zusammenbleiben können.“ Dass die Zusammenarbeit noch mal besser werde, glaube eigentlich niemand.

Am Mittwoch haben sich die Koalitionsspitzen noch einmal zusammengesetzt vor dem Urlaub. Noch mal ein bisschen Gemeinsamkeit tanken bei Gnocchi und Fisch auf der Kanzleramtsterrasse. Von einem Ende der Koalition war danach kein bisschen die Rede. Wie das künftig gehen soll mit der Gemeinsamkeit, ist allerdings auch offen.

Friedrich Merz hat jetzt mal seinen Generalsekretär ausgetauscht. Auch er verbindet das mit Zuversicht, zumindest für die CDU. (RND)