Wo landen die erbettelten Spenden?Geschäftsmodell von „Querdenken“ steht in Kritik
- Nach dem Verbot der Demos am Jahresende in Berlin sucht die „Querdenker“-Bewegung nach neuen Formen des Protests.
- Zunehmend geraten die Finanzierungsmodelle der Bewegung in den Fokus: Ständig wird bei den Unterstützern öffentlich um Geld gebettelt. Doch wo landet es am Ende – und bei wem?
- Politiker haben zudem Sorge, dass Impfzentren ein neues Angriffsziel werden könnten.
- Lesen Sie hier die Hintergründe.
Nun wollen sie pilgern. Nach dem Verbot der „Querdenker“-Demonstrationen am Jahresende in Berlin ist nun für Mittwochabend aus Kreisen der Corona-Maßnahmengegner eine „Pilgerwanderung“ am Brandenburger Tor mit 250 Personen angemeldet worden. Mit der Anmeldung als religiöse Veranstaltung versuchen die Organisatoren zum wiederholten Mal, Einschränkungen und Auflagen durch das Versammlungsgesetz zu umgehen. Ob dieses Manöver Erfolg hat, war am Dienstag zunächst unklar. Die Behörden prüften noch, ob es sich um eine politische Versammlung handelt.
Die Bewegung gibt also noch nicht ganz auf. Im Frühjahr, Sommer und Herbst des Corona-Jahres spielten die „Querdenker“ Katz und Maus mit dem Rechtsstaat. Wenn eine Demonstration verboten wurde, klagten sie durch alle Instanzen - und bekamen oft am Ende Recht. Parallel dazu ließen sie zum Beispiel in Berlin am 29. August Unterstützer über vorgefertigte Formulare Tausende anderer Versammlungen anmelden, um die Polizei zu überfordern.
Andernorts wurde es rustikaler: In Leipzig am 7. November prügelten ihnen Hooligans und Neonazis die untersagte Demoroute frei – hinterher leugneten „Querdenker“-Köpfe die Existenz ihrer Helfer. Die Polizei stand oft eher hilflos neben der schrägen Mischung aus Familienausflug, hippieskem Happening und gewaltbereitem Aufmarsch. Die Beamten scheiterten regelmäßig daran, Maskenpflicht und Abstand zu kontrollieren, auch weil Ärzte aus der Szene freigebig Masken-Atteste ausstellten. Als in Berlin am 18. November Wasserwerfer zum Einsatz kamen, konnten sie die Masse nicht wegspritzen, sondern nur beregnen, weil auch Kinder in den ersten Reihen standen.
Zum Jahresende aber bekommen die „Querdenker“-Prominenten Gegenwind: von Polizei, Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Zivilgesellschaft. Die Bewegung flüchtet sich in eine Art Winterpause, während gleichzeitig die Impfungen gegen Covid-19 anlaufen und der Weihnachts-Lockdown voraussichtlich weit über den 10. Januar hinaus verlängert wird. Daraus könnte eine zersplitterte, gefährliche Gemengelage entstehen: aus Frustrierten, die sich in den unzähligen Gruppen des Kurznachrichtendienstes Telegram weiter radikalisieren. Dort wird von Verschwörungen über Corona-Leugnung bis Aufrufen zur Revolte alles geteilt und für gut befunden.
Und andauernd wird um Geld gebettelt. Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen waren für viele der Bewegungs-Promis ein Geschäftsmodell - das ihnen nun auf die Füße fällt.
Zum Beispiel Bodo Schiffmann. Der Inhaber einer Schwindelambulanz aus Sinsheim war virtuell auf Telegram und Youtube sowie physisch auf einer rastlosen Protest-Bustour omnipräsent. Nun werden seine Praxisräume gekündigt, seine Approbation ist in Gefahr - und die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen falscher Atteste zur Maskenbefreiung. Das geschieht bundesweit gegen eine Reihe von Ärzten. Inhaber solcher Atteste werden in Telegram-Gruppen nun aufgerufen, sie nicht mehr vorzuzeigen, sondern Bußgelder wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht in Kauf zu nehmen.
