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Vereint gegen RusslandBelarussische Freiwillige kämpfen mit der ukrainischen Armee

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Ukrainische Truppen sitzen nach der Befreiungder Stadt Irpin auf einem Militärfahrzeug.

Kiew – Schon wenige Tage nach Beginn des Ukraine-Krieges gab es in sozialen Netzwerken erste Hinweise auf Freiwillige aus Belarus, die sich im Nachbarland gemeldet haben, um bei der Verteidigung gegen die russische Aggression zu helfen. Inzwischen sind nach Angaben des belarussischen Oppositionsführers Pawel Latuschka bereits zwei belarussische Einheiten aktiv, die sich den Streitkräften der Ukraine angeschlossen haben. Zum einen das Kastus-Kalinovski-Bataillon, benannt nach einem belarussischen Nationalhelden aus den 1860er Jahren, und dann das Pogonya-Regiment.

„Im Kalinovski-Bataillon kämpfen Freiwillige, von denen einige schon 2014 an den Kampfhandlungen im Donbass teilgenommen haben“, berichtet Latuschka, der früher Kulturminister in Belarus war und heute vom Warschauer Exil aus die oppositionelle Organisation „Nationales Anti-Krisen-Management“ (NAM) leitet. Im Pogonya-Regiment würden auch Reserveoffiziere der belarussischen Streitkräfte und Offiziere belarussischer Spezialeinheiten mitwirken.

Ukrainischer Widerstand könne auf Belarus übergreifen

„Diese beiden Einheiten kämpfen für die Unabhängigkeit der Ukraine, aber zugleich auch für die Unabhängigkeit von Belarus“, sagte Latuschka dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Viele belarussische Dissidenten hoffen, dass der ukrainische Widerstand auch auf Belarus übergreift, um dort das Diktat Russlands abzuschütteln und den seit 28 Jahren an der Macht befindlichen Diktator Alexander Lukaschenko in Minsk zu stürzen. „Das Lukaschenko-Regime ist eine Moskauer Marionettenregierung, die das belarussische Volk unterdrückt und sich den Interessen des Kremls unterordnet“, betont Latuschka.

Der aus Minsk stammende und in Berlin lebende Osteuropa-Historiker Alexander Friedman hält es auch aus „historischer Sicht“ für wichtig, dass es die belarussischen Freiwilligen gibt ist. „Diese Kämpfer retten die Ehre von Belarus und zeigen, dass nicht alle Russlandunterstützer sind“, sagt Friedman. Die Mehrheit der Belarussen sei gegen diesen Krieg. „Die Menschen sagen, es ist eine Schande.“ Der Mut und das Pathos der Freiwilligen darf allerdings darüber hinwegtäuschen, dass die Begriffe Bataillon und Regiment eher symbolisch sind und nichts über die tatsächlichen Stärken der Einheiten aussagen. So besteht ein Bataillon aus 300 bis 1200 Mann, und ein Regiment wiederum kann aus bis zu vier Bataillonen bestehen.

200 bis 500 belarussische Kämpfer

Nach Friedmans Schätzung bewegt sich momentan die Gesamtstärke der aktiven belarussischen Kämpfer in der Ukraine bei 200 bis 500 Mann. Allerdings ist der belarussische Oppositionspolitiker Vadim Prokopiew fest überzeugt, dass es rasch mehr werden könnten: „Es besteht kein Zweifel, dass wir relativ schnell ein Regiment mit 1000 Mann aufstellen könnten“, sagte Prokopiew dem RND. Der ehemalige Geschäftsmann aus der Gastronomiebranche, der früher in Russland auch eine Militärausbildung absolviert hat, leitet momentan in der Ukraine das Pogonya-Regiment und kümmert sich um die Ausbildung von freiwilligen Rekruten, die zumeist über die polnische Grenze kommen.

„Das Problem ist die Logistik, die Freiwilligen können nur in kleinen Gruppen zu uns stoßen, weil alle individuell über die Grenze müssen“, sagt Prokopiew. Von Belarus aus sei es derzeit sehr schwer, Ausreisevisa zu bekommen. Deshalb kämen die meisten Belarussen über Polen, Litauen oder Lettland, wohin sie schon zuvor geflohen waren. Außerdem gibt es von ukrainischer Seite auch Angst vor Spionen, was die Zulassung von Kämpfern verzögert.

„Wir nennen das Eisenbahnkrieg“

Auch in Belarus selbst regt sich weiter Widerstand. Da Lukaschenko das gesamte Land der russischen Armee als Aufmarschgebiet zur Verfügung gestellt hat, inklusive Flughäfen, Logistikzentren und Krankenhäusern, gab es schon wenige Tage nach den von Belarus aus geführten russischen Angriffen auf die Ukraine die ersten Sabotageakte. „Wir nennen das Eisenbahnkrieg“, sagt Prokopiew und umreist damit eine Serie von Anschlägen auf Verteiler- und Relaisstationen des belarussischen Eisenbahnnetzes.

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So hat es nach Kriegsbeginn mindestens sieben dokumentierte Anschläge an unterschiedlichen Streckenabschnitten in Belarus gegeben, die den Truppen- und Techniktransport der Russen zum Erliegen brachten oder zumindest massiv verlangsamten. Darüber hinaus zerstörte Eisenbahner und Dissidenten Signale, beschädigten Gleise und verübten Hackerangriffe. Lukaschenko reagierte mit einer verschärften Bewachung der Eisenbahnknotenpunkte durch KGB-Einheiten.

Schon am Abend vor dem russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar waren gegen 23 Uhr von Belarus aus Raketen auf ukrainisches Territorium abgefeuert worden, was Lukaschenko später selbst zugab. Zwar haben bislang offiziell keine belarussischen Truppen in den Krieg eingegriffen, aber Pawel Latuschka hält längst den Zeitpunkt für gekommen, „endlich hart“ gegen Lukaschenko vorzugehen und fordert schärfere Sanktionen von der EU. „Worauf wartet Europa noch, um das Lukaschenko-Regime wirklich zur Rechenschaft zu ziehen?“ (rnd)