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Dunja Hayali über erlebten Rassismus„Wer hassen will, findet immer einen Grund“

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Dunja Hayali

Mit drei namhaften Preisen für ihr zivilgesellschaftliches Engagement wurde die ZDF-Journalistin Dunja Hayali in diesem Jahr ausgezeichnet. Dabei macht die 46-Jährige vor allem ihren Job: Als Moderatorin und Reporterin – etwa fürs ZDF-morgenmagazin oder ihre eigene Talkshow – sucht sie das Gespräch mit Menschen verschiedenster Meinungen, 2020 oft auf Demonstrationen. Dabei zeigt sie Offenheit – aber auch Haltung. Wenn sie deshalb als Aktivistin kritisiert wird, kontert Hayali: „Besser Aktivistin als Passivistin.“ Lesen Sie hier das ganze Gespräch.

Frau Hayali, 2020 war ein Krisenjahr – aber auch ein bewegtes Jahr mit den verschiedensten Konflikten und Streitthemen. Was wird Ihnen im Gedächtnis bleiben, im Guten wie im Schlechten?

Hayali: Der Einzug der Borussia ins Achtelfinale der Champions-League (lacht). Im Ernst: Ganz sicher meine Reportagen aus dem Flüchtlingscamp Moria, über die Opfer-Familien in Hanau und die Querdenker-Demo Anfang August in Berlin. Jedes Ereignis für sich hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, aus der Komfortzone heraus zu gehen und sich selbst ein Bild zu machen. Ein positives Ereignis, an das ich gern zurückdenke, ist der Wahlausgang in den USA: ein großartiges Land, aus dem wir insbesondere in den letzten Jahren eher Erschreckendes gesehen und gehört haben, auch in Sachen Rassismus und Sexismus.

Sie selbst sind schon seit Jahren im Reporter-Einsatz, oft auch auf der Straße – legendär sind zum Beispiel Ihre Besuche bei der islamfeindlichen Bewegung „Pegida“ in Dresden. Waren die „Querdenken“-Demos damit vergleichbar?

Teils, teils. Der größte Unterschied war, dass die Menschen, mit denen ich dort gesprochen habe, aus den verschiedensten Richtungen, Interessengruppen und Milieus stammten – aber leider auch die, die mein Team und mich später beleidigt und bedroht haben und zum Teil körperlich angegangen sind.

Aber Sie haben da auch Menschen getroffen, die wirklich unter den Corona-Auflagen leiden oder sich Sorgen um ihre Existenz oder vereinsamten Angehörigen machen.

Ich habe Verständnis für Menschen, die die Maßnahmen unverhältnismäßig oder unfair finden. Ich kann auch nicht alles nachvollziehen. Ja, und um diese Menschen tut es mir wirklich leid, dass diese Bewegung von Rechtsaußen gekapert wurde. Die Zeiten der legitimen Kritik bei „Querdenken” sind vorbei. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Man läuft nicht mit Rechtsradikalen, Faschisten, Reichsbürgern und Co. mit – oder muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass man sich mit denen gemeint macht.

Anfang des Jahres dachten wir noch, 2020 wird das Jahr der Klima-Debatte – geprägt von der Bewegung „Fridays For Future“. Auch die haben Sie bei ihren Demonstrationen besucht. Fühlten Sie sich dort wohler?

So simpel ist es nicht. Menschen, die nicht diskutieren wollen und nur mit dem moralischen Zeigefinger auf andere zeigen, gibt es in jeder Bewegung – auch dort. Mich hat mal jemand rund gemacht, weil ich „nur“ zu 95 Prozent auf tierische Produkte verzichte. Da hab ich ihm gesagt, wenn er so weitermacht, ist er der Grund, warum ich wieder anfangen werde, Fleisch zu essen. Einfach aus Trotz. Das erzeugt nämlich Borniertheit und Radikalität bei mir. Ich habe ihm gesagt, wenn er so auch mit anderen diskutiert, stößt er sein Gegenüber nur vor den Kopf, findet keinen neuen Verbündeten und hat am Ende nichts erreicht. Man muss doch das Gemeinsame stärken, Menschen mitnehmen, sie in ihren Schritten bestärken und dann weiter überzeugen.

Wegen Corona blieben der Bewegung dann nur kleinere oder digitale Aktionen mit weniger Durchschlagskraft. Waren die Klimastreiks nur ein Strohfeuer?

Nein, das glaube und hoffe ich nicht. Ich fand es spannend zu sehen, wie sich diese Bewegung entwickelt hat. Auch sie muss durch Höhen und Tiefen gehen und zum Teil schmerzhafte Lernprozesse hinnehmen: Wer führt, wer folgt? Wie geht man mit Hierarchien um? Wie hält man verschiedene Perspektiven, Forderungen und Interessen zusammen? Grundsätzlich finde ich es prima, dass viele junge Menschen ein Thema für sich gefunden haben. Auch Maximalforderungen sind gut, damit man am Ende überhaupt irgendwas erreicht.