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Und was macht Schiffmann? Er bettelt um Spenden - konkret um Schenkungen, denn diese sind steuerfrei, wenn sie unter 20.000 Euro betragen. Allerdings nur, wenn sie an Privatpersonen gehen.
Zum Beispiel „Honk for Hope“: Unter diesem Namen bewarben der Wiener Alexander Ehrlich und das Plauener Reiseunternehmen Kaden-Reisen Bustouren zu Demonstrationen - teilweise von Ehrlich selbst angemeldet. Nach Auskunft des Aussteigers Joachim Jumpertz waren die Fahrten deutlich überteuert. Doch auch dieses Geschäftsmodell bricht weg: Vor einer verbotenen Leipziger Demonstration am 19. Dezember bekam Kaden-Reisen Besuch von den Behörden, nach einer Gefährderansprache wurden die Busse an die Kette gelegt. Wochenlang wurde für eine Silvesterfahrt nach Berlin geworben - „verboten“ steht nun auf der Website über dem Angebot.
Unverhohlenes Betteln um Unterstützung
Zum Beispiel Nana Domena: Der stets wie aufgezogen wirkende Moderator vieler „Querdenken“-Kundgebungen veröffentlicht kurz vor Jahresende ein Video, in dem er unverhohlen um Unterstützung bettelt – ohne Demos kein Geschäftsmodell.
Auch „Querdenken“-Initiator Michael Ballweg hat im großen Stil zu Schenkungen aufgerufen: auf ein Volksbank-Konto, das auf seinen privaten Namen läuft. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit sei noch in Arbeit, teilt „Querdenken-711″ auf seiner Website mit. Den Versuch, in Frankfurt eine gemeinnützige Stiftung anzumelden, zog Ballweg nach Auskunft schnell zurück: „Hierzu hat es eine Anfrage im September 2020 gegeben, die am Folgetag zurückgezogen wurde“, teilt das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt mit. Nach Ballwegs Aussagen sei zurzeit die Gründung einer Privatstiftung in Arbeit. Darüber gibt die Behörde keine Auskunft.
Die unklare Rechtsform beschert Ballweg nun Probleme mit dem Finanzamt. Nach RND-Informationen liegt eine Anzeige beim Finanzamt Stuttgart vor, in der darauf hingewiesen wird, dass „Querdenken“ trotz fehlender Organisationsstruktur vermutlich als Unternehmen zu werten sei und eine Steuerpflicht vorliegen könnte. Zum Stand der Ermittlungen gibt das Finanzamt aus Gründen des Steuergeheimnisses keine Auskunft.
Zudem hat der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun einen Brief an die Volksbank-Vorstände geschrieben und auf Twitter veröffentlicht, in dem er die Frage stellt, ob die Bank ihren Verpflichtungen nach dem Geldwäschegesetz nachkommt. Jun ist unermüdlich in den sozialen Netzwerken im Einsatz gegen „Coviteure“, wie er die Profiteure der Corona-Demonstrationen nennt. Und Ballweg, den der Satiriker Jan Böhmermann vor Weihnachten zum „Corona-Unternehmer des Jahres“ gekürt hat, hat das Geschäftsmodell des Coviteurs perfektioniert.
Finanzielle Kontrolle
Ballwegs Bank teilt auf RND-Anfrage mit, die Prüfung des Sachverhalts dauere noch an - und veröffentlichte ein längliches Statement: „Die Volksbank am Württemberg fühlt sich aus voller Überzeugung den freiheitlichen und demokratischen Grundwerten unseres Grundgesetzes verpflichtet – genauso wie den genossenschaftlichen Werten der Solidarität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ schreiben die Banker. „Deshalb sehen wir Aktivitäten und Bewegungen, die diesen Werten entgegenstehen, ausgesprochen kritisch. Zugleich sind wir auch unseren Mitgliedern und Kunden verpflichtet, weshalb wir um Verständnis bitten, dass wir einzelne Kundenbeziehungen nicht gegenüber der Öffentlichkeit kommentieren.“
Ballweg gilt in der Szene als der Mann, der am liebsten die ganze Bewegung unter seiner Kontrolle halten möchte - und dazu gehört auch die finanzielle Kontrolle. 19 Mal hat Ballweg mit Hilfe der Kieler Kanzlei „Prehm & Klare“ Querdenken-Gruppen als Marke beim Patentamt eingetragen, geordnet nach Festnetzvorwahlen. Von „Querdenken-711″ für Stuttgart über „Querdenken-421″ (Bremen) im Norden bis zu „Querdenken-911″ für Nürnberg in Franken. Auch viele Internet-Domains hat Ballweg registriert. Er selbst sagt, um der Bewegung die Adressen zu sichern. Kritiker mutmaßen, um an den Domains zu profitieren.
