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Scholz, Klingbeil und Co.Wie die Macht bei der SPD strukturiert ist

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SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz

Vor Olaf Scholz liegt eine Aufgabe, die einem Jenga-Spiel gleicht. Bei dem Geschicklichkeitsspiel geht es darum, in einem Turm aus Bauklötzen die einzelnen Teile so umzugruppieren, dass das Gebäude höher wird – und vor allem nicht einstürzt. Scholz muss – für den Fall, dass ihm eine Ampel-Koalition mit SPD, FDP und Grünen gelingt – nicht nur innerhalb des Bündnisses, sondern auch in der eigenen Partei eine Machtarchitektur finden, die ihn über vier Regierungsjahre trägt.

Die SPD befindet sich in einer seltsamen Situation. Es ist ein bisschen so, als hätte man auf dem Kindergeburtstag erst gesagt: “Tut uns leid, wir haben ganz vergessen, Kuchen zu besorgen.„ Plötzlich steht doch eine Torte auf dem Tisch – und die Frage ist, wer welches Stück bekommt.

Macht es Olaf Scholz wie Schmidt und Schröder?

In der größten Regierungspartei gibt es immer drei potenzielle Machtzentren: das Kanzleramt, die Partei und die Fraktion. Ein Kanzler Scholz müsste nicht nur die Interessen von SPD, FDP und Grünen austarieren, sondern auch die innerhalb der SPD. Regierungen unter Unions-Führung funktionieren üblicherweise so, dass die Kanzlerin oder der Kanzler ebenfalls Parteivorsitzender ist – auch wenn es bei Merkel zuletzt anders war. Helmut Schmidt dagegen war als Kanzler kein SPD-Chef – und auch Gerhard Schröder hielt an der Parteispitze nur begrenzte Zeit durch.

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Scholz will als Kanzler nicht den SPD-Vorsitz anstreben. Er hat es vor zwei Jahren versucht – und die Basis entschied sich für die bis dahin recht unbekannte Bundestagsabgeordnete Saskia Esken sowie den früheren nordrhein-westfälischen Finanzminister Norbert Walter-Borjans. Eine Demütigung, die einen weniger zähen Politiker als Scholz zum Rückzug bewegt hätte. Das Verrückte ist: Die Niederlage von damals bildete die Grundlage für den Sieg des 63-Jährigen bei der Bundestagswahl.

Saskia Esken will Parteichefin bleiben

Denn nachdem Scholz sich als Finanzminister mit den beiden Vorsitzenden in der täglichen Zusammenarbeit arrangiert hatte, riefen sie ihn nicht nur zum Kanzlerkandidaten aus. Sie hielten Scholz auch besser den Rücken beim linken Teil der Parteibasis frei, als dies zuvor Andrea Nahles gelungen ist. Dass die beiden bei Ampel-Verhandlungen mit am Tisch sitzen, ist wichtig, um schwierige Kompromisse mit der FDP in die Partei hinein zu vermitteln.

Esken hat bereits vor der Wahl klar erkennen lassen, dass sie als Parteichefin gern weitermachen würde. Walter-Borjans äußert sich weniger eindeutig. Manch einer glaubt, der 69-Jährige wolle sich den Stress des Vorsitzes nicht mehr unbedingt antun.

Gerät die Macht in der SPD durcheinander?

Jede Änderung könnte die Führungsarchitektur in der SPD, die zur Überraschung vieler seit einiger Zeit ein recht stabiles Konstrukt ist, durcheinanderbringen. Scholz hätte nichts dagegen, wenn beide Parteivorsitzenden weitermachen sollten. Man kann ja nie sicher sein, wer danach kommt. Als umjubelter Wahlsieger hat Scholz erst einmal viel Beinfreiheit. Doch die Konflikte mit dem linken Flügel werden irgendwann wieder aufbrechen. Konflikte mit Esken und Walter-Borjans sind zumindest gelernt.

An der Spitze der Fraktion ist Rolf Mützenich (62) gerade erst wiedergewählt worden – mit Unterstützung von Scholz und 97 Prozent Zustimmung. Er gilt als jemand, auf den Scholz sich verlassen könnte, der umsichtig führt und der zugleich ein guter Trainer für jüngere Talente in der Fraktion sein kann. Sein Name wird aber auch bei der Frage nach dem nächsten Bundestagspräsidenten immer wieder genannt.

„Jeden Parlamentarier, auch mich, ehrt es, für das Amt des Bundestagspräsidenten gehandelt zu werden“, sagt Mützenich selbst. Entschieden sei aber noch nichts. Mit einem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und einem Kanzler Olaf Scholz wäre – nach allem, was Scholz über Feminismus gesagt hat – bei diesem hohen Staatsamt eigentlich eine Frau am Zug. Geeignete Kandidatinnen mit entsprechender Autorität und Parlamentserfahrung sind in der neuen SPD-Fraktion aber Mangelware.

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Für den Fall, dass Mützenich Bundestagspräsident werden sollte, gehen viele in der Fraktion davon aus, dass Matthias Miersch sein Nachfolger als Fraktionschef würde. Der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion ist so selbstbewusst wie fachpolitisch versiert. Der 52-Jährige aus Hannover galt im Vorfeld der Bundestagswahl vielen als wahrscheinlichster Kandidat für einen Neuanfang an der Fraktionsspitze, falls die SPD mit einem schlechten Ergebnis in die Opposition gegangen wäre. Für Scholz könnte ein Vorsitzender Miersch in Regierungszeiten eine gute Brücke zur Fraktion sein, die mit der Wahl noch einmal ein Stück nach links gerückt ist.

