Köln – In der 35. Minute ging es nicht mehr weiter: Luca Kilian (22) war nach einem Zusammenprall mit dem eigenen Torhüter und längerer Behandlungspause zwar noch einmal auf den Platz zurückgekehrt. Doch nach einem weiteren Sprint hatte der Innenverteidiger des 1. FC Köln einsehen müssen, dass er zu schwer am Kopf getroffen worden war, um das Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt (1:1) fortzusetzen.
Tapferkeit als Wert
Die Partie am Samstag war eine besonders intensive. Frankfurts Trainer Oliver Glasner hatte gesehen, dass zeitweise „fünf Spieler mit Kopfverletzungen am Boden lagen“ und daraus geschlossen, „dass sich keiner etwas geschenkt hat“. Tatsächlich gehört es einerseits zum Profifußball, vollen Einsatz zu zeigen. Andererseits aber sollten Kopfverletzungen nicht als Qualitätsnachweis herangezogen werden. Es ist ein Dilemma des Kontaktsports Fußball, in dem Tapferkeit als Wert an sich gilt.
Kopftreffer in der Bundesliga sind ein leidiges Thema, „da haben wir ein genaues Auges drauf und sind gern zügig vor Ort“, beschrieb FC-Mannschaftsarzt Paul Klein am Montag im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Drei Minuten Behandlungszeit gestatten die Regeln einem Arzt, wenn er wegen einer Kopfverletzung auf den Rasen gerufen wird. Im Frankfurter Stadion stellte Klein am Samstag rasch fest, dass Kilian ansprechbar war. Im Falle einer Ohnmacht würde der Arzt den Spieler sofort aus dem Spiel nehmen, alles Weitere aber ist Gegenstand einer Untersuchung – wenn auch unter den schwierigen Bedingungen eines laufenden Bundesligaspiels vor zigtausend Zuschauern. Der Arzt stellt dem Spieler Fragen: „Was ist passiert?“ „Wo sind wir?“ oder: „Wer hat das letzte Tor geschossen?“. Ist der Fußballer verwirrt, desorientiert – klagt er über Schwindel oder Übelkeit, fällt die Entscheidung ohne weitere Rücksprache. Auch der Spieler wird dann nicht mehr gefragt. Denn nicht selten beteuert ein Profi, er könne weitermachen – zu viel hängt an manchem Spiel, um es wegen eines Brummschädels aufzugeben.
Legendär ist die Situation um Nationalspieler Christoph Kramer, der sich nach seinem Zusammenstoß im WM-Finale 2014 beim Schiedsrichter erkundigte, ob das hier wirklich das Endspiel in Rio sei. Eine kuriose Szene, über die es jedoch nichts zu lachen gibt: Kramer hätte sofort vom Platz gemusst, spielte aber zunächst weiter, bis der Schiedsrichter die Auswechslung anregte – bei Mitspieler Bastian Schweinsteiger.
Eine Frage der Maßstäbe
Es darf beim Fußball durchaus mal wehtun, alles eine Frage der Maßstäbe. „Es ist schwierig. Wir bewegen uns im Leistungssport, da ist ein kurzer Kopfschmerz nach einem Zusammenprall zunächst einmal kein Grund, einen Spieler sofort vom Platz zu nehmen“, sagt Klein. Als sich Luca Kilian am Samstag aber fünf Minuten nach der Behandlungspause auf den Rasen setzte, beschloss der Arzt: „Jetzt ist Schluss.“ Zwar hatte Kilian keine Gehirnerschütterung erlitten und konnte am Montag das Training wieder aufnehmen. Doch Vorsicht war geboten. Klein ist dankbar für die drei Minuten Behandlungszeit. „Wir sind froh, diese Ruhe zu haben. Die Schiedsrichter machen da auch keinen Druck, daher können wir ziemlich genau ermitteln, wie es einem Spieler geht.“
Im American Football gelten andere Regeln. Da bei zahlreichen NFL-Profis nach ihren Karrieren schwere Hirnschäden diagnostiziert wurden und die Liga Hunderte Millionen Dollar Entschädigung zahlen musste, verabschiedeten die Klubs ein umfangreiches Reglement: Zwei unparteiische Beobachter überprüfen jeden Zusammenprall und vor allem die Reaktionen der beteiligten Spieler. Wenn sie eine potenzielle Gehirnerschütterung erkennen, muss sich der Spieler von einem neutralen Neurologen untersuchen lassen, der über die Rückkehr entscheidet.
Kein zusätzlicher Wechsel
Im englischen Fußball darf eine Mannschaft im Falle einer Kopfverletzung einen zusätzlichen Wechsel vornehmen. Die Bundesligen verzichteten vorerst darauf, da es in dieser Saison hierzulande noch erlaubt ist, fünf Wechsel vorzunehmen – in England ist man schon wieder zurück bei drei. Die Idee einer weiteren Auswechslung wäre dennoch richtig: Trainer, Spieler und Ärzte sollen keine Abwägung vornehmen müssen, ob sie einen angeschlagenen Mann vom Feld nehmen. Für Paul Klein sind die Dinge aber ohnehin klar: „Wenn ich Bedenken habe, nehme ich den Spieler vom Platz. Da gibt es dann keine Diskussion.“
Für die Rückkehr eines am Kopf verletzten Spielers in den Trainings- und Spielbetrieb gibt es klare Vorgaben. Die Deutsche Fußball-Liga verpflichtet die Profis dazu, vor jeder Saison auf Basis eines so genannten SCAT-5-Tests den Ist-Zustand zu definieren. Dabei werden Konzentrationstests durchgeführt sowie unter anderem das Kurzzeitgedächtnis und die Balancefähigkeit geprüft. Nach einer Kopfverletzung können die Mediziner dann überprüfen, ob der Spieler bereits wieder seine Ausgangswerte erreicht. Erst dann gilt eine Rückkehr als sicher – zudem gibt es dadurch die Möglichkeit, etwaige Langzeitschäden durch den Fußball festzustellen.