Lisa Marie Presley machte vor allem als Tochter von Elvis und als Ehefrau von Michael Jackson und Nicolas Cage Schlagzeilen. Doch sie war weit mehr als das.
Nachruf auf Lisa Marie PresleyStarke Songwriterin im Schatten des King
Vom Tod war schon auf Lisa Marie Presleys erstem Album die Rede gewesen. Schon „S.O.B.“, der erste Song enthielt den Satz „Ich wurde schließlich begraben“. Der bezog sich aber vor allem auf männliche Fremdbestimmung, auf Kränkungen, Schmähungen und Missbrauch. „To whom it may concern“ hieß die Platte - auf Deutsch: „Wen es möglicherweise etwas angeht“, „Wen es vielleicht betrifft“ -, mit der Lisa Marie Presley 2003 im Alter von 35 Jahren zum Popstar wurde.
Platz 5 erreichte das Album in den USA – ein Liederbuch über ihre eigenen Familien, die eine, aus der sie stammte, und die andere, die sie selbst mitgegründet hatte. Ein Erfolg in Zeiten, in denen für hohe Chartsplatzierungen noch Hunderttausende Platten verkauft werden mussten. Am 12. Januar ist die Sängerin nun - zwei Wochen vor ihrem 55. Geburtstag, zehn Jahre nach ihrem dritten und letzten Album - , leblos auf ihrem Anwesen in Kalifornien aufgefunden worden. Sie konnte wiederbelebt werden, hieß es, starb jedoch kurze Zeit später im Krankenhaus.
Lisa Marie Presley: Tochter des King, Erbin des King
Die Familie, in die Lisa Marie Presley am 1. Februar 1968 im Baptist Memorial Hospital in Memphis, Tennessee, geboren wurde, war eine der berühmtesten der Welt. Lisa Marie Presley war die Tochter von Elvis und Priscilla Presley, das einzige Kind des Sängers, der Musikgeschichte schrieb, als er Mitte der Fünfzigerjahre den Rock'n'Roll genannten Mix aus Rhythm'n'Blues und Country durch Stimme, Hüftschwung, Charisma und Optik auf ein bis dato ungeahntes Kommerzlevel hob. Aus dem Idol Elvis wurde postum eine amerikanische Ikone. Er starb mit 42 Jahren auf seinem Anwesen Graceland.
Eine richtige Familie waren die Presleys nur vier Jahre lang, dann ließen sich Lisa Maries Eltern scheiden. Der King of Rock'n'Roll liebte seine Tochter abgöttisch, immer wieder war sie in ihrer Kindheit zu Besuch bei ihm. Nach dem Tod der Miterben, ihres Großvaters Vernon und ihrer Urgroßmutter Minnie Mae Hood übernahm sie Graceland und 1993, mit 25 Jahren, den gesamten, auf bis dahin 100 Millionen Dollar geschätzten Besitz ihres Vaters.
Lisa Marie Presley erlebte schon früh in ihrem Leben Schreckliches. 2003, nach Erscheinen ihres Albumdebüts, verriet sie dem „Playboy“ in einem Interview, im Alter zwischen zwölf und 15 Jahren von dem damaligen Lebensgefährten ihrer Mutter, dem Schauspieler und Model Michael Edwards sexuell missbraucht worden zu sein.
Mit 20 ging sie ihre erste Ehe mit dem Schauspieler und Musiker Danny Keough ein, die sechs Jahre hielt, und aus der zwei Kinder hervorgingen. Die folgenden Ehen wurden durch das Blitzlichtgewitter der Medien belastet. 1994 heiratete sie Michael Jackson, eine Verbindung, die – der King of Pop heiratet Tochter des King of Rock'n'Roll – medial als neuester Spleen des exzentrischen Jackson bespöttelt wurde.
Mit ihrem dritten Ehemann, dem Hollywoodstar Nicolas Cage war Presley de facto nur vier Monate zusammen. 15 Jahre dauerte schließlich die Verbindung mit Michael Lockwood, dem Produzenten (Fiona Apple, Aimee Mann) und Musiker, der auf ihrem letzten Album auch Gitarre spielte. Ein ruhigeres Leben.
Lisa Maries Musik: Rock mit Wurzeln in Country und Blues
Zur Musik kam Lisa Marie Presley Ende der Siebzigerjahre. Da sah sie ihr erstes Konzert, das der britischen Band Queen und schenkte Sänger Freddie Mercury einen Schal ihres Vaters. 1995 sah man sie im Jackson-Video zur Ballade „You Are Not Alone“, 1997 sang sie zum 20. Todestag ihres Vaters den Song „Don't Cry Daddy“. Die musikalische Richtung ihres Debüts war dann Rock mit Wurzeln in Blues und Country. Auf dem Cover von „To Whom It May Concern“ trug Lisa Marie eine Lederjacke, mit dem taxierenden Blick sah sie wie Elvis aus dem Gesicht geschnitten aus – nur trauriger, verletzter, wütender. „Jemand hat die Lichter in Memphis abgedreht / das ist, wo meine Familie verschwunden und begraben ist“, sang sie traurig in „Lights Out“.
