Köln – Am Samstag (15.30 Uhr, Sky) tritt der 1. FC Köln zum letzten Spiel der Saison beim VfB Stuttgart an. Die Qualifikation für die Conference League ist sicher, mit einem Sieg beim abstiegsgefährdeten Gegner in Schwaben wäre sogar noch die Europa League zu erreichen. Vor der Abreise nach Schwaben äußerte sich Steffen Baumgart im großen Interview.
Herr Baumgart, vor einem Jahr haben Sie gesagt, dass Ihre Beziehung zum 1. FC Köln wachsen müsse. Welchen Platz nimmt der FC mittlerweile in Ihrem Herzen ein?
Baumgart: Noch nicht den, dass ich jetzt zum Beispiel wie bei Union auch beim FC Mitglied würde. Dazu gehört ein bisschen mehr. Es ist ja bekannt, dass ich zu Union, aber auch zum SC Paderborn eine besondere Beziehung habe. Mit Union und Paderborn bin ich durch ganz schwierige Zeiten gegangen. Bisher hatte ich das Glück, mit dem FC noch keine schwierige Zeit gehabt zu haben. Bei Union bin ich auch nicht im ersten Jahr Mitglied geworden, sondern im dritten.
Gibt es etwas, das Sie an Köln besonders mögen und umgekehrt, das Sie stört?
Mir gefällt das kölsche Lebensgefühl. Alle sind sehr offen, freundlich, vielleicht oberflächlicher als woanders, aber insgesamt sehr positiv und nett. Man kann in Köln sehr gut leben. Und das vielleicht noch besser, wenn man als Verantwortlicher beim FC auch Erfolg hat. Bis jetzt war hier fast alles positiv, ich bin gespannt, wie es wohl sein wird, sollten wir mal eine schwierige Phase haben. Wie dann die Leute auf einen zugehen und einen bewerten. Jetzt zu sagen, dass der FC-Trainer ein Guter ist, das ist einfach. Ob er aber auch noch ein Guter ist, wenn es mal nicht so läuft, das warten wir mal ab.
Sie sagten, Sie hätten noch keine schwierige Phase in Köln erlebt. Gab es wirklich keine?
Die Saison war für mich wie im Flow. Aber die Arbeit ist auch nicht anders, sollte es mal schlecht laufen. Dann muss man mit mehr negativen Erlebnissen umgehen und sie verarbeiten, aber die Arbeit mit der Mannschaft ist grundsätzlich die gleiche. Man sollte nicht sofort etwas verändern.
Wichtig ist ein konstant hohes Niveau, ansonsten hast du auf Dauer sowieso keinen Erfolg. Ich merke: Wenn ich sauer bin, auch auf euch Reporter, wenn ich etwas lese, womit ich nicht einverstanden bin, bekomme ich schnell mal einen Hals. Doch dann stehe ich kurz darauf auf dem Fußballplatz bei den Jungs und denke: Egal, DAS macht Spaß, ist gut, es ist doch ein tolles Leben. Das erdet mich.
Ist das Ihre Strategie: Konsequent zu sein in den wichtigen Sachen und die unwichtigen Dinge wegzulassen?
Das ist keine Strategie, das ist doch nur normal. Ich habe keine Strategien. Ich reagiere auf Situationen.
Einen Rückschlag gab es dennoch: Das Achtelfinal-Aus im DFB-Pokal gegen den HSV.
Das ärgert mich auch jetzt noch. Es ärgert mich aus sportlicher Sicht und auch, wie mit dem Aus umgegangen wurde. Die Kritik war nicht angebracht. In Stuttgart hatten wir achtmal gewechselt und alle sagten nach dem Weiterkommen: cleverer Schachzug. Gegen den HSV haben wir sechsmal gewechselt und sind nicht weitergekommen. Aber nicht, weil wir schlecht gespielt, sondern auch Pech hatten und im Elfmeterschießen den Kürzeren zogen. Aber dann wurde das Spiel nicht nach der Leistung bewertet, sondern rein nach dem enttäuschenden Ergebnis.
Womöglich haben bei der Bewertung auch enttäuschte Hoffnungen eine Rolle gespielt.
