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Stichwahl in der TürkeiAnhänger feiern Kilicadaroglu als „Hoffnung des Volkes“

Lesezeit 5 Minuten
Türkei, Ankara: Anhänger von Kilicdaroglu, dem 74-jährigen Vorsitzenden der Mitte-Links- und pro-säkularen Republikanischen Volkspartei (CHP), jubeln vor der Parteizentrale in Ankara, Türkei. Mehr als 64 Millionen Menschen, darunter 3,4 Millionen Wähler aus dem Ausland, waren wahlberechtigt.

Anhänger von Kilicdaroglu, dem 74-jährigen Vorsitzenden der Mitte-Links- und pro-säkularen Republikanischen Volkspartei (CHP), jubeln vor der Parteizentrale in Ankara, Türkei.

An der Parteizentrale von Präsident Erdogan in Ankara hängen Flaggen mit dessen Konterfei und der Aufschrift „Der richtige Mann zur richtigen Zeit“. Die Opposition baut darauf, dass Erdogans Zeit mit der Wahl in der Türkei nun abgelaufen ist. Nun kommt es vermutlich zur Stichwahl.

Zwei Stunden lang wartet Türkan Soysal vor der Arjantin-Grundschule in Ankara auf Kemal Kilicdaroglu. Der Präsidentschaftskandidat der Opposition in der Türkei will am späten Sonntagvormittag in dem Schulgebäude in der Hauptstadt seine Stimme abgeben. Soysal ist 89 Jahre alt, sie hat ein Gedicht für den Politiker geschrieben, das sie ihm überreichen will – darin preist sie die Tapferkeit und den Mut des 74-Jährigen.

Die glühende Anhängerin des säkularen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk macht kein Geheimnis daraus, dass sie sich nichts sehnlicher wünscht als die Abwahl der islamisch-konservativen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan. „Ich habe in meinem Leben viele Regierungen erlebt“, sagt sie. „Aber so eine habe ich noch nie gesehen.“

„Recht – Gesetz – Gerechtigkeit“

Um 11.25 Uhr ist es so weit, Kilicdaroglu ist fünf Minuten zu früh am Wahllokal. Zahlreiche Menschen warten hier auf ihn, Beifall brandet auf, als der Chef der größten Oppositionspartei CHP den Schulhof betritt. Seine Anhänger skandieren „Kilicdaroglu – Hoffnung des Volkes“, „Präsident Kilicdaroglu“, „Recht – Gesetz – Gerechtigkeit“. Ein weiterer Sprechchor lautet „Alles wird sehr schön werden“, einige Menschen formen dabei Herzen mit ihren Händen. Dieser Spruch wurde vor allem durch den CHP-Politiker Ekrem Imamoglu bekannt, der 2019 die Bürgermeisterwahl in Istanbul gewann. Erdogan ließ die Wahl annullieren. Im zweiten Durchgang bekam Imamoglu noch mehr Stimmen.

Can Merey

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Das Hauptquartier von Erdogans AKP ist nur eine gute Viertelstunde zu Fuß von der Schule entfernt, in der Kilicdaroglu wählt. Ak heißt auf Türkisch weiß, entsprechend ist der mehrstöckige Bau in dieser Farbe gehalten. Riesige Flaggen mit Erdogans Konterfei hängen von den Seitenflügeln des Gebäudes, „Der richtige Mann zur richtigen Zeit“ lautet die Beschriftung.

Unterstützer von Tayyip Erdogan vor der Parteiszentrale in Ankara. Die Männer sind in dir türkische Flagge, in ein Banner mit Erdogans Konterfei und in eine Flagge mit dem Logo der AK bekleidet.

Unterstützer von Präsident Tayyip Erdogan vor der Parteizentrale.

Auf dem Parkplatz stehen Wahlkampf-Busse mit Erdogans Konterfei. Am Abend werden sich hier Anhänger des Ausnahmepolitikers versammeln, der die Türkei seit mehr als 20 Jahren regiert – erst als Ministerpräsident, dann als Präsident. Seit Atatürk hat niemand die Türkei stärker geprägt als er.

Zahlreiche regierungskritische Journalisten sind im Gefängnis

Noch stehen hier vor allem Polizisten, die vom Reporter verlangen, Fotos von der Parteizentrale wieder zu löschen, weil Sicherheitskräfte darauf zu sehen sind. Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist die Türkei unter Erdogan auf Platz 165 von 180 abgestürzt, zahlreiche regierungskritische Journalisten sind im Gefängnis. Auf der zum Parkplatz gewandten Seite der Parteizentrale verläuft über die gesamte Breite ein Balkon. Von hier aus hält Erdogan in den Wahlnächten in der Regel vor jubelnden Anhängern seine Siegesreden.

