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Pfiffe, Jubel, Groll, ErklärungenDer 1. FC Köln im Wechselbad der Gefühle

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FC-Lizenzspielleiter Thomas Kessler (r.) und Trainer Steffen Baumgart

Köln – Es sollte schon mit dem Teufel zugehen, wenn es der verrückte, freche Schiebermützen-Klau des Kölner Stürmers Anthony Modeste nicht in jeden Bundesliga-Jahresrückblick schaffen würde. Der Torjäger hatte seinem Trainer Steffen Baumgart nach seinem zweiten Tor zum 2:2-Endstand gegen Union Berlin kurz die Kappe abgenommen, ein ulkiges Tänzchen aufgeführt und den Kölner Anhang in Verzückung gebracht. Der Franzose soll sich den Jubel bereits im Vorfeld überlegt haben, ganz spontan war er also nicht. Baumgart wusste davon allerdings nichts, wirkte überrascht und brüllte lieber zurück. Irritiert hatte ihn zuvor etwas ganz anderes.

Modeste die Lebensversicherung

Der Trainer hat den mittlerweile 33-jährigen Star wieder hinbekommen. Modeste ist fit, spürt Vertrauen und zahlt es mit Leistungen zurück, die viele ihm nicht mehr zugetraut hätten. Mit seinen bereits zehn Pflichtspieltoren ist er so etwas wie die Kölner Lebensversicherung. Die 14 Liga-Punkte und der Einzug ins Pokal-Achtelfinale gehen zum großen Teil auf seine Kappe. Auch am Sonntag wurde Modeste gefeiert, er ließ sich auch feiern. Nach dem Abpfiff war beim FC allerdings auch wieder schnell Schluss mit lustig. Baumgart verstand die Welt nicht mehr. Und dabei ging es so kurz vor dem 11.11. nicht um einen Kappen-Abend.

Baumgarts Furor

Der Coach zeigte sich im Idiom der wütenden Trainer „angepisst“ über die Pfiffe der Fans im mit 49 000 Zuschauern nahezu ausverkauften Stadion. Das Verhalten vieler Anhänger habe ihn „gestört, geärgert“, es sei sogar „bedenklich“. Auch Sportchef Jörg Jakobs, für gewöhnlich ein ruhiger, sachlicher Vertreter, war ungehalten: „Da frage ich mich echt, was da die Vorstellung ist.“ Da sei „zu viel Erwartungshaltung dabei. Ich würde mir wünschen, dass die Mannschaft entsprechend unterstützt und gestärkt wird. Und nicht dem Unmut freiem Lauf gelassen wird. Das halte ich für kontraproduktiv.“ Jakobs’ Fazit: „Aus meiner Sicht sollte im Stadion in Köln nur einer pfeifen, mal vom Schiri abgesehen. Das ist unser Trainer.“

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Der hatte nach seiner Amtsübernahme im Sommer einen Hype rund um seine Person ausgelöst und den FC ausgelöst. Sicher unfreiwillig. Doch der Coach wird mittlerweile von den Fans verehrt. Baumgart lässt mutigen Fußball spielen mit einer Mannschaft, die sich kaum verändert hat und zuvor zweimal knapp den Abstieg vermieden hat. Mit diesem Vollgas-Fußball war der FC in den ersten Wochen sehr erfolgreich. Aber diese Variante birgt Risiken. Und dass sich nach vier Bundesligaspielen ohne Sieg und einem zwischenzeitlichen 1:2-Rückstand gegen Angstgegner Union auch schnell der Wind drehen kann – diese Erfahrung machte Baumgart jetzt erstmals. Und er hatte mit dieser Unmutsbekundung sicht- und hörbar Probleme.

Es zeichnete den Trainer allerdings aus, dass er nach den ersten äußert emotionalen Statements vor den TV-Kameras auf der Pressekonferenz die Dinge wieder sachlich einordnete und seine Reaktionen erklärte. „Wir haben einen Weg zu gehen und müssen uns entwickeln. Sie können das auch“, sagte der 49-Jährige in Richtung der Anhängerschaft. Wer seine mutige Spielidee wolle, der müsse eben auch den Beipackzettel mit den Risiken und Nebenwirkungen akzeptieren. „Zwei, drei Jahre sah der Fußball hier anders aus. Jetzt sieht er so aus, dass er Spaß macht. Wenn wir hier einen anderen Fußball entwickeln wollen, braucht das Zeit. Dann passieren Fehler“, sagte der frühere Stürmer und stellte klar, dass er überhaupt nicht daran denke, von seinem Weg abzurücken.

Kesslers Ruhe

Dennoch merkte man nicht nur Baumgart an, dass der Sonntagabend Spuren hinterlassen hatte. Mit dem Abstand von 16 Stunden war Thomas Kessler, der Leiter der Lizenzspielermannschaft, am Montag bemüht, dem Thema die Schärfe zu nehmen. „Gestern wurde viel darüber gesprochen. Wir müssen die Sache nicht höher hängen, als sie ist. Wir sind sehr froh, dass wir wieder vor 50000 Zuschauern spielen dürfen. Es ist klar, dass die Erwartungshaltung eine andere wird, wenn man gute Leistungen zeigt“, sagte der langjährige Torwart. Die Zuschauer, die im Stadion waren, würden den FC gut unterstützen. Aber die aktive Fanszene, die aufgrund der Corona-Beschränkungen die Partien weiter boykottiert, sei auch wichtig für den FC: „Wir würden uns freuen, wenn sie zeitnah zurückkehrt.“

Doch ganz gleich, ob mit oder ohne Ultras oder ob die neue Spielphilosophie auch goutiert werde: Der FC will den neuen Weg „konsequent weitergehen. Und auf diesem gehören auch mal Rückschläge dazu“, befand Kessler: „Es gibt keinen Grund, unruhig zu werden.“