Köln – Herr Gospodarek, wer entscheidet in einer Fußballmannschaft eigentlich, wer die Nummer 1 im Tor ist?
Uwe Gospodarek: In Timo Horn haben wir eine Nummer 1, davon gehe ich jedenfalls aus. Meine Eindrücke bisher sind sehr positiv, egal, von welchem Torwart. Und ich gehe davon aus, dass die Konstellation erst einmal bleibt, wie sie ist.
In Köln gab es auch schon Cheftrainer, die sich in der Torhüter-Entscheidung vollends auf den Torwarttrainer verlassen haben.
Steffen Baumgart hat sehr viel Ahnung vom Torwartspiel, mehr Ahnung als die meisten anderen Cheftrainer. Er hat ein sehr gutes Auge für Torhüter, daher kann er das gut einschätzen. Am Ende gehe ich aber davon aus, dass die Entscheidung im Trainerteam getroffen wird.
Die Trainer sind neu, die Nummer 1 bliebt. Ist das vom Verein so vorgegeben?
Timo Horn ist seit neun Jahren die Nummer 1 beim FC und hat gewiss Höhen und Tiefen gehabt. Aber er hat sich seit einem Jahr auch wieder richtig gut gefangen. Ich sehe, wie er Gas gibt im Training. Er hat jetzt sicher eine andere Intensität als früher, das merkt man schon. Aber ich habe lange mit ihm gesprochen: Er ist gewillt, unseren Weg mit zu gehen, und ich habe gesagt, dass ich ihm dabei helfen werde und versuchen will, ihn besser zu machen. Aber dafür brauche ich ihn. Ich kann hier viel erzählen: Wenn er nicht mitmacht, habe ich ein Problem. Ich sehe einen gewissen Rhythmus bei ihm, der anders ist als meine Vorstellung. Aber das kann man erlernen.
Was fordert Steffen Baumgart von seinen Torhütern?
Dass sie kicken können, dass sie mitspielen. Ich sehe bei Timo: Er kann das definitiv. Aber es wurde in den letzten Jahren weniger verlangt. Dann stand er hinten drin, hatte den Ball – und niemand wollte ihn haben. Steffens Philosophie sieht vor, dass es die eine oder andere Anspielstation geben wird. Wenn es mal brennt, muss es dann auch mal der lange Ball richten. Aber als Torwart tut man sich grundsätzlich weniger schwer, wenn es eine Anspielstation gibt.
Kann man den Umgang mit dem Ball am Fuß mit 28 Jahren noch lernen?
Auf jeden Fall, allerdings nicht bei mir im Torwarttraining, sondern in Spielformen. Und zwar nicht irgendwo im Zentrum, wo ein Torwart im Spiel nie rumturnt. Sondern als Wandspieler. Dann kann man Passschärfe fördern, Freilaufverhalten – das Schauen in die Breite, nicht nur dorthin, wo der Ball ist. Das schärft die Sinne, und das kann ich im Torwarttraining nicht gut simulieren, denn da fehlt der Gegnerdruck, da läuft ja niemand an. Ich mache Videoanalysen von jedem Training, nehme alles auf, schneide es zusammen und bespreche es mit den Torhütern. Aber nicht täglich, man sieht auch nicht jeden Tag eine Verbesserung, das dauert. Unser Ziel ist es, neue Automatismen zu entwickeln. Gerade in Stresssituationen fällt man leicht in alte Muster zurück. Daran müssen wir arbeiten, aber dafür bin ich ja da.
Wie trainiert man Timing?
Ich sage meinen Jungs immer: Das Wichtigste ist, dass ihr steht, wenn der Schuss abgegeben wird. Denn wenn ihr dann noch in der Bewegung seid, habt ihr keine Chance. Es ist zwar grundsätzlich wichtig für einen Torwart, richtig zu stehen, von der Position und vom Winkel her. Aber entscheidend ist, im Gleichgewicht zu stehen, fertig zu sein mit der Bewegung. Ich sehe viele Torhüter, die immer nur stürzen und stürzen, aber keine Chance haben, weil der Schuss längst abgegeben ist und man dann nicht mehr reagieren kann.
Weil die Stürmer in der Bundesliga so stark sind, dass sie einen Torhüter immer verladen können?
