AboAbonnieren

Kommentar

Kolumne Dauerkarte
Die letzte Chance für Christian Keller beim 1. FC Köln

Ein Kommentar von
Lesezeit 7 Minuten
Christian Keller, Werner Wolf und Carsten Wettich am Mittwoch auf dem Podium im Coloneum

Christian Keller, Werner Wolf und Carsten Wettich am Mittwoch auf dem Podium im Coloneum

Drei Wochen nach dem Abstieg des 1. FC Köln ist die Zwischenbilanz besser als erwartet. Trotzdem bleiben viele Fragezeichen.

Am Mittwoch wurde es mal wieder spät mit dem 1. FC Köln, aber nicht so spät wie befürchtet. Wir sind von den Mitgliederversammlungen ja einiges gewöhnt, und auch der Stammtisch im Januar hatte bis Mitternacht gedauert. Damals ging es um die Aufarbeitung von Transfersperre und Trainerwechsel.

Diesmal standen drei Themen auf der Tagesordnung: Das Gutachten, auf dessen Basis die Vereinsspitze entschieden hat, keine weiteren personellen Konsequenzen aus der Transfersperre zu ziehen. Dann die sportliche Situation, die momentan mit „Abstieg in die Zweite Liga“ hinreichend beschrieben ist. Und das Thema „wirtschaftliche Lage“, über das die Geschäftsführer am Geißbockheim derzeit am liebsten sprechen. Denn ein Großteil der Verbindlichkeiten ist in den vergangenen zwei Jahren abgetragen worden.

Die Leute fragen sich: Wie ist das möglich? Und ich glaube, man kann sagen: ohne Weiteres. Wenn ich bei mir zu Hause an der Badewanne das Wasser aufdrehe und den Abfluss verschließe, füllt sich die Wanne. So ähnlich kann man sich das Wirtschaften des 1. FC Köln vorstellen: In der Frankfurter DFL-Zentrale werden die Fernsehverträge verhandelt, aus denen die Kölner zuletzt etwa 50 Millionen Euro jährlich erhielten. Hinzu kommen Einnahmen aus dem Spielbetrieb im stets ausverkauften Stadion. Dann noch etwas Marketing, Fanartikel. Fertig ist der Etat. Wahnsinnig viel Geld ist das, für das man nicht unbedingt das Rad neu erfinden muss.

Christian Keller erklärte die sportliche Lage, Präsident Werner Wolf hörte aufmerksam zu.

Christian Keller erklärte die sportliche Lage, Präsident Werner Wolf hörte aufmerksam zu.

Beim FC hatte allerdings jemand den Wannenstöpsel verlegt, sodass zeitweise mehr Wasser unten rauslief, als von oben reindonnerte. Was wirklich eine Leistung ist, wir sprechen von einem riesigen Abfluss. Zeitweise musste der FC sogar eimerweise Wasser aus der Küche holen und nachgießen, damit die Wanne nicht leerlief.

Die Eimer waren in diesem Fall Transfer-Erlöse wie zum Beispiel für Sebastiaan Bornauw und Ismail Jakobs im Sommer 2021 für zusammen 20 Millionen Euro. Trotzdem wurde es damals eng mit dem Geld. Die Pandemie, Sie erinnern sich. Aber dann: Innerhalb von zwei Jahren ist offenbar ein Wunder geschehen. Den die Schulden und Verbindlichkeiten von insgesamt 80 Millionen Euro sind praktisch weg.

So ein Wunder ist das allerdings gar nicht, wenn man mal extrem grob überschlägt, was finanziell so los ist im Fußball. Die Kölner Einnahmen aus den Fernsehverträgen lagen vor drei Jahren noch etwa 10 Millionen Euro niedriger als zuletzt. In den vergangenen zwei Jahren hat der FC also zusammen 20 Millionen Euro mehr aus den Medienerlösen erzielt als zuvor, eher 25. Dann sagte Christian Keller am Mittwoch, er habe den Aufwand für die Lizenzspieler in den vergangenen zwei Jahren um 20 Millionen reduziert.