Aber?

Dinge müssen auch machbar sein. Wie soll zum Beispiel jemand, der jeden Tag zwei Stunden pendelt, auf sein Auto verzichten, wenn es noch keinen vernünftig ausgebauten Nahverkehr gibt? Sich selbst zu hinterfragen, im Hinblick auf das eigene Verhalten – Stichwort: Wo kommen denn all die Smartphones her? –, das kann Jung wie Alt nicht schaden.

Sie haben Anhänger beider Bewegungen gesprochen. Sind Querdenker und „Fridays“ am Ende nur entgegengesetzte Reaktionen auf die Globalisierung: Hier die global denkende Jugend, dort die alte Generation, die internationale Mächte fürchtet?

Es ist kein Generationenkonflikt. Ich habe auf beiden Seiten Jung und Alt gesehen. Viele Ältere wollen den Jüngeren eine vernünftige Welt hinterlassen. Viele Jüngere haben 2020 aus Rücksicht auf ältere Menschen auf vieles verzichtet. Mein Eindruck: beiden Seiten geht es darum, wahrgenommen zu werden, um Teilhabe und Mitsprache. Wobei ich dann doch auf der einen Seite eher die Meckerer und Verweigerer sehe, und auf der anderen Seite die Aktiven und Konstruktiven. Das hat aber nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit Verantwortung und dem Willen zur Gestaltung.

Droht uns da eine ähnliche Spaltung wie in den USA, wo zwei Lager in getrennten Realitäten leben und sich nicht mal mehr auf ein Wahlergebnis einigen können?

Was Wahlen anbelangt nicht, deshalb schätze ich unsere parlamentarische Demokratie auch so sehr. Die demokratischen Parteien im Bundestag bieten uns doch von links bis rechts (für mich konservativ) verschiedene Konzepte und Ideen an. Dieses breite demokratische Angebot sollten wir zu schätzen wissen. Was mich besorgt, ist, dass uns die Streitkultur abhanden kommt. Dass Menschen keinen Widerspruch mehr ertragen und glauben, wenn man ihnen ein Argument entgegenhält, wolle man ihnen gleich die Meinungsfreiheit nehmen. Es geht nur noch um Rechts-Links, Entweder-Oder, Gleichgesinnter oder Feind, Ideologie oder Moral. Was ist mit den Grautönen, dem Konsens, dem Kompromiss? Wir müssen lernen, mit Mehrdeutigkeiten zu leben.

In den USA hat Donald Trump diese Gegensätze im Wahljahr gezielt verschärft. Sie haben seine Anhänger in seinem ersten Wahlkampf kennen gelernt. Sehen Sie Parallelen zu deutschen Wutbürgern?

Ja, ich habe sie kennen gelernt – ich habe sogar in meiner eigenen Familie Trump-Wähler. Eine echte Herausforderung, weil sie ihre Entscheidung von einem Versprechen abgeleitet haben. Deshalb denke ich, eine Figur wie Trump wäre in Deutschland nicht möglich – bitte lassen Sie mir diesen Glauben! Daran, dass wir uns nicht von jemandem verleiten lassen, der alle Ressentiments bedient, Menschen gegeneinander ausspielt, sich selbst bereichert und an Narzissmus kaum zu übertreffen ist.

Eine Folge seiner Polarisierung waren die „Rassenunruhen“ im Sommer, nachdem ein New Yorker Polizist den Afroamerikaner Eric Garne getötet hat. Es gab in ganz USA große Demonstrationen. Im Sommer schwappten die „Black Lives Matter“-Demos auch nach Deutschland, Sie haben aus Berlin von der größten berichtet. Wer demonstrierte da eigentlich in Deutschland?

Das hat mich gefreut: Es waren nicht nur Betroffene von Rassismus. Das war ein starkes und wichtiges Zeichen unserer Gesellschaft. Es geht uns alle an und fängt bei jedem von uns an, wie wir miteinander umgehen.

Also war das mehr als nur Solidarität mit der US-Bewegung – sondern auch Frust über hiesige Diskriminierung?

Ja, und deshalb waren diese Demos auch als Aufklärung wichtig – und sicher für manche ein Schock, weil sie sich selbst hinterfragen mussten. Rassismus ist nicht nur Rechtsaußen zu finden. Wir alle müssen uns hinterfragen, welche Stereotypen, Stigmatisierung und Urteile wir im Kopf haben und möglicherweise unbewusst bedienen. Diese Chance sollten wir alle nutzen, um noch sensibler dafür zu werden: Behandle einfach jeden so, wie du auch behandelt werden möchtest. Klappt nicht immer, aber jeder von uns lernt doch jeden Tag hinzu.

