Köln – Herr Ljubicic, nach dem 3:2-Sieg gegen Mainz, zu dem sie mit einem sehenswerten Tor beigetragen hatten, sprachen Sie davon, dass sie erst jetzt wirklich gesehen hätten, was Köln ausmache und wie der Verein ticke. War Ihnen das vorher nicht so klar?
Dejan Ljubicic: Doch, das schon, aber die Choreographie vor dem Anpfiff und die Stimmung während des Spiels waren faszinierend und haben mich noch mal beeindruckt. Ich hatte von vielen Leuten gehört, wie der Verein tickt und wie es im vollen Stadion zugehen kann, aber jetzt habe ich es selbst erlebt. Das war neben dem Derbysieg gegen Gladbach in der Hinrunde der bisher emotionalste Moment meiner Kölner Zeit. Es hat an diesem Tag am Ende alles gepasst, es war das perfekte Drehbuch.
Zwei Saisontore sind Ihnen bisher gelungen, es waren zwei herrliche: eines in den linken Giebel gegen Mainz, eines in den rechten gegen Gladbach. Können Sie nur so treffen?
Als ich für Rapid Wien spielte, war das oft ganz ähnlich. So viele Chancen bekomme ich nicht. Und dann muss man sie verwerten. Irgendwie klappt das bei mir bei besonderen Anlässen ganz gut (lacht).
Beim 4:1 in der Hinrunde gegen Gladbach trafen Sie erstmals für den FC. Das war auch ein besonderer Anlass.
Auf jeden Fall. In erster Linie war ich glücklich über unseren Derbysieg. Ich sehe mich als Teamplayer. Zuvor hatte ich ja auch schon zweimal getroffen, aber leider wurden die Tore aberkannt. Da war das Tor im Derby auch eine Befreiung.
Wer mal das Wiener Derby zwischen Rapid und Austria verfolgt hat, der weiß, dass es dort vor, während und nach dem Spiel auch ordentlich zur Sache geht. Lässt es sich zumindest etwas mit dem Rhein-Derby vergleichen?
Durchaus. In Wien ist das Derby auch eine ganz wichtige Sache, es elektrisiert die Fans schon Tage vorher. Hier ist das Derby aber noch eine Nummer größer. Allein die Stadien sind ja deutlich größer.
Auf was wird es am Samstag im Borussia-Park vor allem ankommen?
Wir müssen wieder von Beginn an da sein, Druck machen, Vollgas geben, anlaufen. Und es nicht so machen wie gegen Mainz, als wir die erste Halbzeit verschlafen haben. Gladbach hat wieder gewonnen, ist im Aufwind, hat starke Individualisten und wird diesmal sicher ganz anders auftreten als in der Hinrunde. Es wird viele packende Zweikämpfe geben, die müssen wir sofort annehmen. Schaffen wir das alles, sehe ich gute Chancen für uns, auch in Gladbach zu gewinnen.
Ihr Teamkollege Mark Uth hat davon gesprochen, dass er in der kommenden Saison „unfassbar gerne“ mit dem FC international spielen möchte. Trainer Steffen Baumgart schlug neue Töne an, rief jetzt den Europapokal als Ziel aus. Ist die Zeit der Vorsicht und Tiefstapelei vorbei?
Wir sind nach 29 Spieltagen relativ weit oben in der Tabelle, warum also nicht? Jeder wünscht sich das doch oder träumt davon. Mit diesen Fans im Rücken wäre Europa schon was ganz Besonderes. Wir werden jetzt voll angreifen. Aber erst einmal gilt es, Gladbach zu schlagen.
2017 hatten rund 20.000 Fans den FC nach London zum Spiel bei Arsenal begleitet.
Ich weiß, die Videos wurden mir schon gezeigt (lacht). Unfassbare Szenen. Ich hätte nichts gegen eine Wiederholung.
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In Ihrer ersten Saison in Köln haben Sie sich erstaunlich schnell behauptet und sind prompt zum Nationalspieler geworden. Schneller als Sie das selbst erwartet hätten?