„Unternehmerisches Denken“
Einer von Ballwegs Kritikern ist Volkmar Zimmermann. Bis Oktober war er Teamleiter der Berliner Querdenken-Sektion, dann setzte Ballweg ihn ab. Zimmermann ist gelernter DDR-Bürger, er hat schon 1989 demonstriert und glaubt an die Kraft des Volkes, das sich die Straße nimmt. Vom Perfektionisten und Unternehmer Ballweg trennen ihn Welten. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagt Zimmermann: „Michael Ballweg ist nach meiner Einschätzung durchaus von Herzen bei der Sache. Aber er war nicht in der Lage, sein unternehmerisches Denken für die Bewegung auszuknipsen.“
Die regionalen Querdenker-Gruppen wurden finanziell kurz gehalten. Ein besonders prägnantes Beispiel ist der Verkauf von Querdenken-Shirts, Kapuzenpullovern und anderen Protestklamotten. Die Gruppen vor Ort wurden dazu angehalten, auf jeden Fall mit dem Anbieter Merch You aus Nordrhein-Westfalen zu kooperieren, der einen Teil des Gewinns als Provision an die Bewegung zurückgebe. An „die Bewegung“ – das hieß konkret: an die Querdenken-Zentrale und Ballweg.
Gegenüber „netzpolitik.org“ sagt etwa Malin Joy Singh, die für die Gruppe in Frankfurt zuständig ist: „Wir bekommen davon nichts. Das Geld geht nach Stuttgart.“
Unruhe in der Szene
Ohne Ballwegs Organisation und Finanzkraft wären die Großdemonstrationen nicht möglich gewesen. Doch nun redet Ballweg von Rückzug, der Stuttgarter Unternehmer hatte in einer am Heiligabend im Netz veröffentlichten Videobotschaft darum gebeten, „das Verbot der Demonstrationen in Berlin zu akzeptieren und am 30.12., am 31.12. und am 1.1. nicht nach Berlin zu fahren“. Ballweg kündigte in der Videobotschaft zudem an, zunächst keine großen Querdenken-Demonstrationen mehr anzumelden. Er freue sich zudem über alle, die selbst aktiv seien und die kleinere Versammlungen abhielten.
Seither herrscht Unruhe in der Szene. Das Protestgeschehen verschwindet nicht, es wird diffuser. Die Berliner „Pilgerwanderung“ ist ein Beispiel dafür. Andere aus dem Milieu rufen für den Silvesterabend in Berlin zu einem „Spaziergang“ ab. In mehreren Städten wird „spontan“ und unangemeldet demonstriert. In Cottbus malen Akteure aus der rechtsextremen Szene ein riesiges Graffito in Bahnhofsnähe, stellen Kerzen davor und lassen sich in den sozialen Netzwerke für das Bild und ein professionell gemachtes Video feiern. Der Nürnberger Ableger macht unverdrossen weiter Werbung für eine Demonstration am 3. Januar, bei der ursprünglich auch Ballweg als Redner vorgesehen war.
Gefahr der unkontrollierten Radikalisierung
Je zersplitterter die Szene ist, desto eher können sich Kleingruppen unkontrolliert radikalisieren. Neues Ziel könnten die Impfzentren sein, die nun nach und nach ihren Betrieb aufnehmen. Davor warnt etwa SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil schon seit Wochen: „Wir brauchen ein Sicherheitskonzept für die Impfzentren“, forderte er im RND-Interview. Und: „Ich will, dass Polizei und Verfassungsschutz die Telegram-Gruppen und Internetforen permanent im Blick behalten.“