In „Gone“ ging es mit Zorn in der Stimme um sexuellen Missbrauch, toxische Männer und das frauenverachtende Narrativ des Patriarchats. Im Titelsong erzählte Presley dann mit ihrer dunklen Stimme von Kindern, die mit Medikamenten „ruhiggestellt“ werden. „Wenn du die Symptome nicht bekämpfen kannst“, fragte sie grimmig in Richtung von Ärzten und Eltern, „warum zur Hölle setzt du die Kinder unter Drogen“.
Lisa Marie Presley schrieb ihre Songs selbst
Das war der Unterschied: Lisa Marie Presley war – anders als Elvis – eine Songwriterin. Eine Künstlerin, die ihre Texte selbst verfasste und an den Melodien der Lieder mindestens mitschrieb. Eine, die ihr Leben darin verarbeitete wie heute etwa Adele oder Taylor Swift, und die auch den Blick auf die Probleme der Gesellschaft richtete. Der Songwriter und Produzent ihres letzten Albums, T-Bone Burnett war überrascht von der Qualität von Presleys Arbeit: „Als die Songs von Lisa Marie an meine Tür klopften, war ich neugierig, was die Tochter eines revolutionären amerikanischen Musikers wohl zu sagen hätte. Was ich hörte, war aufrichtig, rauh, eigenständig und beseelt.“
Und dann sagte Burnett noch: „Ihr Vater wäre stolz auf sie gewesen.“ Und legte den Finger in die Wunde. Lisa Marie Presleys musikalisches Schaffen litt unter dem riesigen Schatten, den Elvis geworfen hatte - ein Schicksal, das unter anderem die Beatlessöhne Julian Lennon, James McCartney und Dhani Harrison mit ihr teilen. Eine Betrachtung des eigenen Musikschaffens bleibt nie frei von Vergleichen, wenn man Superstars als Eltern hat.
„Ich schreie heraus, was passiert, aber niemand hört mich“
Man gilt als Celebrity ohne Zutun, geboren mit dem goldenen Löffel im Mund - Affären, öffentliche Auftritte oder im Fall von Presley ihre Mitgliedschaft bei Scientology stehen stärker im Fokus als das künstlerische Schaffen. Einer von Lisa Marie Presleys letzten Songs, „Forgiving“, lässt sich wie eine Abrechnung mit der stetigen Ignoranz der Medien lesen: „Ich kämpfe, ich trete um mich, ich brülle, ich schreie heraus was passiert / aber niemand hört mich.“
„Die Menschen machen mit ihrem eigenen Leben weiter“ Das wohl Schlimmste, was ihr, der vierfachen Mutter (unter anderem der Schauspielerin Riley Keough), je widerfuhr, war wohl der Tod ihres Sohnes Benjamin Keough, der vor zwei Jahren im Alter von nur 27 Jahren Selbstmord beging. Über die Einsamkeit der Trauer schrieb Lisa Marie Presley einen offenen Brief. „Obwohl die Menschen in der höchsten Not, direkt nach dem Verlust, für Sie da sind, verschwinden sie bald wieder und machen mit ihrem eigenen Leben weiter, und sie erwarten von Ihnen auch, dass Sie dasselbe tun“, war da zu lesen.
Gefolgt von einer Bitte: „Wenn Sie also jemanden kennen, der einen geliebten Menschen verloren hat, egal wie lange das auch her sein mag, rufen Sie ihn doch bitte an und fragen Sie, wie es ihm geht. Besuchen Sie ihn oder sie. Sie werden es wirklich sehr zu schätzen wissen, mehr als Sie vielleicht ahnen ...“
Gut anderthalb Jahre später wird Lisa Marie Presley nun selbst betrauert. Viel wird heute darüber zu lesen sein, dass sie zu Wochenbeginn noch mit ihrer Mutter Priscilla die Golden Globes besucht hatte, wo Elvis-Darsteller Aston Butler eine Auszeichnung erhalten hatte. Dass sie wenige Tage zuvor noch den 87. Geburtstag ihres Vaters gefeiert hatte. Viel wird an die Tochterrolle erinnert werden und an die privaten Dramen in ihrem Leben.
Nun gilt es, die Musik von Lisa Marie Presley zu entdecken Und deutlich weniger wird über ihre Musik zu lesen sein, die so berührend ist, in denen sie sich ihren Hörern selbst erzählt und ausgebreitet hat, und die es nun zu entdecken gilt. Wer „Storm & Grace“ von 2012 auflegt, wird über dieses schöne, weitgehend ungeschliffene Americana-Album vom selben Staunen erfasst werden wie damals T-Bone Burnett: „Ich habe mir die Füße zerschnitten / an all dem Glas, das ich zu Scherben machte. / Und ich bemühe mich immer noch, einen Weg zu finden / unzerbrochen zu machen, was zerbrochen wurde“, singt Presley da im bluesrockigen „Un-break“, einem Reuebekenntnis.
Und zum geisterhaften Countrytwang von „So Long“ nimmt sie vorweg, was man nun für sie hofft: „So long, farewell, auf Wiedersehen, say nothing at all, if you„ve got nothing nice to say“, singt sie da zum Teil auf Deutsch. „Sag nichts, wenn du nichts Nettes zu sagen weißt.“ Über die Toten, das erbaten sich schon die alten Griechen und Römer, solle man nichts sagen, wenn nicht Gutes.