Herr Mützenich, das Hochwasser hat auch in Köln viele Schäden hinterlassen. Hatten Sie Wasser im heimischen Keller?Rolf Mützenich: Ich persönlich nicht. Aber ich kenne einige in Köln, die Wassereinbrüche im Keller zu beklagen hatten. Insgesamt hat die Stadt aber großes Glück gehabt. Bereits 20 Kilometer weiter haben wir eine verheerende Situation – mit Verzweiflung über das verlorene Hab und Gut und tiefer Trauer über die Toten.
Das Entsetzen über das, was in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bei der Unwetterkatastrophe passiert ist, ist riesig. Ist Deutschland in Sachen Warnsystemen bislang nicht gut genug aufgestellt?
Im Vordergrund muss jetzt die konkrete Hilfe für die Hochwasseropfer, auch die Suche nach Menschen, die wahrscheinlich ums Leben gekommen sind, stehen. Die Frage, welche Konsequenzen wir beim Katastrophenschutz ziehen, auch ob es an bestimmten Stellen mehr Bundeskompetenz braucht, müssen wir genau abwägen. Dazu gehört auch, wo und wie bei den Warnsystemen nachjustiert werden muss. Auf jeden Fall muss das besser werden, aber solche Entscheidungen bricht man nicht übers Knie.
Welche Erwartung haben Sie an die Bundesländer, die nicht vom Hochwasser betroffen und auch weniger gefährdet sind, sich finanziell am Wiederaufbau, aber auch an der Absicherung künftiger Risiken zu beteiligen?
Niemand sollte sich vormachen, dass er künftig von solch dramatischen Wettereignissen verschont bleibt. Das veränderte Klima erhöht für alle Bundesländer das Risiko, so getroffen zu werden wie es jetzt in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz der Fall ist. Ich rufe alle Länder dazu auf, gemeinsam mit dem Bund zu einer solidarischen Fondslösung zu kommen, um die künftigen Risiken aus Unwetterkatastrophen abzusichern. Aber einige habe ja schon ihre Hilfe zugesagt, wie etwa Stephan Weil, der Ministerpräsident von Niedersachsen.
Armin Laschets Lachen während einer Rede des Bundespräsidenten im Hochwassergebiet hat viel Entsetzen und Kritik hervorgerufen. Ist Laschets Fehler menschlich nachvollziehbar – oder darf so etwas einem Spitzenpolitiker nicht passieren?
Das war ein verstörendes Bild, das Armin Laschet da abgegeben hat, das weiß er auch selbst. Aber es geht jetzt nicht um Armin Laschet, sondern um die Menschen, die in schlimme Not geraten sind.
Welche klimapolitischen Folgerungen ziehen Sie aus der Unwetterkatastrophe. Muss Deutschland sich hier schneller bewegen?
Wir bewegen uns schnell – aber wir müssen noch einmal an Tempo zulegen, um die Klimaziele zu erreichen. Unsere Umweltministerin Svenja Schulze hat gerade gute Vorschläge hierzu gemacht. Für die SPD ist aber auch klar: Deutschland muss bei einer Politik bleiben, bei der insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Strukturwandel mitgehen können. Die SPD wird wie in der Vergangenheit beim Kampf gegen den Klimawandel die soziale Frage nicht vergessen, sondern beides miteinander verknüpfen.
Stehen wir in der Corona-Pandemie am Beginn der vierten Welle?
Die Gefahr einer vierten Welle in der Corona-Pandemie ist höchst real. Die Deltavariante ist dominant, die Infektionszahlen steigen. Wir müssen das Impftempo erhöhen, damit wir im Wettlauf mit dem Virus nicht zurückfallen. Das Robert-Koch-Institut geht auf der Grundlage von Umfragen davon aus, dass insgesamt 85 Prozent der Bevölkerung bereit sind, sich impfen zu lassen. Diese Menschen müssen wir alle erreichen.
Wie wollen Sie das schaffen?
Wenn die Menschen nicht zur Impfung kommen, dann muss die Impfung zu den Menschen kommen. Die bisherigen Erfahrungen damit, Impfmobile in bestimmte Stadtviertel zu schicken, sind gut. Diese Möglichkeiten müssen wir komplett ausreizen. Generell gilt es, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind. Da gibt es auch schon viele gute Beispiele. Ich finde es gut, wenn auch in Einkaufzentren, Stadien, Konzerthallen oder an größeren Bahnhöfen möglichst viele Menschen geimpft werden. Auch für jüngere Menschen brauchen wir zielgenaue Angebote.
Was genau schlagen Sie für jüngere Menschen vor?