Das heißt, die Kölner dürften bereits in Kellers erstem Jahr 10 Millionen Euro Kaderkosten eingespart haben, nun also noch einmal 20. Dann verkaufte Köln Anthony Modeste und Salih Özcan für zusammen 10 Millionen Euro, dazu Ondrej Duda und Kingsley Ehizibue für fünf. Die Conference League brachte 10 Millionen. Und nicht zuletzt verlor der 1. FC Köln im vergangenen Sommer Jonas Hector und Ellyes Skhiri sowie im Winter Dimitris Limnios und Noah Katterbach, womit die obere Etage der Gehaltspyramide vollständig abgeräumt war.

Was im Fußball mit vernünftigem Wirtschaften möglich ist

Wenn ich mir also vorstelle, dass jemand auf die Idee gekommen ist, den Badewannenstöpsel zumindest leicht verkantet-schief einzusetzen und gleichzeitig noch den Hahn ein bisschen weiter aufdrehte, muss ich nicht mehr an ein Wunder glauben, um mir vorstellen zu können, dass man im Fußball mit vernünftigem Wirtschaften ziemlich schnell ziemlich weit kommen kann.

Daher verstehe ich nach wie vor nicht, wie Christian Keller von seinen Misserfolgen auf dem Transfermarkt derart entmutigt sein konnte, dass er im vergangenen Sommer „zwei bis drei Millionen Euro“ freie Mittel nicht in einen Leihstürmer investierte. Klar gibt es keine Garantien. Aber im schlimmsten Fall hätte der 1. FC Köln eben einen weiteren Stürmer gehabt, der nicht trifft. Und sich ein bisschen langsamer saniert.

Kölns Sport-Geschäftsführer Christian Keller (l.) und Berater Jörg Jakobs im Frühjahr 2022.

Kölns Sport-Geschäftsführer Christian Keller (l.) und der ehemalige Berater Jörg Jakobs im Frühjahr 2022.

Die Zahlen sind immerhin wieder solide. Der Abstieg ist dennoch passiert oder womöglich eben deswegen, das kostet auf Anhieb allein 30 Millionen Euro Medieneinnahmen. Die Mannschaft war nicht gut genug, weil sie entscheidende Fehlstellen in der Offensive sowie im Mittelfeld hatte, was viele haben kommen sehen. Und der Prozess vor dem Cas ist nicht verloren gegangen, weil die Fifa böse ist oder Olimpija Ljubljana kriminell. Sondern weil der 1. FC Köln eine Strategie wählte, die vollständig am Thema vorbei argumentierte. Gegen den Rat von allen Seiten.

Das alles sind Folgen von Fehlentscheidungen. Und alle, die an diesen Entscheidungen beteiligt waren, sind beim 1. FC Köln nach wie vor im Amt. Außer Jörg Jakobs, der die sportlichen Argumente für Potocniks Verpflichtung lieferte und bis heute nicht widerlegt ist. Denn womöglich schafft Potocnik ja eines Tages den Durchbruch. Wäre ich übrigens am Mittwochabend nicht als Journalist im Coloneum gewesen, ich hätte wohl mal gefragt, was das Verantwortungsgutachten denn über Jakobs‘ Rolle sagt. Womöglich weniger als über die noch amtierenden Geschäftsführer. Oder über Alexander Wehrle, der damals den Geschäftsführerbeschluss zu Potocniks Verpflichtung unterschrieb, nichts allerdings Potocniks Vertrag.

Rechtlich ist nun alles aufgearbeitet. Die Kanzlei, die der 1. FC Köln mit der Prüfung beauftragte, ist zwar tatsächlich Carsten Wettichs ehemaliger Arbeitgeber. Sie ist aber auch schlicht die Beste in Haftungsfragen und wohl tatsächlich über jeden Zweifel erhaben. Zu groß und zu prominent, um einem ehemaligen Kollegen einen Gefallen zu tun.