Das ist schon eine Traum-Saison für mich, denn der Schritt von Österreich nach Deutschland ist groß, auch wenn der Fußball in Österreich aufgeholt hat. Wir haben auch eine qualitativ gute Nationalmannschaft, die sich für die WM hätte qualifizieren können. Auch das Niveau der Ersten Liga ist besser als manche denken. Es kommen mittlerweile immer wieder junge, hungrige Spieler nach. Und es hat seinen Grund, warum so viele Österreicher in der Bundesliga spielen. Trotzdem ist das Level hier noch mal höher als in Österreich – vor allem was Intensität und Tempo angeht. Die Einheiten können bei Steffen Baumgart richtig anstrengend sein (lacht). Das war in Wien schon anders. Ich hatte mir gewünscht, dass ich gleich viel spiele, aber erwartet hatte ich es nicht. Darüber bin ich froh. Aber mein Weg ist natürlich noch lange nicht zu Ende.
Sie sind ein junger Familienvater. Wie gefällt es der Familie Ljubicic in Köln?
Super – das gilt für Stadt und Leute. Auch meine Frau fühlt sich in Köln sehr wohl. Wobei man sagen muss, dass meine Heimat Wien eine Traumstadt ist, deren Lebensqualität ich manchmal vermisse, auch weil meine Familie und viele meiner Freunde da leben. Was die Menschen hier angeht, lebt es sich in Köln ganz toll. Die Stadt ist wunderbar offen.
Ihr Bruder Robert spielt seit Saisonbeginn für Rapid. Sie haben sich also verpasst.
Er spielt regelmäßig und fühlt sich ebenfalls wohl. Wir haben jeden Tag Kontakt. Er schaut sich meine Spiele an, und ich seine. Er kritisiert mich auch mal, umgekehrt mache ich das weniger. Das ist nicht so meine Art (schmunzelt).
Zum Abschluss ein ernstes Thema. Der Krieg in der Ukraine beschäftigt die ganze Welt. Sie kommen aus einer Familie, die das Thema Flucht aus eigener Erfahrung kennt. Ihre Eltern sind bosnische Kroaten, die wegen des Balkan-Kriegs nach Österreich emigrierten. Betrachtet man alles vor Ihrem Hintergrund mit anderen Augen?
Meine Mutter, die mich vor kurzem in Köln besucht hat, sprach davon, dass jetzt ein paar Erinnerungen von früher wieder hochkommen. Es ist unfassbar traurig und schlimm, was in der Ukraine passiert. Die Kinder tun mir immer am meisten leid. Meine Eltern haben mir erzählt, wie schlimm es war, als sie ihre Heimat unweit von Sarajewo verlassen musste. Sie hatten dort zusammen ihr ganzes Leben aufgebaut – und von einen Tag auf den anderen war alles weg.
Im Sommer 2021 haben Sie selbst Dienst an der Waffe geleistet. Wie haben Sie die Grundausbildung beim Bundesheer in Österreich empfunden?
Das war nicht so meine Sache, aber die Grundausbildung war eben Pflicht. Ich konnte sie auch verkürzen. Sie war körperlich hart. Aber es war eine spannende Zeit für mich. Man lernt sehr viel Disziplin und Respekt, das braucht man natürlich auch im privaten Leben.
Zur Person
Dejan Ljubicic, geboren am 8. Oktober 1997 in Wien, spielte als Kind beim Hauptstadt-Klub Favoritner AC. 2006 wechselte er in die Jugend von Rapid, 2017 wurde er bei den Hütteldorfern Profi. Zur Saison 2021/22 wechselte der Mittelfeldspieler ablösefrei zum 1. FC Köln. Für den Bundesligisten absolvierte er bisher 27 Pflichtspiele (20 Mal Startelf). Seit Oktober 2021 ist der Wiener mit bosnisch-kroatischen Wurzeln A-Nationalspieler Österreichs. Ljubicic ist verheiratet mit Magdalena und Vater einer knapp einjährigen Tochter. Sein Bruder Robert (22) spielt seit Saisonbeginn für Rapid Wien (ksta)