Aber die Hoffnungen hatte ich doch selbst geweckt. Vor mir hatte schon lange keiner mehr gesagt, dass er zum Finale nach Berlin will. Und wir hatten ja auch alles dafür getan und den Fußball gespielt, um davon sprechen zu dürfen. Aber nach dem Spiel hatte ich das Gefühl, den Menschen etwas weggenommen zu haben.
Wir haben ein Spiel verloren. Und das ärgert mich mehr als alle anderen, das ärgert mich sogar noch heute und noch mehr, wenn ich in einer Woche im Olympiastadion Zuschauer beim Pokalfinale bin. Trotzdem sollte man irgendwann aus der emotionalen wieder in die sachliche Bewertung kommen. Ich hinterfrage alle meine Entscheidungen, aber ich bin mir sehr sicher, dass ich heute wieder die gleichen Entscheidungen treffen würde.
Der 1. FC Köln ist ein großer Klub mit einer großen Anhängerschaft, hat aber seit fast 40 Jahren keinen Titel mehr gewonnen. Lastet das auf dem Klub?
Ich will mit dem FC dahinkommen, dass der Klub mal wieder etwas gewinnen kann. Jeder muss zumindest das Gefühl haben, dass so etwas passieren kann. Ob und wann das Fall sein wird, das kann ich nicht versprechen. Für mich sind die vielen titellosen Jahre keine Last. Ich war in der Vergangenheit nicht hier, ich beschäftige mich nur mit der Gegenwart, der Zukunft und unseren Möglichkeiten. Der 1. FC Köln interessiert mich erst richtig seit einem Jahr, alles andere wäre gelogen.
Natürlich ändert sich das Verhältnis sofort, wenn man dann da ist. Und du brauchst als Verein natürlich irgendwann Erfolge. Mir ist schon als Paderborn-Trainer aufgefallen: Wenn du in Köln gespielt hast, hattest du das Gefühl, du müsstest dankbar sein, hier überhaupt antreten zu dürfen. Und dann gewinnst du 5:3 und alle heulen herum, wie man bloß gegen Paderborn verlieren kann.
Der ausbleibende Erfolg wurde in Köln oft mit der zu hohen Erwartungshaltung im Umfeld begründet. Jetzt zeigen sie, dass hier mit begrenzten Mitteln doch etwas möglich ist. Geht es nun weiter bergauf?
Wir sollten uns in einem Jahr wieder treffen und dann noch einmal ein Fazit ziehen. Mir ist es grundsätzlich zu einfach, ausbleibenden Erfolg mit hoher Erwartungshaltung und zu großem Druck zu begründen. Es ist schwierig, das Niveau zu halten. Und damit meine ich jetzt nicht Platz sechs oder sieben, sondern, dass wir das Niveau unseres Spiels halten können. Viele werden überrascht sein, wenn ich vor der nächsten Saison wieder sage, dass wir Zwölfter werden und sicher in der Bundesliga bleiben wollen.
Im letzten Jahr haben darüber viele gelacht, jetzt werden sie wohl sagen, dass ich Tiefstapler bin. Trotzdem wird das erst einmal das Hauptziel sein. Wir freuen uns jetzt alle, dass wir Platz sieben und die Conference League schon mal sicher haben. Sollten wir Siebter werden, uns dann in den Playoffs durchsetzen und in die Gruppenphase einziehen, hätten wir insgesamt aber nur drei normale Trainingswochen. Und ich weiß nicht, was das mit der Mannschaft und mir macht. Ob uns das nach vorne bringt, ob uns das zerbrechen lässt – ich weiß es nicht.
Welche Art Kader brauchen Sie?
Auch das weiß ich nicht. Was ich weiß: Wir brauchen viele gesunde Spieler. Aber ob ich jetzt jede Position dreifach besetzt haben muss, kann ich noch nicht sagen. Selbst die Jungs haben ja noch nicht in der Frequenz gespielt. Ich kenne die möglichen Termine. Aber ich weiß noch nicht, wie und wann wir trainieren oder wann wir frei machen werden.
Wann werden Sie es wissen?
