Herr Kessler, es ist nicht einmal zwei Jahre her, da haben Sie Ihre langjährige Profi-Karriere beendet. Seit einem Jahr sind Sie jetzt der Leiter der Lizenzspielerabteilung und somit auch für die Kaderplanung verantwortlich. Wie viel Spieler steckt heute noch in Ihnen?
Den Spieler Thomas Kessler habe ich mit dem Wechsel in die Geschäftsstelle hinter mir gelassen. Wenn man allerdings so lange Profi war, weiß man selbstverständlich genau, wie Spieler denken, ticken und was innerhalb eines Teamgefüges wichtig ist. Das sind Erfahrungen, auf die ich nach knapp 14 Jahren als Profi zurückgreifen kann.
Der Übergang vom Spieler zum Verantwortlichen ist enorm schnell gegangen. Zu schnell?
Als ich mich nach meiner Karriere für das Trainee-Programm des FC und für das 18 Monate andauernde Management-Programm der DFB und der DFL entschieden habe, war der jetzige Verlauf nicht absehbar. In erster Linie war es wichtig für mich, nach den vielen Jahren in der Profi-Blase ein wenig Abstand zu bekommen. Ich wollte den Klub und die Mitarbeiter auch von der anderen Seite kennenlernen. Im ersten Jahr hatte ich mit der Mannschaft ganz bewusst so gut wie keinen Kontakt und konnte die Zeit nutzen, um viele Mitarbeiter in der Verwaltung kennenzulernen. Das war extrem lehrreich und hilft mir im Umgang mit unseren Mitarbeitern heute enorm. Im zweiten Jahr sollte es dann wieder näher an den sportlichen Bereich gehen. Dazu kam es bekanntermaßen nicht. Im Fußball kann es bekanntlich oft sehr schnell gehen.
War es ein Risiko für den Klub, einen Neuling mit der Aufgabe zu betrauen?
Mit Sicherheit sind die Verantwortlichen mit dieser Entscheidung ein Stück weit ins Risiko gegangen. Erlauben sie mir aber, dass ich persönlich das Risiko für überschaubar hielt (grinst). Allerdings war das in dieser Form Neuland für mich, ich wurde ins kalte Wasser geworfen. Ich war plötzlich in einer leitenden Position in einem Bundesliga-Klub, mitverantwortlich für die sportliche Ausrichtung und Repräsentant für viele Mitarbeiter und über 100.000 Mitglieder. Allerdings wusste ich, dass ich mit Jörg Jakobs (Interims-Sportchef und langjähriger Vorstands-Berater des FC, d. Red.) einen ganz erfahrenen Mann an meiner Seite habe, der nachgewiesen hat, dass er das Geschäft beherrscht und das FC-Umfeld aus dem Effeff kennt. Unsere Zusammenarbeit war vom ersten Tag an sehr gut und wir konnten gegenseitig voneinander profitieren. So konnten wir als sportliche Leitung, im Team mit Lukas Berg den hohen Anforderungen gerecht werden.
Zur Person
Thomas Kessler (36), geboren in Köln-Holweide, war fast ein Jahrzehnt Ersatztorhüter des 1. FC Köln (32 Einsätze). Seit Juli 2021 ist Kessler Leiter des Lizenzbereichs des Klubs.
Was macht Jörg Jakobs nach der Amtsübernahme von Christian Keller?
Nach meinem Kenntnisstand ist es noch offen. Ich persönlich hoffe, dass Jörg dem FC in einer Funktion erhalten bleibt.
Was hat sich für den FC und auch für Sie durch das Wirken von Keller geändert?
Christian Keller bringt seine Vorstellungen ein und hat als Geschäftsführer selbstverständlich immer das letzte Wort. Die Zusammenarbeit ist nach kurzer Zeit schon sehr vertrauensvoll. Bei unserem Austausch ist schnell klar geworden, dass wir inhaltlich auf einer Wellenlänge sind. Was Arbeitseifer und Einsatz für diesen Klub angeht, ist er ein beeindruckendes Vorbild für jeden unserer Mitarbeiter. Er ist der meist der erste, der morgens hier ist und der letzte, der das Licht ausmacht. Er gibt eine klare Linie vor und geht viele Dinge, die er bereits in kürzester Zeit wahrgenommen hat, mit Hochdruck an. Ich bin überzeugt davon, dass er der richtige Mann am richtigen Ort ist und den FC in den kommenden Jahren in die richtige Richtung lenken wird.
Sie mussten bereits Härte zeigen bei Profis, mit denen Sie teilweise noch selbst zusammengespielt haben und ihnen sagen, dass der Klub nicht mehr mit ihnen plant. Ist das schwierig für Sie?
Nein, es ist nicht schwierig. Am Ende geht es bei all unseren Entscheidungen immer um das große Ganze. Wer in der Bundesliga arbeitet oder spielt, kennt solche Entscheidungen und muss sie akzeptieren. Wichtig ist uns dabei, dass wir immer so transparent wie möglich in den Gesprächen sind. Es liegt in der Natur der Sache, dass da die Meinungen sicher auch mal auseinander gehen.
Hatten Sie als Neuling mal Akzeptanz-Probleme?
Nein, so etwas habe ich nie gespürt. Ich bin in dem Geschäft nach all den Jahren kein Unbekannter. Ein Vorteil meiner Position ist dabei auch: Die Leute kommen im Normalfall auf mich zu und stellen sich vor. Ich versuche in allen Gesprächen, immer respektvoll zu sein und fordere dies auch bei meinem gegenüber ein.
Sie sind junger Familienvater. Wie hat sich im Vergleich zur Profi-Karriere Ihr Arbeitspensum verändert?