Ob er sich auf dem Balkon in der Nacht zu Montag für einen weiteren seiner zahlreichen Wahlerfolge wird feiern lassen können, ist offen. Umfragen zufolge hat der von einer Sechs-Parteien-Allianz aufgestellte Kilicdaroglu gute Chancen, Erdogan abzulösen – es wäre ein politischer Paukenschlag. Da bei der Wahl am Sonntag mit Sinan Onan noch ein dritter, aber aussichtsloser Bewerber kandidiert, könnte es in zwei Wochen zur Stichwahl kommen – das wäre dann der Fall, wenn weder Erdogan noch Kilicdaroglu am Sonntag eine absolute Mehrheit bekommen.

Im Rennen um das Präsidentenamt liegt Erdogan am Montag nach Angaben der Wahlbehörde vorne, muss sich aber voraussichtlich einer Stichwahl stellen. Demnach erhielt der Präsident 49,49 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kilicdaroglu 44,79 Prozent.

Misstrauen, ob Erdogan seine Macht aufgeben würde

Erdogan hat zwar angekündigt, eine mögliche Niederlage zu akzeptieren. Bei der Opposition ist das Misstrauen dennoch groß, ob der Amtsinhaber – der sich in den vergangenen gut zwei Jahrzehnten vom Reformer zum Autokraten gewandelt hat - tatsächlich seine Macht aufgäbe. Nicht zuletzt die Wahlwiederholung in Istanbul hat gezeigt, dass Erdogan fragwürdige Tricks in petto hat. Für Unruhe in sorgt auch, dass Innenminister Süleyman Soylu die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom Sonntag vorab als „politischen Putschversuch des Westens“ verunglimpft hat.

Schon der Wahlkampf verlief - wie in der Türkei seit langem üblich - nicht fair: Erdogan hat dafür staatliche Ressourcen eingesetzt, was ihm einen erheblichen Vorteil verschafft hat. Außerdem kontrolliert sein Umfeld die große Mehrheit der Medien, in denen vor allem Erdogan und seiner AKP eine Bühne geboten wird. Im Staatssender TRT kam Erdogan im vergangenen Monat nach Angaben von Oppositionsvertretern in der Rundfunkaufsichtsbehörde auf fast 33 Stunden Sendezeit, Kilicdaroglu dagegen auf gerade einmal 32 Minuten.

Am Wahltag selbst sind zahlreiche nationale unter internationale Wahlbeobachter im Einsatz, darunter auch Bundestagsabgeordnete. Die internationalen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarats wollen erst am Tag nach der Wahl eine Bilanz ziehen.

Hohe Wahlbeteiligung

Der türkische Anwalt Murat Deha Boduroglu beobachtet die Wahl für die Opposition in Istanbul, unter anderem ist er in Kasimpasa im Einsatz, also in Erdogans Heimatviertel. In den Vierteln, wo er gewesen sei, habe er bislang keine Unregelmäßigkeiten festgestellt, sagt er am Sonntagmittag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Generell sieht die Lage bis jetzt gut aus, zumindest in diesen Stadtteilen.“ Einig seien sich Wahlbeobachter und Parteivertreter in den Wahllokalen darin, dass die Beteiligung deutlich höher liege als bei vergangenen Wahlen.

Die Menschen, die Unrecht sehen, können nichts dagegen tun. Wer protestiert, kommt in Untersuchungshaft
Murat Deha Boduroglu

Boduroglu hofft auf eine Abwahl Erdogans. Die Türkei sei nach der Verfassung zwar ein Rechtsstaat, erinnere in der Praxis wegen der harten Repressionen inzwischen aber eher einem Polizeistaat, beklagt der Anwalt. Die Gerichte funktionierten nicht. „Die Menschen, die Unrecht sehen, können nichts dagegen tun. Wer protestiert, kommt in Untersuchungshaft.“ Der 53-Jährige fügt hinzu: „Das ganze Land ist inzwischen traumatisiert.“

Der Termin für eine Stichwahl ist der 28. Mai, Wählerinnen und Wähler mit türkischem Pass in Deutschland und anderen Ländern würden bereits zwischen dem 20. und 24. Mai ihre Stimme abgeben können.

Mitarbeit: Omer Fidan