Wir werden das in der tagtäglichen Arbeit lernen.
Nach Platz fünf 2017 ist der FC in der folgenden Saison brutal abgestürzt. Droht das erneut?
Diese Sorge habe ich nicht, dafür sehe ich uns insgesamt auf einem zu stabilen Weg.
Der FC ist zum Sparen gezwungen. Wie schwierig ist es da, den Kader zu verstärken?
So sind die Rahmenbedingungen nun einmal, aber trotzdem gibt es doch noch genügend gute Fußballer, die nicht alle hohe Ablösen kosten und auch nicht Großverdiener sein wollen. Es gibt genügend Vereine, die sehr viel weniger für ihre Mannschaft ausgeben als wir und trotzdem erfolgreich spielen. Mit Paderborn hatte ich einen der geringsten Personaletats der Zweiten Liga – und trotzdem sind wir aufgestiegen.
Befürchten Sie aber, nach dieser Saison Schlüsselspieler zu verlieren?
Ich befürchte gar nichts. Ich möchte zum Beispiel, dass Salih Özcan bleibt. Aber wenn er gehen sollte, dann ist das auch das Resultat unserer Arbeit. Und sollten wir ein marktgerechtes Angebot für Ellyes Skhiri erhalten, würden wir uns auch damit beschäftigen. Bisher haben wir das aber nicht erhalten. Auch bei Tony Modeste habe ich nicht das Gefühl, dass er gehen will. Aber ich beschäftige mich erst mit so etwas, wenn es konkret wird.
Muss man einen Spieler wie Özcan, der seit 15 Jahren beim FC ist, diese Entwicklung genommen hat und zur Identifikationsfigur geworden ist, nicht unbedingt halten?
Nein, muss man nicht. Salih muss es wollen. Dass wir Salih halten und noch lange mit ihm zusammenarbeiten wollen, steht doch außer Frage. Es gibt aber Bedingungen, die der Verein erfüllen kann. Und es gibt Bedingungen, die nicht zu erfüllen sind. Salih hätte den FC im letzten Jahr fast zum Nulltarif verlassen. Jetzt hat der Spieler einen ganz anderen Marktwert.
Macht es Spaß, eine Mannschaft zusammenzustellen, deren Potenzial sich erst im Laufe der Saison wirklich zeigt?
Ich bin nicht derjenige, der die Mannschaft zusammenstellt. Ich sage, welche Art Spieler ich brauche. Es kann nicht sein, dass der Trainer acht Spieler holt, mit denen sein Nachfolger dann nichts mehr anfangen kann. Der Trainer muss kommen und sagen: Das sind die richtigen Spieler, mit denen arbeite ich, die mache ich besser.
Das haben Sie in Köln von Anfang an durchgezogen: Als Sie anfingen, gab es einige Kandidaten, die Sie hätten in Frage stellen dürfen. Aber es hat tatsächlich jeder seine Chance bekommen.
Jeder andere hätte gesagt: Das geht nicht, ich brauche neue Spieler. Das können wir ruhig so klar sagen.
Was hat Sie an dieser Saison überrascht?
Jedenfalls keiner meiner Spieler, von denen war ich von Anfang an überzeugt. Was mich überrascht hat, war, dass wir so viele Punkte geholt haben. Mich hat nicht die Leistung überrascht, mich hat nicht der Fußball überrascht. Mich hat die Anzahl der Punkte überrascht. Ich wusste: Wir werden mit Intensität auftreten, mit Laufbereitschaft – und wir werden nie aufgeben. Das ist in mir, das konnte ich auch bislang immer gut vermitteln. Aber die Punkte selbst kann man nicht voraussagen.
Mit welcher Torwart-Hierarchie gehen Sie in die neue Saison?
Wenn Timo Horn bleibt, wird er in den Zweikampf mit Marvin Schwäbe gehen. Allerdings als Nummer zwei. Ich werde kein offenes Torwartduell ausrufen und sagen, dass beide gleichauf sind. Weil es nicht stimmt. Dennoch wird Timo die Chance haben, sich zu bewerben, wenn auch aus einer anderen Position.