Die Impfmobile sollten in größeren Städten abends an den Plätzen stehen, wo junge Menschen sich treffen. Der Kreativität dürfen keine Grenzen gesetzt sein, wenn es darum geht, alle Impfwilligen zu erreichen.
Kanzleramtsminister Helge Braun hat angekündigt, dass es bei hohem Infektionsgeschehen zu Einschränkungen für Nicht-Geimpfte kommen könnte, die diese dann auch nicht mittels Testungen aufheben könnten, etwa was die Frage eines Restaurant-, Kino- oder Strandbesuchs angeht. Was sagen Sie dazu?
Ich bin überrascht, dass das Kanzleramt bereits jetzt mit neuen Vorschlägen um die Ecke kommt. Wir müssen uns gegenwärtig auf die noch große Zahl der Impfwilligen konzentrieren, die sich noch nicht impfen lassen konnten. Mit Drohungen werden wir auf der anderen Seite das Impfverhalten einzelner nicht nachhaltig verändern. Im übrigen bestehen für eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Getesteten hohe verfassungsrechtliche Hürden.
Was ist mit denen, die sich nicht impfen lassen wollen? Muss nicht zumindest klar sein, dass diese Menschen ab einem bestimmten Punkt auch selbst für die Kosten von Tests aufkommen, die bislang im Alltag in der Pandemie auch den Ungeimpften Freiheiten eröffnen?
Wir müssen weiter unermüdlich darüber aufklären, wie gut die Impfung vor Ansteckung oder auch einem schweren Krankheitsverlauf schützt. Momentan ist die Impfquote noch nicht hoch genug, um auf das Angebot kostenloser Tests als Mittel zur Eindämmung der Pandemie zu verzichten. Ab einem bestimmten Punkt werden Tests aber kein Gut mehr sein, das von der Öffentlichkeit finanziert wird. Wer dauerhaft ohne gesundheitlichen Grund Impfangebote ausschlägt, wird die Tests dann auch selbst bezahlen müssen.
Polen und die Ukraine sehen in der Erdgaspipeline Nord Stream 2 eine Bedrohung für die eigenen Länder und ganz Mitteleuropa. Halten Sie die Einigung von Deutschland und den USA trotzdem für richtig?
Ja. Es ist richtig, Nord Stream 2 fertig zu bauen und in Betrieb zu nehmen. Gerade, weil wir die Energiewende in Deutschland schnell schaffen wollen, gleichzeitig aus Atom- und Kohleenergie aussteigen, brauchen wir Gas als Brückentechnologie. Wir lassen die Ukraine auch nicht im Stich, sondern möchten mit ihr sogar über Kooperationen bei der Produktion von Wasserstoff sprechen.
Die Grünen sind weiter für den Stopp von Nord Stream 2. Sind die Bedenken gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht berechtigt?
Ich wundere mich immer wieder, was für eine einäugige Politik die Grünen mit Blick auf Nord Stream 2 betreiben. Ein Verzicht auf das Projekt brächte Deutschland keine energiepolitisch weiße Weste. Da müssten wir noch auf ganz andere Energiepartner verzichten – das geht aber nicht, wenn wir ein funktionierendes Industrieland bleiben wollen. Annalena Baerbock betreibt bei Nord Stream 2 eine recht simpel gestrickte Symbolpolitik. Das reicht vielleicht für den Wahlkampf aus, aber nicht dafür, den Realitätstest zu bestehen.
„Entweder führen oder nichts“ hat ihr Parteichef Norbert Walter-Borjans zu Regierungsoptionen der SPD nach der Wahl gesagt. Stimmen Sie zu?
Die SPD will und wird die nächste Regierung anführen. Olaf Scholz ist der einzige der drei Kanzlerkandidaten, der den Herausforderungen des Amtes an der Spitze der Regierung von der ersten Stunde an gerecht werden kann. Das Kanzleramt ist kein Übungsplatz.
Damit Scholz Kanzler werden kann, müssten Sie erstens die Grünen überholen und eine Ampelkoalition unter Einbeziehung der FDP schmieden, die Steuererhöhungen kategorisch ausschließt. Sie wollen Reiche stärker belasten. Wie soll das zusammen gehen?
Ich habe die FDP als sehr wandlungs- und lernbereite Partei kennengelernt. Ich traue ihr – egal ob in der Regierung oder in der Opposition – auch die Erkenntnis zu, dass in Zeiten so großer finanzieller Herausforderungen breite Schultern einen größeren Beitrag leisten müssen.
Christian Lindner möchte in der nächsten Bundesregierung Finanzminister werden. Sind Sie einverstanden?
Über die Berufswünsche eines FDP-Vorsitzenden habe ich mir noch nie Gedanken gemacht – muss ich auch nicht.