Berlin – Im vergangenen Frühjahr, als Robert Habeck die größte Niederlage seines politischen Lebens verkraften musste, hat er einen Satz gesagt, der einen Blick in seine Gefühlswelt und auf seinen Ehrgeiz offenbarte. „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen.“
Habeck hatte beiseite treten müssen, weil Annalena Baerbock die Kanzlerkandidatur für sich gewollt hatte. Und weil sie im Gegensatz zu ihm eine Frau ist und die Grünen dem Selbstverständnis nach eine feministische Partei. Er hat damit gehadert.
Der Aufstieg des Robert Habeck – Westerwelle als mahnendes Vorbild
Doch Politik ist ein schnelllebiges Geschäft. In der Niederlage – und vor allem dem Umgang damit – kann der Grundstein für späteren Erfolg gelegt werden. Das ist eine Erfahrung, die Habeck mit Olaf Scholz teilt. Der eine ist nun Kanzler, der andere sein Vize. Und bei der Kabinettssitzung an diesem Mittwoch darf Habeck auf dem Stuhl des urlaubenden Chefs Platz nehmen.
Obwohl er einen Hang zur politischen Inszenierung hat, wird Habeck klug genug sein, keine allzu große Sache daraus zu machen. Guido Westerwelle gilt als mahnendes Beispiel. 2010 hatte der damalige FDP-Chef nach der ersten Kabinettssitzung unter seiner Leitung die Hauptstadtjournalisten zur Pressekonferenz eingeladen – und wirkte plötzlich wie ein Gernegroß.
Der mächtigste Vizekanzler seit Jahren
Habeck hat das nicht nötig, sein politisches Gewicht kann in diesen Tagen ohnehin kaum überschätzt werden. Obwohl in der Ampelregierung die Macht durch drei Parteien geteilt wird, ist er der mächtigste Vizekanzler seit Jahren.
Sigmar Gabriel hatte seinerzeit die Zuständigkeit für erneuerbare Energien aus dem Umwelt- in das Wirtschaftsministerium transferiert, Habeck verleibte sich auch noch den Klimaschutz ein. Anders als Olaf Scholz ist er in seiner Partei beliebt, anders als Philipp Rösler oder Guido Westerwelle im Volk. In der Kombination hat es das eigentlich noch nie gegeben.
Habeck ist dort stark, wo Olaf Scholz schwach ist
Als die Meinungsforscher von Forsa in der vergangenen Woche zum ersten Mal die Präferenz für den Grünen-Politiker in der „Kanzlerfrage“ erhoben, schoss Habeck gleich an die Spitze. Fast jeder dritte Wahlberechtige (31 Prozent) würde sich in einer – freilich nur theoretisch möglichen – Direktwahl für ihn als Regierungschef entscheiden. Amtsinhaber Scholz käme auf 26, Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) auf 17 Prozent.
In der SPD, die in der Sonntagsfrage inzwischen wieder hinter den Grünen auf Platz drei rangiert, kommentieren sie solche Umfragen mit demonstrativer Gelassenheit – zumindest nach außen. Klassisches „Zwischenwahlhoch“ der Grünen, abgerechnet werde in drei Jahren, kein Grund zur Panik – solche Sätze sagen Genossen derzeit häufig.
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Es sind auch Durchhalteparolen an die eigenen Leute, denn natürlich haben sie auch in Willy-Brandt-Haus und Kanzleramt bemerkt, dass Habeck ausgerechnet in den Disziplinen brilliert, in denen der Kanzler Schwächen hat: Rhetorik, Ansprache, Kommunikation.
Der Kanzler ackert, der Schattenkanzler strahlt
Scholz kann sich noch so Mühen, durch Talkshows tingeln, zu Bürgerveranstaltungen einladen, im Bundestag auf den Tisch hauen oder den Urlaub für eine Pressekonferenz unterbrechen – im Vergleich zu Habeck wirkt der Mann aus Hamburg hölzern, unnahbar, irgendwie technokratisch. Der Kanzler ackert, der Schattenkanzler strahlt – auch das ist neu.
Erwächst Olaf Scholz der stärkste Konkurrent im eigenen Kabinett? Möglich ist das allemal. Gleichzeitig stimmt aber natürlich der Satz der Sozialdemokraten, dass es bis zur nächsten Wahl noch ein verdammt langer Weg ist.
Herausforderungen im Ressort groß
Und die Probleme, die sich im Ressort von Robert Habeck aufgetürmt haben, sind gigantisch. Ölversorgung, Kohlelogistik, Gasknappheit, Klimakrise, Energiewende und womöglich auch noch eine Rezession: Die Aufgaben würden locker für drei oder mehr Legislaturperioden reichen. Und wer weiß, was Wladimir Putin noch alles im Schilde führt, und wie die Deutschen reagieren, wenn im Winter tatsächlich das Gas knapp wird und die Arbeitslosigkeit steigt. Schon jetzt nehmen Populisten und Pöbler von Rechts Habeck ins Visier.
Vor Robert Habeck liegen harte Monate, wahrscheinlich Jahre. Wenn es ihm gelingt, Wirtschaft und Verbraucher heil durch diese Krise zu manövrieren, den Klimaschutz nicht aus den Augen zu verlieren und dabei halbwegs beliebt zu bleiben, dürfte er in drei Jahren zumindest die Chance bekommen, sich seinen Wunsch aus dem vergangenen April zu erfüllen. So er das dann überhaupt noch will.