So sind die Jusos ein neuer Machtfaktor in der SPD-Fraktion. Sie stellen mit 49 Abgeordneten fast ein Viertel der Mitglieder dort, unter ihnen SPD-Vize Kevin Kühnert und Juso-Chefin Jessica Rosenthal. Falls die Parlamentsneulinge sich etwa bei Ausschusswünschen alle nur hintenanstellen müssen, ist Unmut programmiert.

Jusos wollen mitmischen

Auch bei Koalitionsverhandlungen wollen die Jusos mitmischen. „Wenn nach den Sondierungen konkret über die Inhalte der Ampel verhandelt wird, müssen die Jusos mit am Tisch sitzen“, sagt Juso-Chefin Rosenthal. „Für uns geht es dabei um sozialen Fortschritt wie beispielsweise die Überwindung von Hartz IV, genauso wie um die Durchsetzung unserer jungendpolitischen Forderungen.“ Miersch hat einen guten Draht zu Kühnert, der ihm als Fraktionschef von Nutzen sein könnte, wenn es gilt, die Eskalation von Konflikten zu verhindern.

Ohne Mützenichs Zustimmung wäre ein Wechsel an der Fraktionsspitze allerdings schwer denkbar. Der Kölner, der das Amt nach dem Rückzug von Andrea Nahles erst interimsmäßig und dann richtig übernommen hat, wird von allen wegen seiner anständigen Art geschätzt. „Mützenich herauszufordern, bringt ungefähr so viele Sympathien ein wie zu sagen: «Ich will Bambi töten»“, sagt jemand aus der Fraktion.

Auf Olaf Scholz wartet das Niedersachsen-Problem

Bei der Auswahl der Ministerinnen und Minister dürfte Scholz vor allem der Regionalproporz noch viel Kopfzerbrechen bereiten. Oder, anders ausgedrückt: das Niedersachsen-Problem. Hubertus Heil aus Peine war als Arbeitsminister unter anderem bei der Durchsetzung der Grundrente sehr erfolgreich – es gäbe kaum Argumente ihn für dieses Ressort nicht wieder ins Kabinett zu holen. Das Ministerium für Arbeit und Soziales ist für die SPD eines, auf das sie in einer Bundesregierung auf jeden Fall Anspruch erheben würde.

Doch auch Lars Klingbeil, als SPD-Generalsekretär der Organisator der erfolgreichen Wahlkampagne, kann berechtigte Ansprüche auf einen Ministerposten anmelden. Der Name des 43-Jährigen, der in seinem konservativen Wahlkreis mit 47,6 Prozent der Stimmen das Direktmandat gewann, fällt oft im Zusammenhang mit dem Verteidigungsministerium. Zwei Niedersachsen im Kabinett und dazu womöglich auch noch einer als Fraktionsvorsitzender, das könnte schwierig werden. Fehlt wie beim Kinderspiel Reise nach Jerusalem ein Stuhl?

Frauen und Männer paritätisch besetzt?

Auch andere Landesverbände wollen angemessen berücksichtigt werden. Für Scholz wird es mit den bereits gesetzten Männern – darunter auch sein langjähriger Vertrauter Wolfgang Schmidt als künftiger Chef des Kanzleramts – zudem gar nicht so leicht sein, sein Versprechen zu erfüllen, das Kabinett paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen. Das gilt, obwohl etwa die Karriere von Außenminister Heiko Maas vorbei sein dürfte – nicht nur, weil die SPD das Ressort abgeben muss, sondern auch weil er im Amt nicht überzeugt hat.

Parteichefin Saskia Esken könnte sich den Job als Bildungsministerin gut vorstellen – und womöglich wäre es für Scholz attraktiv, sie in die Kabinettsdisziplin einzubinden. Svenja Schulze, der in der SPD ein ordentlicher Job als Umweltministerin bescheinigt wird, hat gute Chancen noch mal ins Kabinett zu kommen – auch wenn ihr bisheriges Ressort an die Grünen gehen dürfte. Justizministerin Christine Lambrecht, die angesichts des lange andauernden SPD-Umfragetiefs nicht mehr für den Bundestag kandidiert hatte, will jetzt doch gern wieder ins Kabinett – das kommt nicht bei allen gut an.

Mehrere Frauen kommen in Frage

In den Ländern gibt es eine Reihe ministrabler SPD-Frauen: von der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig, die schon mal Staatssekretärin im Bundesjustizministerium war, bis hin zur hessischen SPD-Chefin Nancy Faeser. Auch der Osten muss repräsentiert sein, wobei Überraschungskandidatinnen auch diesmal nicht ausgeschlossen sind. Franziska Giffey, damals noch Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln, war so eine, als sie Familienministerin wurde.

Es sieht so aus, als wenn es in der SPD bald eine Menge zu verteilen gibt. Das macht manches leichter. Es gibt aber auch nie genug attraktive Jobs, um alle glücklich zu machen. Der Kuchen ist nie groß genug. Scholz braucht für das schwierige Projekt Ampelkoalition in der SPD eine Machtarchitektur, die trägt. Dazu müssen die Machtzentren Parteizentrale und Fraktion einerseits funktionieren. Sie sollen aber andererseits auch nicht so stark werden, dass sie ein zu reges Eigenleben neben dem Kanzleramt entwickeln. Zur Überraschung vieler hat all das im vergangenen Jahr gut geklappt. Es ist ein Jenga-Spiel, bei dem Scholz über jeden Stein, den er anfassen möchte, genau nachdenken muss.