Und ja: Werner Wolf hat nun ausreichend argumentiert, dass er einen Rücktritt auch aus Verantwortungsgefühl ausschließt, weil er einst in FC-Gremien aktiv war, als die Präsidien von Wolfgang Overath und später Werner Spinner kollabierten. Die „Schleifspuren“, das habe ich Wolf nun in den vergangenen Tagen gefühlt 50-mal sagen hören, seien bis heute im Geißbockheim zu sehen. Das stimmt, zum Beispiel fällt mir da ein, dass vor dem Sommer, als bei Familie Wirtz aus Pulheim-Brauweiler die Entscheidung reifte, den 1. FC Köln aufzugeben und nach Leverkusen zu wechseln, Werner Spinner zurückgetreten und durch den Vorsitzenden des Mitgliederrats ersetzt worden war.

Das neu formierte Präsidium stellte damals bald die Zusammenarbeit ein und spielte nach allem, was ich heute weiß, die entscheidende Rolle beim Verlust eines der größten Talente der Klubgeschichte. Und nicht Armin Veh, der als Geschäftsführer zwar aus eigenem Ansporn hätte handeln müssen. Die Aufgabe aber gern in den Händen derer ließ, die sich plötzlich als Präsidenten fühlten und die Hausbesuche bei Familie Wirtz zur Chefsache erklärten.

Letzte Chance für Christian Keller

Ein Vorstand, der zusammenhält und vertrauensvoll mit der Geschäftsführung arbeitet, ist eine gute Sache. Aus Sicht des FC-Präsidiums ist es also nachvollziehbar, dass die Herren weitermachen. Und es ist ebenso nachvollziehbar, dass sie Christian Kellers Rücktrittsangebot ablehnten. Sie schätzen ihn, sie vertrauen ihm – glauben an ihn. Und werden ihn trotzdem vorerst ein wenig intensiver hinterfragen als zuletzt.

Gerhard Struber bei der Vertragsunterschrift

Gerhard Struber ist der neue Mann an der Seitenlinie beim 1. FC Köln.

Dennoch ist die Zwischenbilanz drei Wochen nach dem Abstieg besser als erwartet. Der 1. FC Köln hat einen Trainer, der die beiden wichtigsten Suchkriterien erfüllt: Erfahrung im Pressingfußball und wenig Scheu, junge Leute einzusetzen. Dazu hat Keller ein Gerüst von Spielern gehalten, mit denen es möglich sein sollte, in der Zweiten Liga konkurrenzfähig zu sein. In der Wintertransferphase wird er dann liefern müssen, um zu beweisen, dass er nicht nur ein Talent für gute Transferentscheidungen hat. Sondern dass auch die Strukturen, die er im Kölner Scouting geschaffen hat, einen Mehrwert bringen.

Das alles ist ein Risiko, doch Keller wird diese letzte Chance erhalten. Und der Vorstand wird sich daran messen lassen müssen, sie ihm verschafft zu haben. Im Herbst 2025 wird dann spätestens darüber abgestimmt, ob die Mitglieder ein Team an die Spitze ihres Vereins wählen, dem sie mehr zutrauen als Werner Wolf und seinen Kollegen. Am vergangenen Montag war ich bei der knapp zweistündigen Pressekonferenz, auf der Dieter Prestin Team und Konzept vorstellte, mit dem er sich um das höchste Amt im Verein bewerben will.

Ich habe seitdem niemanden getroffen, den dieser Auftritt überzeugt hat, und ich war in den vergangenen Tagen sehr intensiv in Sachen 1. FC Köln unterwegs. Die Vorstandswahl im Herbst 2025 wird eine Frage der Alternativen sein. Dieter Prestins Initiative hat immerhin dem amtierenden Vorstand aus seiner vor allem kommunikativen Lethargie geholfen. Und es werden sich weitere Teams berufen fühlen, eine Bewerbung zu versuchen. In die Frage, wer dem 1. FC Köln am besten dienen kann, ist also Bewegung gekommen. Das kann nur gut sein für den Verein.

Damit habe ich nun genug Optimismus zusammen, um den Blick für ein paar Tage auf eine andere Fußballmannschaft zu richten. Gleich besteige ich einen Zug nach München, um rechtzeitig zum EM-Auftakt der deutschen Elf in der Allianz-Arena zu sein. Ich wünsche uns allen viel Freude beim Fußballschauen – und ein schönes Wochenende.