Wie steht es um Ihre Vertragsverlängerung?
Gut.
Was bedeutet das?
Dass es so aussieht, dass ich verlängern werde. Ich will nirgendwo anders hin, der Verein will verlängern. Bessere Voraussetzungen gibt es doch nicht. Jetzt müssen sich die Leute zusammensetzen, die das verhandeln. Und ich habe mich mit Christian Keller hingesetzt und gesprochen. Da ging es aber nicht um Zahlen, sondern darum, wie wir die Zukunft des FC sehen. Und die sehen wir gleich.
Zur Person
Steffen Baumgart, geboren am 5. Januar 1972 in Rostock, ist Fußballtrainer und ehemaliger Profispieler. Seine Karriere begann 1994 bei Hansa Rostock, wo er als Stürmer 35 Tore erzielte. 2002 wechselte Baumgart zu Union Berlin. Für den Hauptstadtklub spielte Baumgart zwei Jahre lang und wurde auch Mannschaftskapitän. Den Abstieg mit den Eisernen aus der Zweiten Liga konnte er im Jahr 2004 aber nicht verhindern. Es folgte bei Energie Cottbus seine erfolgreichste Station als Spieler. Mit den Lausitzern gelang der Aufstieg in die Bundesliga. In insgesamt 225 Bundesliga-Spielen erzielte Baumgart 29 Tore.
Seit Juli 2021 ist Steffen Baumgart Cheftrainer des 1. FC Köln. Dem 50-Jährigen gelang es in seinem ersten Jahr beim FC, eine zuvor abstiegsgefährdete Mannschaft sportlich zu stabilisieren und auf einen Rang zu führen, der zur Teilnahme am Europapokal berechtigt. In seinen Trainerjahren zuvor prägte Baumgart eine sportlich beeindruckende Ära beim SC Paderborn. Mit den Westfalen schaffte der Coach einen Durchmarsch von der dritten bis in die Bundesliga, ohne dass sein Verein dabei über vergleichsweise hohe Transfersummen verfügen konnte.
Seine vorigen Trainer-Stationen hießen 1. FC Magdeburg (Cheftrainer), Hansa Rostock (Co-Trainer) und in Berlin der SSV Köpenick-Oberspree sowie Berliner AK07 (jeweils Cheftrainer). (oke)
Werden Sie sich denn eine Meisterprämie in den Vertrag verhandeln lassen?
Also – solche Erfolgsprämien stehen in allen Verträgen, auch in meinem. Da können wir jetzt höchstens diskutieren, ob die hoch genug war (lacht). Im Ernst, niemand hat daran geglaubt. Und ich mache mir keine Gedanken darüber, ob es sich für mich lohnt, Deutscher Meister zu werden. Deutscher Meister – das lohnt sich immer.
Wie verbringen Sie die Ferien?
Ich werde mit meiner Frau ganz viele Städte bereisen und viel Spaß haben. Also – ich am Strand von morgens bis abends, womöglich mit einem Buch, noch ein bisschen meditieren: Wer könnte sich das bei mir vorstellen?
Und dann ist die Anspannung weg?
Sie erleben mich doch jetzt auch: Wir haben am Samstag ein Spiel. Und trotzdem bin ich gelöst. Der Job ist stressig, es ist nicht immer einfach, ich schlafe auch nicht immer gut. Aber ich versuche, es im Rahmen zu halten.
Sie haben also keine Sorge, dass Sie zum Beispiel nach einem entspannten Dienstag nicht in der Lage sein könnten, am Samstag wieder volle Leistung zu bringen?
Ich kriege mich innerhalb von einer Minute hochgeschraubt. Wenn ich als Spieler auf der Bank saß und der Trainer mir sagte, ich komme gleich rein, habe ich nicht gesagt: Gut, dann mache ich mich mal warm. Sondern: Alles klar, bin fertig. Ich habe mich nicht innerlich vorbereiten müssen, mir reichte der Anpfiff. Das ist heute noch so bei den Alten Herren: Da kann ich bis eine Minute vor Anpfiff Spaß haben. Aber wenn der Anpfiff da ist, bin ich heiß.