Carsten Wettich (41) wurde im Dezember 2019 vom Mitgliederrat für den zurückgetretenen Jürgen Sieger in den Vorstand entsendet. Seit 2013 gehört Wettich dem Mitgliederrat an.
Er studierte Jura in Köln und Lausanne und promovierte in Bonn.
Wettich ist gebürtiger Kölner und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Düsseldorf.
Köln – Herr Wettich, am Donnerstag stellen Sie sich den Mitgliedern des 1. FC Köln als Vizepräsident zu Wahl. Blicken Sie manchmal auf ihren Weg bis in die Spitze des Vereins zurück?
Ich bin seit meiner Kindheit FC-Fan, habe sogar als Kind zwei Jahre für den Verein gespielt. Das konnten allerdings andere sehr viel besser als ich, darum habe ich mich anders orientiert. Als Jurist blickt man gern hinter die Kulissen. Dass ich mich dann tatsächlich in den Gremien engagiert habe, war aber eher aus einer Laune heraus: Wir sind in der Elternzeit mit unserer Tochter im Wohnmobil ans Nordkap gefahren. Meine Frau hat damals gelesen, dass der FC Leute für den Mitgliederrat sucht und gesagt: „Guck mal!“ Ich fand die Vorstellung gut, hätte allerdings nie geahnt, wo das hinführt.
Bereuen Sie mittlerweile den Blick hinter den Vorhang?
Es gibt Dinge im Profifußball, die mir nicht gefallen. Gerade in Corona-Zeiten, in denen die emotionale Schiene fehlt, bemerkt man eine Entfremdung der Branche von den Menschen. Trotzdem macht es einfach Bock, gerade weil ich in der Position Dinge im Sinne der Fans verändern kann. Wir haben brutal gute Chancen hier in Köln, ein super Umfeld. Ich bin mir sicher, dass wir den FC nach vorn bringen werden. Da möchte ich mithelfen und ein Teil der Erfolgsgeschichte sein.
Kann der 1. FC Köln als Teil des Systems überhaupt grundsätzliche Dinge ändern?
Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren. Auf die Menschen im Stadion, unsere Identität in der Region, unsere Wurzeln. Das können wir als Verein durchaus machen. Natürlich können wir uns Entwicklungen nicht verweigern, wenn alle anderen einfach weitermachen. Daher müssen wir für größere Reformen Mitstreiter finden. In der Vergangenheit waren wir oft nicht mutig genug, unsere Positionen zu vertreten. Da müssen wir viel lauter werden. Wir sind es unseren Mitgliedern schuldig, ihre Stimmen nach außen zu tragen. Im Fußball ist manches Populismus, aber wir müssen mit Argumenten überzeugen und natürlich mit den Emotionen und der Wucht, die der 1. FC Köln hat. Wir brauchen einen neuen Sound beim FC: Wir haben unsere Positionen, die vertreten wir nach außen – und die sind unverrückbar. Ich möchte den FC in der aktuellen Debatte um die Zukunft des Profifußballs zu einer Stimme in Fußballdeutschland machen.
Sehen Sie darin Ihre Führungsaufgabe als Vorstand eines Vereins mit mehr als 100.000 Mitgliedern? Hörbar zu sein auch über die Stadt hinaus?
Absolut. Es ist wichtig, herauszuarbeiten, wofür der 1. FC Köln stehen soll. Wir werden auf der Mitgliederversammlung eine Vision, eine Mission und einen Wertekatalog vorstellen und anschließend in den Dialog gehen, um herauszufinden, ob das den Vorstellungen unserer Mitglieder entspricht. Dann werden wir das nach außen vertreten. Natürlich ist es wichtig, in der ersten Liga zu bleiben. Als Vorstand ist es aber auch unsere Aufgabe, über die Saison hinaus zu denken, Strukturen zu schaffen, nachhaltig zu denken und zu arbeiten. Mit meiner Erfahrung und meinen Kompetenzen kann ich mich da einbringen und hoffe, dass meine Nähe zu den Fans dazu beiträgt, das diese Strategie auch mit getragen wird.
Sie sagen es selbst: Das Problem im Profifußball ist, dass neben der langfristigen Planung kurzfristig der sportliche Erfolg zählt. Muss man dafür Kompromisse eingehen?
