Nach dem zweiten Trainerwechsel der Saison 1995/96 gewinnt der 1. FC Köln beim rheinischen Nachbarn Bayer Leverkusen mit 2:1 und verschafft sich Luft im Abstiegskampf.
Bayer 04 gegen den 1. FC KölnAus dem Stadion zur Goldenen Hochzeit
Am Nachmittag des Karsamstag 1996 ist es vergleichsweise ruhig im und am Geißbockheim. Nur wenige FC-Fans verfolgen hier die Radio-Übertragung des so wichtigen Spiels ihrer Mannschaft in Leverkusen. Das Bezahlfernsehen ist noch weit davon entfernt, alle Bundesliga-Partien live zu zeigen.
Im Clubraum feiern Ilse und Peter Reiter mit Familie und Freunden ihre Goldene Hochzeit. Entgegen der Empfehlung ihres Enkelsohnes übrigens, der eine Familienfeier im Vereinsheim an einem Spieltag für keine gute Idee hält. Allerdings wohnen Jubilare an der Gerolsteiner Straße, also nur wenige Minuten mit dem Auto entfernt. Die räumliche Nähe gab den Ausschlag.
Kaffee und Kuchen am Geißbockheim
Während sich die Reiters und ihre Gäste Kaffee und Kuchen schmecken lassen, fiebert der Enkel im Ulrich-Haberland-Stadion – erst 1998 wird es in Bay-Arena umbenannt werden – mit dem 1. FC Köln. Es läuft gut für die Mannschaft von Peter Neururer, der erst kurz zuvor von der glücklosen Vereinsikone Stephan Engels übernommen hat.
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Dietmar Beiersdorfer stochert den Ball nach zehn Minuten in einer unübersichtlichen Situation irgendwie ins Tor. Der Jubel auf den Rängen ist groß. Es wirkt, als wären mindestens genauso viele FC-Fans wie Leverkusener im Stadion. Nach einer halben Stunde gleicht der wandelnde FC-Albtraum Ulf Kirsten aus. Die Begegnung verflacht mit zunehmender Dauer zusehends.
Bayer Leverkusen findet kein Mittel gegen den 1. FC Köln
Leverkusen findet kein Mittel gegen die gut stehende und engagiert zu Werke gehende Kölner Mannschaft, während der FC mit dem einen Punkt im Kampf gegen den drohenden Abstieg zufrieden zu sein scheint.
Noch drei Minuten sind regulär zu spielen. Es gibt Freistoß für den 1. FC Köln auf der rechten Seite, gut dreißig Meter Torentfernung. Ralf Hauptmann schlägt eine Flanke in die linke Strafraumhälfte. Irgendwie landet der Ball am Fünfmeterraum.
FC-Fans purzeln ekstatisch durcheinander
Beiersdorfer ist den Bruchteil einer Sekunde vor Bayer-Torwart Dirk Heinen am Spielgerät und bringt es in einer hohen Flugkurve Richtung Tor. Die beiden Holgers – Fach auf Leverkusener und Gaißmayer auf Kölner Seite – behindern sich gegenseitig. Aus dem Hintergrund kommt Toni Polster heran, er hüpft mehr als dass er springt. Von Schläfe und Schulter des Österreichers prallt der Ball ins Tor.
All dies geschieht innerhalb von zehn, elf Sekunden Realgeschwindigkeit. Im Gästeblock aber dehnt sich jeder einzelne dieser Sekunden zu gefühlten Minuten. Noch während Polster sich dem Ball nähert, fleht ein FC-Fan: „Geh doch bitte, bitte einer da hin!“ Das letzte Wort zieht er in die Länge. Als die Lederkugel das Tornetz berührt, brechen alle Dämme. Leverkusener Fans sacken in sich zusammen, während die Kölner ekstatisch durcheinander purzeln. Die FC-Fans umarmen sich, schreien ihre Erleichterung heraus.
Auf die Euphorie folgt der Hohn für Erich Ribbeck
Nachdem die erste Euphorie über das späte Erfolgserlebnis verflogen ist, verhöhnt der FC-Anhang den rheinischen Nachbarn. Immer lauter rufen sie: „Ribbeck raus!“ Nicht wenige Bayer-Fans stimmen ein. „Wenn die Kölner ‚Ribbeck raus‘ rufen, kann ich damit leben. Bei den Leverkusenern fällt es mir schon schwerer“, gibt der Bayer-Trainer im Interview sichtlich zerknirscht zu Protokoll.
Im Geißbockheim ist es inzwischen voll geworden. Viele FC-Fans feiern den überraschenden Erfolg ihrer Mannschaft und warten auf deren Rückkehr. Auch der Enkel der Reiters ist inzwischen aus Leverkusen zurück. Er kämpft sich durch die feiernde Menge zum Clubraum vor.
Erst will ihm Wilfried Barmann, jahrzehntelang Chefkellner im Geißbockheim, den Zutritt verwehren. Schließlich erkennt er aber den Enkelsohn und lässt ihn passieren. Der Lärmpegel ist im Clubraum nur wenig gedämpft. „Ich habe es euch ja gesagt“, kann sich der Familienspross ein wenig Süffisanz nicht verkneifen, während der Großvater säuerlich Richtung Tür blickt. Ein unvergesslicher Tag. Je nach Perspektive.