Ein Torhüter muss erreichen, dass der Schütze nicht mehr weiß, was er tun soll. Wenn der Torhüter etwas anbietet, lupft der Angreifer drüber oder sucht sich eine Ecke aus. Deshalb ist es wichtig, reagieren zu können. Auch im eins gegen eins; wenn ich da als Torhüter einfach stehen bleibe, erschrickt der Stürmer. Meistens wird man dann angeschossen, das ist gut – man muss natürlich auch noch darauf Acht geben, die Beine zu schließen.
Wie greift ein Torwarttrainer ein, wenn der Torhüter in ein Tief gerät?
Man versucht, die Sicherheit zurückzugeben. Das größte Problem für einen Torhüter ist das Nachdenken. Ein Torwart muss komplett abschalten können während des Spiels, es hilft nicht, über Situationen nachzudenken, die schon passiert sind.
Wie hart geht ein Torwarttrainer seinen Spieler dann in der Analyse an?
Ich habe den Torhütern hier gesagt: Ihr werdet von mir immer die Wahrheit hören. Ich will, dass sich die Jungs weiterentwickeln, da nützt es nichts, wenn ich ihnen Honig ums Mal schmiere, während sie einen Ball nach dem anderen durch die Hosenträger kassieren. Es gibt immer gute und schlechte Tage, auch im Training. Manchmal hält man jeden Ball und weiß nicht, warum. Und wenn plötzlich alle reingehen, weiß man auch nicht, woran es liegt. Ich will einfach, dass man immer Gas gibt, immer weitermacht. Irgendwann kippt es dann wieder in die andere Richtung.
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Kannten Sie Marvin Schwäbe bereits, ehe er jetzt zum FC wechselte?
Lustigerweise war er ein Thema in Stuttgart, als Gregor Kobel noch nicht unterschrieben hatte. Wenn man in Dänemark spielt, dort Pokalsieger und Meister wird, hat das etwas mit Qualität zu tun. Da oben im Norden geht es vor allem körperlich ganz schön zur Sache.
Schwäbe hat gesagt, man habe ihm hier eine faire Chance versprochen. Dennoch geht Timo Horn als klare Nummer eins in die Saison.
Marvin hat aber auch gesagt, dass er weiß, dass Timo hier neun Jahre die Nummer eins war. Den Satz darf man dabei nicht vergessen. Als Profifußballer willst du immer spielen. Es wäre ja schlimm, wenn die Nummer zwei sagen würde, sie will nicht spielen. Dann hätte man den Beruf verfehlt. Trotzdem weiß er um seine Aufgabe.
Was macht man denn, wenn die beiden gleich gut sind?
Wenn die Nummer eins keinen Fehler macht, kann ich sie ja schlecht auf die Bank setzen. Wenn beide gleich gut sind und die Nummer eins gut hält, spielt die Nummer eins. Das ist das Geschäft. Einen Torhüter wechselst du ja nicht von Spiel zu Spiel.
Außer im Pokal?
Darüber müssen wir noch mal im Trainerteam reden. Das ist noch nicht entschieden.
Im Trainingslager hatten Sie nun einen Nachwuchstorwart dabei, den Jörg Jakobs schon als „Kronprinzen“ bezeichnet hat. Wo steht Jonas Urbig?
Er ist ein sehr talentierter Junge, aber klar ist auch: Das ist Jugendfußball, jetzt gehen wir in den Erwachsenenbereich. Wir müssen abwarten, wie er auf die Trainingsbelastungen reagiert, das wird insgesamt eine spannende Geschichte. Die Geschwindigkeit im Erwachsenenfußball ist der entscheidende Unterschied. Als ich beim FC Bayern noch als A-Jugendlicher mein erstes Bundesligaspiel machen durfte, stand ich zwar schon bei den Profis im Training. Als dann aber der Schiedsrichter das Spiel anpfiff, dachte ich, ich sei in einer anderen Welt. So schnell war das. Das Spieltempo ist noch einmal ganz anders als das Trainingstempo, selbst wenn man die Intensität im Training hoch hält. Jonas ist 17, es wäre schade, wenn er schon fertig wäre, dann hätte ich ja nichts mehr zu tun. Wir müssen auch die körperliche Entwicklung abwarten, da kommt noch etwas. Dafür haben wir aber auch unsere Fitnesstrainer, die achten darauf, dass er beweglich bleibt und gleichzeitig an seiner Stabilität arbeitet. Aber nochmals: Der Junge ist 17.
