Brüssel – Am Abend machte der russische Wladimir Putin den letzten diplomatischen Vorstößen zur Vermeidung von Sanktionen durch die westliche Welt den Garaus: Denn die Anerkennung der beiden Regionen im Osten der Ukraine durch Russland hat den Konflikt im äußersten Osten Europas noch weiter angeheizt.
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EU und USA verhängen Sanktionen - auch ohne Einmarsch in die Ukraine
Die Reaktionen auf eine Ansprache Putins, die im russischen Fernsehen übertragen worden war, waren düster. „Die Anerkennung der beiden separatistischen Gebiete in der Ukraine ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht, die territoriale Integrität der Ukraine und die Minsker Abkommen“, twitterte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: „Die EU und ihre Partner werden geschlossen, entschlossen und entschlossen in Solidarität mit der Ukraine reagieren.“
Wortgleiche Erklärungen wurden auf den Twitter-Accounts des EU-Ratspräsidenten Charles Michel und des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell veröffentlicht.
Nur kurze Zeit später folgte auch die offizielle Ankündigung von Sanktionen. Die Strafmaßnahmen sollen diejenigen treffen, die an der Handlung beteiligt seien, kündigten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Montagabend an. Was für Sanktionen nun verhängt werden, blieb zunächst offen.
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Nach früheren Angaben von Ursula von der Leyen umfasst das vorbereitete Paket der EU Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Personen sowie finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen. So könnten Ausfuhrverbote für wichtige High-Tech-Komponenten erlassen werden und Russlands Zugang zu internationalen Finanzmärkten behindert werden.
Auch die US-Regierung kündigte Sanktionen an. US-Präsident Joe Biden werde in Kürze eine entsprechende Anordnung erlassen, teilte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Montag mit. Die Maßnahmen träfen unter anderem Investitionen oder Handel von US-Personen mit Blick auf Donezk und Luhansk.
Das Minsker Abkommen ist gescheitert
Eine Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken bedeutet de facto das endgültige Aus für das sogenannte Minsker Abkommen. Mit diesem Vertrag aus dem Jahr 2015 versuchten Deutschland und Frankreich bis zuletzt, Druck aus dem Kessel zu nehmen – ohne Erfolg allerdings.
Das Abkommen war eine Art Fahrplan zum Frieden, der allerdings seit fast sieben Jahren in wesentlichen Teilen nicht umgesetzt wurde. Denn Russland und die Ukraine legten das Abkommen in wichtigen Punkten sehr unterschiedlich aus und gaben einander die Schuld, dass es bisher nicht umgesetzt wurde.
Größter Streitpunkt war die Frage, in welcher Reihenfolge die Abmachungen von Minsk umgesetzt werden. Die sogenannte Steinmeier-Formel, benannt nach dem damaligen deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, sah vor, dass erst Wahlen im Donbass abgehalten werden und danach die Regierung in Kiew nach und nach wieder die Kontrolle über die Grenzabschnitte zu Russland erhalten sollte.
Putin erkennt selbst ernannte Volksrepubliken in Ostukraine als unabhängig an
Kiew dagegen bestand darauf, zuerst die Kontrolle über die etwa 400 Kilometer lange Grenze zu Russland wiederzubekommen. Erst dann könnten Wahlen in den Separatistengebieten stattfinden. Zudem müssten vor Wahlen alle ausländischen, aus Kiewer Sicht also russischen Kämpfer die Separatistengebiete verlassen und die Aufständischen ihre Waffen abgeben.
Kreml leugnet Beteiligung an Konflikt im Donbass
Das wiederum akzeptierte Russland nicht. Der Kreml sieht sich als Vermittler in einem ukrainischen Bürgerkrieg und leugnet eine Beteiligung an dem Konflikt. Trotzdem hat Russlands Präsident Wladimir Putin seit 2019 etwa 600.000 Menschen in der Region russische Pässe gegeben.
Russland versuchte zudem, die Separatistengebiete auch wirtschaftlich an sich zu binden. Seit 2017 hat Kiew eine Wirtschaftsblockade verhängt. Diese hat viele Bewohner der Region in die Arme Russlands getrieben.