Wirklich jeder?

Naja, vielleicht außer die Beratungsresistenten, die glauben, es gehe um Schuld und nicht um einen Lernprozess. Aber was vor 30 Jahren vielleicht okay war – das Z-Schnitzel, das N-Wort – obwohl es da auch schon nicht okay war, ist halt heute ein No-Go und wird auch laut und deutlich klargemacht. Eines ist mir wichtig: Worte und Vorwürfe verlieren ihre Kraft, wenn sie permanent benutzt werden. Etwas mehr Differenzierung und Achtsamkeit wäre gut.

Sie selbst sind ein Kind des Ruhrgebiets, treten teils mit rheinischem Gemüt und teils mit Berliner Schnauze auf, sind noch dazu eins der bekanntesten Gesichter des deutschen Fernsehens – also durch und durch deutsch. Und doch werden Sie auf den Demos und im Internet oft rassistisch angefeindet – weil Ihre Eltern aus dem Irak stammen. Sind das Ausnahmen – oder ist das nur eine heftige Ausprägung eines Alltagsrassismus, den Sie schon immer kannten?

Oh, ich habe in Datteln, das liegt im Ruhrgebiet, so gut wie keinen Alltagsrassismus erfahren. Das mag auch an der privilegierten Stellung meiner Eltern gelegen haben, die Akademiker und Christen waren. Der Rassismus, den ich heute online wie offline erfahre, speist sich aus verschiedenen Puzzleteilen. Ich arbeite für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bin eine Frau, habe einen Migrations-Vordergrund – und eine Haltung. Wer hassen will, findet halt immer einen „Grund“.

Zu den Skandalen des Jahres gehörten aber auch rechtsradikale Netzwerke in der Polizei. Hätten Sie sich so etwas vorstellen können?

Ein Freund von mir, mittlerweile ein anerkannter Musiker im feinen Zwirn, lief früher anders rum – und wurde regelmäßig in Stuttgart am Hauptbahnhof kontrolliert. Weil er „anders“ aussah. Nun passiert es seinem Sohn. Also: Ja, das konnte ich mir vorstellen.

Können Sie es auch verstehen – etwa, weil die Polizisten ihre Alltagserfahrungen in „racial profiling“ ummünzen?

Erfahrungswerte werden ja immer als Erklärung dafür herangezogen. Aber, so schwer das sicher ist, es ist nicht hinnehmbar. Jeder Mensch in unserem Land hat das Recht auf den individuellen Blick. Und den haben die allermeisten Polizisten und Polizistinnen ja auch! Und die Anständigen unter ihnen – jedenfalls die, die mir schreiben – wünschen sich auch, dass in den eigenen Reihen aufgeräumt wird. Der Generalverdacht ist für sie genauso unerträglich, wie der Generalverdacht auf der „anderen Seite“.

Sie haben die Öffentlich-Rechtlichen als Feindbild erwähnt. Am Ende dieses Jahres vermischte sich das im Zuge des Rundfunkstreits von Sachsen-Anhalt mit der Grundsatzkritik an ARD und ZDF und dem Ruf nach Reformen. Räumen Sie ein, dass an der Kritik an Ihrem Arbeitgeber auch etwas dran ist?

Was stimmt: Es geht hier nicht um die 86 Cent, es geht ums Grundsätzliche. Dass eine bestimmte Partei uns loswerden will, ist kein Geheimnis. Wir können gerne über Reformen, Verschlankungen und Co. sprechen – obwohl das als Journalistin nicht mein Tanzbereich ist. Ich rede lieber darüber, wie ich arbeite und schaffe so Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Aber mir ist wichtig: Ich möchte das nicht mit dieser Debatte vermischen, sonst tappen wir in die gleiche Falle wie die CDU in Sachsen-Anhalt.

Gerade sprachen Sie von „Haltung”, nun von „Glaubwürdigkeit” der Medien. Auch darüber gab es in diesem Jahr Streit: Geht das überhaupt zusammen?

Ich kann nur für mich sprechen: Ich bin unparteilich und fair, aber gern hart in der Sache. Woher der Ruf nach Objektivität immer herkommt, ist mir ein Rätsel. Niemand ist 100-prozentig objektiv. Wir haben alle eine Prägung, eine Sozialisation. Unsere Aufgabe ist es aber, sich das bewuSSt zu machen und so nah wie möglich an diese Objektivität heranzukommen. Eine Haltung steht dem nicht im Weg. Sie ist, woran man sich innerlich festhält: an seinen Werten. Wer mir daraus einen Strick drehen will, dass ich mich gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit, gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, für Humanismus und Pluralität äußere – der sollte sich selbst hinterfragen.

Das Interview führte Steven Geyer