In NRW sind 500.000 Türkinnen und Türken zur Wahl aufgerufen. Für viele von ihnen ist die Abstimmung eine Schicksalswahl.
Großer Andrang am KonsulatWas sich die Wähler in Hürth für ihre Türkei wünschen
Die Schlange wuchs zeitweise im Sekundentakt. Seit Donnerstag 9 Uhr dürfen auch im Generalkonsulat in Hürth die in Deutschland lebenden wahlberechtigten türkischen Staatsbürger ihre Stimme für die Parlaments- und Präsidentenwahlen in der Türkei abgeben. Und davon machten zum Auftakt bereits viele der etwa 70.000 Wahlberechtigten, die erfahrungsgemäß bei den Wahlen in der Türkei ihr Kreuzchen in Hürth setzen, Gebrauch.
Zunächst war allerdings Geduld gefragt, sowohl bei der Parkplatzsuche als auch anschließend in der Warteschlange. Das Konsulat setzte einen Shuttle-Bus ein. Er fuhr die Wähler, die teilweise aus den Niederlanden, Belgien, Aachen und dem Rhein-Sieg-Kreis nach Hürth kamen, von einem abseits gelegenen Parkplatz zum Generalkonsulat und wieder zurück.
Wähler Kemal Asikan: „Ich glaube, dass es die Opposition schaffen wird“
Ganz entspannt betrachtete am Vormittag Kemal Asikan (54) die Szene vor dem Generalkonsulat. „Ich habe schon gewählt“, verriet er. Das sei ihm ganz wichtig gewesen. Er wünsche sich eine demokratischere und europäischere Türkei, in der es mehr Gerechtigkeit, Freiheiten und Gleichberechtigung statt Diktatur gibt. „Ich glaube, dass es die Opposition diesmal auch schaffen wird“, gab er sich zuversichtlich. Die Türkei brauche Veränderungen, einen frischen Wind und neue Ideen. Dabei müsse sie die Religion strikt von der Politik trennen. Religion sei doch für das Herz und den Geist, Politik und Regierung seien hingegen Kopfsache. „Religiöse Emotionen haben da nichts verloren“, erklärte er. Angela Merkel habe er auch nie sagen hören: „In Shallah – wenn Gott es will.“
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„Ich wähle aus Zugehörigkeitsgefühl mit meinem Vaterland und Volk. Ich hoffe, dass es so weitergeht wie bisher in meinem Land, in dem es so schön ist“, schildert der 62-jährige Dogan Sener, der in Köln aufgewachsen ist.
„Ich war auch schon um 9 Uhr hier, um zu wählen“, sagte Ayfer Arslanovski (52). Und in dem Moment, als sie ihren Wahlzettel in die Box gesteckt hatte, da habe sie sich der Türkei schon ziemlich nahe gefühlt. Trotz der Argumente vieler ihrer Landsleute, dass die Türken, die im Ausland leben, nicht für die Türkei wählen sollen, findet sie: „Solange ich das Recht zum Wählen habe, so lange werde ich das auch machen“.
Türkei-Wahl in Deutschland: Fünf von 16 Wahllokalen befinden sich in NRW
Botan K. (25) aus Köln fände es hingegen besser und gerechter, wenn sich die in Deutschland lebenden Türken nicht mehr in die Wahlen in der Türkei einmischen würden. „Sie bestimmen und entscheiden über ein Land, in dem sie die Willkür der Regierung ja nicht einmal aushalten müssen“, kritisierte er. Selber habe er die türkische Staatsbürgerschaft bereits vor Jahren abgelegt. „Ich bin heute nur gekommen, um mir hier das ganze Schauspiel anzusehen“, sagte er.
In Hürth befindet sich eines der insgesamt 16 Wahllokale in Deutschland. Fünf gibt es in NRW. Rund 500.000 Personen sind in NRW wahlberechtigt. In Hürth, Düsseldorf, Essen und Münster sind die Wahllokale bis 9. Mai geöffnet, in Aachen ist die Stimmabgabe nur vom 29. April bis 1. Mai möglich. Bundesweit sind 1,5 Millionen Menschen mit türkischem Pass aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.
Laut Umfragen hat Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (CHP) gute Chancen, Präsident Recep Tayyip Erdogan nach 20 Jahren an der Macht abzulösen. Bei der vergangenen Wahl 2018 hatten in NRW landesweit mehr als zwei Drittel der türkischen Wähler für Erdogan votiert. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte kürzlich gesagt: „Es ist damit zu rechnen, dass die türkische Regierung hier bei uns versucht, unsere türkischen Mitmenschen als Wähler zu mobilisieren. Damit wirken sich die türkischen Präsidentschaftswahlen auch auf die Sicherheitslage bei uns aus.“ Die Sicherheitsbehörden würden den Wahlkampf „aufmerksam begleiten.“
„Die religiös-konservativen Milieus sind in Deutschland überproportional vertreten und gut organisiert, was ihre Mobilisierung erleichtert“, sagt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen. Das habe unter anderem mit der Arbeitsmigration seit den Sechzigerjahren zu tun, die vor allem aus dem ländlich geprägten anatolischen Kernland erfolgt sei - nicht aus Metropolen und Küstenregionen wie Istanbul, Ankara oder Izmir, wo säkulare und oppositionelle Milieus stark sind.
In den letzten Jahren wanderten jedoch viele Studierende, Fachkräfte und Oppositionelle ein – und das könne die Zusammensetzung der Wählerschaft zugunsten der Opposition verändern. „Dennoch dürfte das am hohen Zuspruch für Präsident Erdogan in Deutschland nur unmerklich etwas ändern“, glaubt Yunus Ulusoy. In den Moscheen seien AKP-Wählerschichten überrepräsentiert. (mit dpa)