Harte Kante gegen den Aggressor? Neben Ungarn sind es vor allem Österreich und die Schweiz, die mit Verweis auf ihre Neutralität eine härtere Gangart gegen den Kreml verweigern. In der Alpenrepublik wird heute wieder fast so viel russisches Erdgas importiert wie vor dem Krieg.
Trotz KriegsÖsterreich ist Putins Geldautomat in der Euro-Zone
„Solange ukrainische Menschen sterben, ist keine Sanktion genug“, sagte der österreichische Bundeskanzlers Karl Nehammer, als er kurz nach Kriegsbeginn im April 2022 die Ukraine besuchte. Jetzt, über 500 Tage Sterbens ukrainischer Menschen später, wächst vor allem bei Briten und Amerikanern der Zorn über „Putins nützliche Idioten“, wie das renommierte britische Wirtschaftsblatt „The Economist“ jetzt die Alpenrepublik nannte. Neben Österreich stehen vor allem auch Ungarn und die Schweiz im Kreuzfeuer der Kritik.
Viktor Orbans iliberal-autokratisches Versuchslabor Ungarn sei „der offensichtlichste“ Handlanger Moskaus, schreibt das Magazin. Das ist nicht neu. Doch gleich an zweiter Stelle wird das EU-Land Österreich genannt, das sich „ruhiger, aber ebenfalls profitabel weitgehend aus dem Kampf herausgehalten hat, indem es sich auf seine Nichtmitgliedschaft in der Nato und seine selbst ernannte Rolle als Brücke zwischen Ost und West beruft und der Ukraine wenig Hilfe angeboten hat, während der Handel mit Russland zugenommen hat“, heißt es im „Economist“.
Tatsächlich hat Österreichs Neutralität der Worte eine klar ökonomische Schlagseite – und zwar zugunsten des Aggressors. Derzeit wird von Wien mehr Geld für Gas nach Russland transferiert, als Österreich seit Kriegsbeginn insgesamt an Hilfe für die Ukraine ausgegeben hat.
Während sich Deutschland längst und unter Schmerzen komplett von russischem Gas emanzipiert hat, war Russland mit einem Anteil von 74 Prozent am importierten Gasmix der Alpenrepublik im Wintermonat März 2023 noch immer ähnlich gut im Geschäft wie im Monat vor Kriegsbeginn (79 Prozent).
Laut den offiziellen Angaben des Klimaschutz- und Umweltministeriums von Leonore Gewessler (Grüne) lag die Gesamtimportmenge an Gas im Mai sogar bei 82 Prozent des Höchstwertes vom Vergleichsmonat des Vorjahres. Der Trend zeigt bei der Gesamtimportmenge also nach oben.
Langfristige Gaslieferverträge bis 2040
Verantwortlich dafür sind vertragliche Bindungen mit Russland: 2018 war Putin zu Besuch in Wien, unterschrieb zusammen mit dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz langfristige Gaslieferverträge der Österreichischen Mineralöl-Verarbeitungsgesellschaft (OMV) mit Gazprom bis 2040. Die Vertragsdetails blieben geheim. Fest steht jedoch, dass die OMV zahlen muss, egal ob russisches Gas abgenommen wird oder nicht. Putin sprach damals von „Energiesicherheit für den gesamten Kontinent durch gute Zusammenarbeit“.
Und das hat dazu geführt, dass das kleine Österreich nach Angaben des Klimaschutz- und Umweltministeriums seit Beginn der Moskauer Invasion in der Ukraine allein für Gas 7 Milliarden Euro nach Moskau überwiesen hat.
Rhetorik und Realität klaffen dermaßen auseinander
In einem Anfang Juni im Brüsseler Magazin „Politico“ unter dem Titel „Wie Österreich Putins Alpenfestung wurde“ veröffentlichten Beitrag wird Österreichs Politikern vorgeworfen, „Rhetorik und Realität“ klafften so dermaßen auseinander, dass „die internationalen Partner Wien schon lange nicht mehr abkaufen, dass es als neutraler Vermittler auftritt“.
Dass Ungarn sich nicht an Sanktionen beteiligt, weiterhin mit Russland regen Handel betreibt und der angegriffenen Ukraine Unterstützung verweigert, daraus hat Budapest nie ein Geheimnis gemacht. Wiens Unterstützung für Putin ist viel subtiler.
„Van der Bellen führt Österreich ins Minenfeld“
Der von Kiew geforderten Hilfe bei Aufräum- und Entminungsarbeiten habe Wien dagegen umgehend eine Absage erteilt, obwohl Experten dies als unproblematisch bewerten. Der vom grünen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen geforderte Entminungseinsatz im Umfeld von ukrainischen Kindergärten und Schulen wurde selbst in liberalen Medien wie dem „Standard“ („Van der Bellen führt Österreich ins Minenfeld“) als De-facto-Kriegsteilnahme gewertet.