Ja, muss man. Dabei dürfen wir aber nie die Ziele aus den Augen verlieren. Es gibt Teile des Systems, bei denen ich ganz klar Reformbedarf sehe. Nehmen wir die Spielerberater, die vertreten die Interessen des Spielers. Das ist völlig in Ordnung. Aber deren Interesse ist genau gegensätzlich zu unserem – und trotzdem werden die Berater nicht von den Spielern bezahlt, sondern von den Klubs. Das ist absurd, das müssen wir ändern. Natürlich nicht alleine, sondern da müssen wir die anderen Vereine hinter uns bringen.
Teile Ihrer Strategie sind bereits öffentlich geworden, vor allem die genannten Zeitspannen. Wird es tatsächlich sieben Jahre dauern, bis der 1. FC Köln ein modern wirtschaftender und sportlich erfolgreicher Klub ist?
Der Begriff Sieben-Jahres-Plan führt in die Irre. Es geht um eine Agenda für die Zukunft des 1. FC Köln. Es wird nicht sieben Jahre dauern, bis wir etwas erreichen. Der Verein braucht übergeordnete Ziele. Wenn man sich die Vergangenheit anschaut, ist selten das Geld das Problem gewesen, sondern das sinnvolle Investieren dieses Geldes. Ein bekannter Spielerberater hat zurecht erklärt, dass selbst die Mainzer uns überholt haben. Interessant an dem von ihm genannten Beispiel ist, dass die Mainzer keine Investoren haben und viel schlechtere Rahmenbedingungen als wir. Wenn die an uns vorbeiziehen, haben wir in Köln schlecht gearbeitet, das muss man dann einfach so analysieren. Eben deshalb haben wir gemeinsam gesagt: Wir brauchen eine Strategie. Manche Maßnahmen werden Zeit brauchen, bis sie greifen. Wenn man aber nie anfängt, wird nie etwas passieren. Man hat in den vergangenen Jahren viel zu oft geglaubt, man könne nicht langfristig planen, weil man sich auf das sportliche Tagesgeschäft konzentrieren müsse. Ich bin überzeugt, dass beides möglich ist. Wir haben für jedes einzelne Jahr konkrete Pläne und vieles vor, was schnell umgesetzt werden kann. Wenn das so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, kommen wir langsam, aber nachhaltig nach oben in der Bundesliga. Davon bin ich überzeugt, und daran lassen wir uns messen.
Dennoch nennen Sie auch sportlichen Erfolg als Ziel.
Natürlich, wir sind ein Fußballverein. Ich bin weiterhin auch Fan dieses Klubs und möchte daher Siege sehen. Wenn man es nüchtern analysiert, schießt Geld tatsächlich Tore. Man kann dabei besser performen als der Markt oder schlechter – wir haben leider meistens schlechter performt. Das ist ein Phänomen in der Bundesliga: In der freien Wirtschaft gibt es keinen SC Freiburg, der mit viel schlechteren Voraussetzungen so viel besser performen kann. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass wir mit anderen Strukturen im sportlichen Bereich zeitnah gewissen Erfolg haben werden. Uns fehlen aber im Ergebnis 25 bis 30 Millionen Euro Etat für die Lizenzspieler, um in den Top-10 zu sein. Wir wollen nachhaltig dieses Geld einsammeln. Aber das geht nicht von heute auf morgen, das wird sich Jahr für Jahr entwickeln.
Wie weit kann es denn sportlich gehen?
Wir wollen uns langfristig unter den Top 10 der Bundesliga etablieren. Wichtig ist hierbei die Nachhaltigkeit: Wir hatten das Beispiel, dass wir einmal in Europa waren und anschließend abgestiegen sind. Für mich persönlich war Europa ein Traum, die Tage in London, Belgrad oder Borissow werde ich in meinem Leben nicht vergessen. Aber aus Sicht des Vizepräsidenten Carsten Wettich wären wir besser zweimal Zehnter geworden als einmal Fünfter und einmal Letzter.
Wie steht es um Ihre Nervosität vor der Wahl?