Eine Anerkennung der Regionen Luhansk und Donezk durch Russland macht Verhandlungen über das Minsker Abkommen obsolet. Spätestens seit die prorussischen Separatistenführer in beiden Regionen Putin um Beistand gegen die ukrainischen Regierungstruppen gebeten haben, scheint das klar zu sein.
Die Anerkennung deutete sich bereits an, seit das vom Kreml dominierte russische Parlament sich dafür aussprach. Am Montag unterstützte dann der russische Sicherheitsrat den Parlamentsantrag mit großer Mehrheit. In Moskau hieß es, alle Beteiligten im russischen Sicherheitsrat, darunter Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu, hätten sich ebenfalls für die Anerkennung der Regionen Donezk und Luhansk ausgesprochen.
Abkühlung oder weitere Eskalation? Wie es jetzt weitergehen könnte
Die russische Führung gab sich zunächst unbeeindruckt von Sanktionsdrohungen. Russland sei sich im Klaren darüber, dass der Schritt angesichts der vom Westen angedrohten Sanktionen ernste Folgen haben werde, sagte der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats und ehemalige Staatspräsident, Dmitri Medwedew. Es gebe angesichts der Lage aber keine andere Möglichkeit, als die Gebiete anzuerkennen.
Der Druck auf Russland werde beispiellos sein, so Medwedew. Die Hoffnung sei, dass sich der Konflikt danach abkühle.
Das ist allerdings alles andere als sicher. Westliche Vertreter warnen ebenfalls schon seit Tagen, dass Russland mit der Anerkennung der Separatistengebiete einen Vorwand für einen Einmarsch in die Ukraine schaffen könnte.
Dafür spricht, dass Putin die Staatlichkeit der Ukraine als Ganzes in seiner Fernsehansprache infrage stellte. Der Kremlchef bezeichnete die Ukraine als einen durch Russland unter dem kommunistischen Revolutionsführer Lenin geschaffenen Staat. Die Denkmäler Lenins seien dort zerstört worden als Zeichen der „Dekommunisierung“, sagte er mit Blick auf die Abschaffung der Überreste des Kommunismus. „Wir sind bereit, der Ukraine zu zeigen, was eine echte Dekommunisierung ist.“
„Das ist hoch gefährlich“
Die Ukraine habe nie eine „echte Staatlichkeit“ gehabt, sondern vielmehr Modelle kopiert, sagte Putin. Dort hätten heute Radikale und Nationalisten das Sagen - unter den Kuratoren des Westens, die das Land in die Sackgasse geführt hätten. Korruption und Machtkämpfe von Oligarchen würden verhindern, dass es den Menschen in der ehemaligen Sowjetrepublik besser gehe.
In einer Reaktion auf diese Darstellung Putins schrieb der in der Sowjetunion geborene Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky (Grüne) auf Twitter: „Putin erhebt de facto Anspruch auf alle früheren Teile des Russischen Reiches. Das ist hoch gefährlich.“
Lagodinsky sagte gegenüber dem RND, die angekündigte Anerkennung der sei „ein Angriff auf ukrainische Souveränität und territoriale Integrität“. EU und USA müssten abgestimmt und klar reagieren, auch mit Sanktionen. Massive Völkerrechtsverletzungen und Grenzverschiebungen in Europa dürften nicht ohne Reaktion bleiben. „Die Menschen in der Ukraine sind nicht Spielball ausländischer Diktatoren.“
Seiner Ansicht nach habe die Putin-Rede allerdings Grundlagen für viel mehr als nur Anerkennung sogenannter „Republiken“ gelegt. „Sie enthält ein programmatisches Umschreiben der Geschichte in eine imperiale Erzählung, die eine vermeintliche Kontinuität zwischen dem russischen Reich, der Sowjetunion und dem heutigen Russland darlegt.“ Inhaltlich sei das nichts Neues. Aber durch die Rede würden diese Thesen zur außenpolitischen Doktrin erhoben. „Das ist ein gefährlicher Vorbau für weitere aggressive Expansionen und Einmischungen in Russlands Umgebung. Dieser Erzählung müssen wir alle klar entgegentreten.“
Alle ehemaligen Republiken der UdSSR seien selbstverständliche Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, souveräne Staaten unter unbedingtem Schutz durch die UN-Charta. (RND)