Sie selbst scheinen einigen Wert auf Ihre Fitness zu legen, auch nach der Karriere...
Als Spieler war ich eine lauffaule Sau, sagen wir es, wie es ist. (lacht) Ich bin auch heute noch der Meinung, dass ein Torhüter kein Marathonläufer sein muss, sondern explosiv. Ich war nie der größte Torhüter, und man sagt ja: Länge kannst du nicht trainieren. Daher musste ich im Training springen, springen, springen. Erst nach der Karriere habe ich begonnen zu laufen – und mittlerweile fühle ich mich nicht mehr wohl, wenn ich nicht laufen gehen.
Aber Sie sehen nicht so aus, als ob Sie nur laufen gehen würden.
Klar macht man auch noch ein paar andere Übungen, aber ich finde, dass ich das auch muss. Ich muss als Trainer auch ein Vorbild für meine Spieler sein.
Als Torwarttrainer analysieren Sie auch die Torhüter anderer Teams. Worauf achten Sie da?
Natürlich analysieren wir die anderen Torhüter und sagen, worauf die eigenen Stürmer achten können. Genauso geben wir unseren Torhütern vor jedem Spiel mit, welche Stärken und Schwächen die gegnerischen Stürmer haben, Standardsituationen, Elfmeter – das volle Programm. Unsere Torhüter gehen nie unvorbereitet in ein Spiel, das ist die normale Prozedur vor einem Spieltag.
Sie haben 371 Pflichtspiele in Ihrer Karriere gemacht.
Viel zu wenige Bundesliga-Spiele. Das werfe ich mir vor. Aus dem, was ich konnte, habe ich zu wenig gemacht. Ich war zu brav.
Inwiefern?
Ich bin damals von den Bayern weg, weil Oliver Kahn kam und klar war, dass ich nicht spielen würde. Dann war ich in Bochum und hatte dort super Jahre. Leider habe ich mich dann verletzt, mein Ersatz hat es gut gemacht und ich habe nicht mehr gespielt. Das habe ich hingenommen, obwohl ich vorher die Nummer eins war. Dann kam das Angebot von Kaiserslautern als neue Nummer eins, und Otto Rehhagel hat mir gesagt: Herr Gospodarek – er hat ja alle Spieler gesiezt – ich setze Sie aufs Pferd, reiten müssen Sie selbst. Das Problem war, dass ich mir im zweiten Testspiel die Schulter gebrochen habe. Als ich wieder fit war, hatte ich noch kein Spiel gemacht, aber noch zweieinhalb Jahre Vertrag. In dieser Zeit habe ich nur noch sieben Spiele gemacht, mich aber mit meiner Situation stillschweigend abgefunden. Das würde ich heute nicht wieder so machen.
Wie bereitet man sich als Nummer zwei auf ein Spiel vor?
Du trainierst die ganze Woche so, als ob du spielen würdest. Und wenn es dann passiert und du spielst, machst du die besten Spiele, wenn du nicht damit rechnest und einfach reingeworfen wirst. Dann denkst du nicht nach und machst einfach deinen Job. Ich habe viele Ersatztorhüter erlebt, die enorm wichtig waren für die Mannschaft, für die Stimmung in der Kabine. Diese Jungs geben immer im Training Gas – egal, ob am Dienstag oder am Tag nach dem Spiel beim Auslaufen. Vor diesen Spielern muss man den Hut ziehen, denn diesen Job so auszufüllen, ist auch eine Charakterfrage.
Torhüter sind ja spezielle Charaktere.
Natürlich, du musst schon besonders sein, wenn du dir jeden Tag die Bälle vor den Latz knallen lässt. Hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen – das war immer mein Job. Für mich gab es nichts Schöneres als Bälle zu halten. Und das tut halt weh. Torwart zu sein, tut weh.
ZUR PERSON
Uwe Gospodarek, geboren am 6. August 1973 in Straubing, kam mit 16 Jahren zum FC Bayern . Von 1991/92 bis 1994/95 war er in München Ersatztorhüter. Weitere Stationen: VfL Bochum (1995–1998), 1. FC Kaiserslautern (1998-2001), Jahn Regensburg (2002-2003), Wacker Burghausen (2003 bis 2007), Borussia M’gladbach (2007 bis 2009). Der Keeper bestritt 71 Bundesliga- und 156 Zweitligaspiele, dazu lief er 18 Mal für die U21 des DFB auf.