Also – natürlich möchte ich es werden. Ich habe den Ehrgeiz und den Mut, den 1. FC Köln durch diese Krise zu führen. Gerade jetzt sind Dinge gefragt, die ich mir zuschreibe: Nüchternheit, Fähigkeit zur klaren Analyse, wirtschaftliche Kompetenz. Ich nehme gern die Emotionen mit, aber für uns geht es um klare Analysen und darum, mehr zu machen als zu labern, um es salopp zu formulieren. Beim 1. FC Köln haben immer viele etwas zu sagen, aber es machen nur wenige etwas. Ich glaube, dass viele Leute besser reden können als ich. Aber wenige können besser machen. Vieles geschieht im Hintergrund, das müssen wir in Zukunft besser kommunizieren. Das haben wir und auch speziell ich in den letzten Monaten nicht gut gemacht. Aber wir brauchen keine Schönredner, denn wenn wir hier nur reden und nichts unternehmen, gibt es den 1. FC Köln in zwei Jahren nicht mehr. Wir brauchen jetzt Leute, die machen, die sich reinhauen, die bereit sind, eben auch die Drecksarbeit zu machen. Beim 1. FC Köln hat man sich immer schwergetan, schwierige Entscheidungen zu treffen. Ich treffe Entscheidungen, wenn sie getroffen werden müssen, darin sehe ich meine Rolle. Die Lorbeeren können gern andere ernten.
Sie unternehmen den Versuch, mit dem Gegenteil von Populismus eine Wahl zu gewinnen.
Richtig. Die Mitglieder müssen entscheiden, ob die Zeit reif dafür ist.
Corona ist zurzeit ein Argument für alles, auch dafür, dass man Schwierigkeiten hat, im Dialog zu sein. Was tun Sie, wenn es vorbei ist?
Wir als Vorstand müssen die Menschen in den Arm nehmen. Wir erleben eine starke Polarisierung, die durch Corona noch gesteigert wurde. Ich glaube, dass wir die Fans und Mitglieder in der Coronakrise zu oft alleingelassen haben. Wir haben virtuelle Fanklub-Besuche gemacht, aber da merkt man einfach, dass man viele Menschen nicht erreicht. Ich freue mich darauf, wenn ich wieder bei den Fanklubs bin und die Menschen persönlich begrüßen und auch ein Kölsch mit Fans trinken kann. Das sind einfach sensationelle Veranstaltungen, die mir sehr fehlen. Und ich freue mich darauf, mit Freunden mal wieder eine Auswärtstour zu machen.
Im Umfeld des 1. FC Köln scheint es besonders viele Menschen zu geben, die Verletzungen erlitten haben, enttäuscht sind und einen zynischen Blick auf den Verein haben. Wir kommt das?
Wir haben es in den vergangenen Jahren nie geschafft, dass mal jemand aufrecht durch die Tür gegangen ist. Horst Heldt, davor Armin Veh, davor Jörg Schmadtke: Da ist keiner im Reinen gegangen. Auch Werner Spinner ist mit großen Verletzungen gegangen; Overath, Caspers. Selbst ein Trainer wie Peter Stöger, der für die erfolgreichste Zeit des 1. FC Köln der vergangenen 20 Jahre steht, ist mit dem 1. FC Köln bis heute nicht im Reinen und der 1. FC Köln auch nicht mit ihm. Das bedaure ich sehr. Wir haben sehr unterschiedliche Gruppen, die einander kritisch gegenüberstehen. Egal, was entschieden wird: Ständig wird in Gut und Böse kategorisiert. Werner Spinner hat es in den ersten Jahren sehr gut hinbekommen, die unterschiedlichsten Gruppen an einen Tisch zu bringen, dafür hat er meinen größten Respekt. Damit hat er die Erwartungshaltung bei manchen vielleicht zu sehr wachsen lassen. Es gehört zu unserem Amt dazu, auch nein zu sagen, selbst wenn das schwierig ist. Manchmal muss man sagen: Ich verstehe, was du willst. Aber wir machen es nicht.
Sie sind jung, haben eine Familie, sind erfolgreich im Beruf. Haben Sie keine Sorgen, dass auch Sie den 1. FC Köln eines Tages mit Verletzungen verlassen?
Nüchtern betrachtet ist dieser Zug wohl schon abgefahren (lacht). Ich bin ja schon Teil der öffentlichen Diskussion. Ich weiß aber, was wir vorhaben, was wir machen werden. Wenn die nächste Saison halbwegs läuft, wird man eines Tages sagen: Warum haben die damals nicht klarer kommuniziert, was sie vorhaben? Das war doch gut! Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns vieles gelingen wird. Was ich tatsächlich vermisse, ist die reine Freude am Stadionbesuch. Ich bin so angespannt, ich genieße die Spiele nicht mehr. Ich glaube aber, dass es einfacher werden wird, wenn wieder Zuschauer im Stadion sind und man nicht mehr so allein ist mit seinen Emotionen.