Die Work-Life-Balance hat sich deutlich verschoben. Als Fußballprofi bist du für die Mannschaft und für dich selbst verantwortlich. Jetzt trage ich die Verantwortung für viele Mitarbeiter – Spieler und am Ende auch für das Wohl unserer Mitglieder. In der Regel bin ich sieben Tage die Woche 16 Stunden erreichbar, das ist auch eine Umstellung für meine Familie. Dabei gibt mir meine Frau großen Rückhalt. Dafür bin ich sehr dankbar. Ohne ihre Unterstützung könnte ich den Job nicht machen.
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Wie hat sich der 1. FC Köln in den vergangenen Jahren verändert? Da könnten wir wohl Stunden drüber reden, oder?
Ja, ganz sicher (grinst). Der Verein war immer im Wandel, es kamen und gingen viele Spieler, Verantwortliche, Mitarbeiter. Kontinuität beim Personal war sicher nicht das Steckenpferd des 1. FC Köln in den vergangenen 15 Jahren. Wenn ich daran denke, wie viele Spieler, aber auch Trainer oder Manager in meiner Zeit als Profi hier waren… Es muss unser Ziel sein, dass wir Kontinuität auf den führenden Positionen bekommen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir dafür heute gute Voraussetzungen haben. Ich weiß aber auch genau, es steht und fällt am Ende mit dem sportlichen Erfolg.
Sie waren als Spieler dabei, als sich der FC 2017 erstmals seit 25 Jahren wieder für den Europapokal qualifizierte. In der Saison danach stieg der Verein dann ab. Welche Fehler darf er nicht mehr wiederholen?
Es kamen damals unglaublich viele Faktoren zusammen: Tragende Säulen unseres Kaders sind verletzungsbedingt langfristig ausgefallen, mit Anthony Modeste hatte uns unsere Torgarantie verlassen, dazu kam die ungewohnte Dreifachbelastung. Die Saison nahm einen negativen Verlauf und infolgedessen haben wir den Manager und den Trainer verloren. Wir haben nie die Balance gefunden zwischen den Festtagen unter der Woche im Europapokal, die wir uns zuvor erarbeitet hatten, und der Performance am Wochenende in der Bundesliga. Den Turnaround haben wir in dieser Saison leider nicht geschafft. Das Ganze gehört aber der Vergangenheit an. Heute sind wir überzeugt von unserem aktuellen Weg. Die letzte Saison war herausragend. Wir wissen unseren sportlichen Erfolg allerdings richtig einzuordnen. Wir befinden uns in einer Entwicklung, die wir trotz der neuen Herausforderungen, mit einer eventuellen Dreifachbelastung, weiter vorantreiben wollen. Uns ist bewusst, dass es ein Prozess ist, in dem es auch zu Rückschlägen kommen kann. Aber ich merke: Alle haben ein gutes Gespür für die Situation und die Erwartungshaltung. Wir freuen uns auf die kommende Saison.
Christian Keller sprach davon, dass er beim FC einen Sanierungsauftrag habe. Wie schwierig ist die Arbeit unter diesen finanziellen Voraussetzungen?
Die Schere zwischen den Klubs geht im Allgemeinen immer weiter auseinander. Unabhängig davon sind wir nur für uns verantwortlich und müssen unsere Hausaufgaben machen. Unser Ziel ist es, die Gehaltsstruktur so zu verändern, dass wir eine gesunde Gehaltshygiene im Kader haben und dennoch nicht an Qualität verlieren. Das dies nicht einfach wird, ist uns durchaus bewusst. Trotz unserer wirtschaftlichen Herausforderungen stellen wir fest, dass wir im Vergleich zur letzten Saison auf dem Transfermarkt deutlich positiver wahrgenommen werden. Unser Auftreten der letzten Saison hat gezeigt, dass wir mit Steffen Baumgart und seinem Trainerteam ein gutes Umfeld für junge Spieler bieten, um sich weiterzuentwickeln oder für Spieler, die ihrer Karriere neuen Schwung verleihen wollen.
Verstehen auch verdiente Spieler wie Anthony Modeste, dessen Kontrakt ebenfalls ausläuft, die Marschroute des Klubs?
Wir sind da vollkommen transparent, jeder Spieler kann zu jeder Zeit zu uns kommen. Tony hatte zuletzt ein gutes, offenes Gespräch mit Christian Keller. Tony ist in einem super Zustand aus dem Urlaub zurückgekehrt und brennt auf die neue Saison. So sieht kein Spieler aus, der mit gemischten Gefühlen in die Saison geht. Wir sind unverändert froh, einen Spieler mit seiner Qualität und Erfahrung in unseren Reihen zu haben.
Was hat Christian Keller mit Tony Modeste genau besprochen?
Tony weiß, dass sich an der aktuellen Situation nichts ändern wird. Wir wollen gemeinsam weiter erfolgreich sein. Zur gegebenen Zeit wird man sich zusammensetzen und über die Zukunft sprechen.
Bisher hat der FC fünf Spieler neu verpflichtet, aber erst einen, Salih Özcan, für eine nennenswerte Ablöse abgegeben. Was muss da noch folgen?
Wir haben grundsätzlich die Haltung, dass wir uns an unsere Verträge halten. Wenn ein Spieler auf dem Platz Gas gibt und sich an den Werten unseres Klubs orientiert, gibt es keinen Grund daran etwas zu ändern. Im Laufe der Vorbereitung wird aber sicher der eine oder andere registrieren, dass er hier vermutlich auf wenig Spielzeit kommen wird, und dann wird er sicher das Gespräch mit uns suchen. Wichtig ist, dass die Spieler wissen, dass sie immer ein ehrliches Feedback in der sportlichen Einschätzung erhalten. Ich gehe daher davon aus, dass bis Ende August noch Bewegung auf dem Transfermarkt entstehen wird.