Unter dem Druck der in Umfragen führenden rechtspopulistischen FPÖ des Vorsitzenden Herbert Kickl, der seine prorussische Haltung als konsequenten Antikriegskurs bemäntelt, versucht sich die Regierungspartei ÖVP von Bundeskanzler Nehammer als Verteidiger der Neutralität zu profilieren. Das kommt in der Bevölkerung offenbar gut an: Zwei Befragungen des Gallup-Instituts – eine kurz nach dem Krieg und mehr als ein Jahr später – zeigen, dass 77 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher die Neutralität befürworten.
„Putins Einfluss auf Österreich ist riesig, das zeigen Ergebnisse meines Dossier Centers, das Putins illegalen Einfluss auf andere Staaten untersucht“, sagte der russische prominente Kremlkritiker und Ex-Oligarch Michail Chodorkowski im Interview mit dem österreichischen „Standard“.
Und erinnert an die österreichische Politikerin Karin Kneissl, die der Welt in Erinnerung bleibt als eine amtierende EU-Außenministerin, die auf ihrer Hochzeit 2018 mit dem wegen des Krimraubs damals bereits geächteten Autokraten tanzte. Heute leitet sie eine neue politische Denkfabrik namens GORKI („Geopolitical Observatory for Russia‘s Key Issues“) in St. Petersburg.
Chodorkowski beschreibt Österreich als ein Land, in dem russische Spione de facto Hausrecht haben: „Bedenkt man die Zahl professioneller Auftragsmörder im ‚Schlafmodus‘, ist es für Putin ungleich leichter, jemanden in Österreich umzubringen als in anderen europäischen Staaten“, sagte er im Interview.
Im „Handelsblatt“ beschreibt der österreichische Politologe Gerhard Mangott das Dilemma der Alpenrepublik: Zwar habe sich die österreichische Regierung mittlerweile klar positioniert und benennt Aggressor und Opfer in diesem Krieg.
In manchen Fällen halte die Kanzlerpartei ihre Linie aber nicht konstant und „schwenkt zwischen den Positionen einer staatstragenden und einer opportunistischen Partei“. Zum Nachteil für Putin ist das nicht. All das erweise sich für den russischen Präsidenten letztlich als „nützlich“.
Seit Kriegsbeginn wird kritisiert, dass die österreichische Raiffeisen Bank International (RBI) trotz Sanktionen und dem Ausschluss russischer Banken aus dem Zahlungsverkehrssystem Swift weiter in Russland aktive Geschäfte macht und zuletzt ihren Nettogewinn sogar verdoppeln konnte, was zur Beobachtung durch die US-Finanzbehörde OFAC (Office of Foreign Assets Control) führte.
40 bis 50 Prozent des internationalen Zahlungsverkehrs
Dabei profitiert das Geldinstitut vom Umstand, dass sie im Zuge der EU-Sanktionen nicht aus dem Swift-System geworfen wurde - anders als ihre russischen Wettbewerber. Menschen und Firmen mit westlichen Gehalts- und Geschäftskonten, die in Russland arbeiten, operieren und leben, konnten so über ein Konto des österreichischen Instituts wieder an die Rubel kommen.
Die Raiffeisenbank wiederum lässt sich dieses Alleinstellungsmerkmal über den für sie sehr günstigen Devisenkurs bezahlen, den sie Euro-Verkäufern abverlangt. Dieses Gebaren bringt die Raiffeisenbank jedoch im Westen inzwischen in Erklärungsnöte. Laut „Financial Times“ werden 40 bis 50 Prozent des internationalen Zahlungsverkehrs aus Russland über Raiffeisen abgewickelt.
„Österreichs Politik ist angstgetrieben“, sagt Helmut Brandstätter, Abgeordneter der liberalen, proeuropäischen Oppositionspartei NEOS in der „Welt“. Was fehle, sei der Wille, Entscheidungen zu erklären und zu diskutieren.
Auch die Schweiz am Pranger
Als Buhmann steht jedoch Wien nicht allein am Pranger. Der britische Unternehmer und Menschenrechtsaktivist Bill Browder forderte am Dienstag in einer Anhörung der „U.S. Helsinki Commission“ in Washington, einem Gremium, das die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze in Europa überwacht, die US-Regierung auf, fünf Schweizer Regierungsangestellte mit Sanktionen zu belegen.
Grundsätzlich sei es „inakzeptabel“, dass die Schweiz dem russischen Präsidenten helfe, harte westlichen Sanktionen zu umgehen. Die Kommission schätzt, dass Schweizer Banken über 200 Milliarden Dollar an russischen Geldern verwalten.