Die Kölner Trainer-Legende hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Er war einer der prägendsten und schillerndsten Figuren im deutschen Fußball.
Nachruf zum Tod des Kölner CoachesChristoph Daum, der Entert(r)ainer
Es ist rund ein Jahr her, da empfing Christoph Daum an einem Spätsommertag den „Kölner Stadt-Anzeiger“ in seinem Haus im Kölner Hahnwald. An diesem Tag herrschte auf dem Anwesen, das für den Fußballlehrer bei seinem Leben auf der Überholspur immer auch eine Art Rückzugsort war, viel Leben. Produzent und Regisseur Marc Schlömer war mit seinem Team ebenfalls vor Ort. Es galt, im 4000 Quadratmeter großen Garten und im Haus letzte Szenen für den Dokumentarfilm „Daum – Triumphe und Skandale“ zu dessen 70. Geburtstag am 24. Oktober 2023 zu drehen und Details zu besprechen.
Auch seine Frau Angelica wurde interviewt, die mit ihrer Herzlichkeit für eine besondere Atmosphäre sorgte. In den Pausen wurde deutlich, wie innig das Ehepaar war – ein harmonisches Team eben. Obwohl ihm die Krankheit zuvor bereits zugesetzt hatte, stellte sich Daum auch diesmal professionell den Aufgaben. So auch dem Interview mit dieser Zeitung, für das sich der Coach ebenfalls viel Zeit nahm. Gespräche mit Journalisten, aber natürlich auch mit Klubvertretern führte Daum stets in einem kleinen Haus neben der Villa. Wer dies betrat, der geriet schnell auf eine sportliche Zeitreise – gespickt mit Erfolgen. Daum mit der Meisterschale als Trainer des VfB Stuttgart, Fotos von seinen Titel-Triumphen mit Fenerbahce und Besiktas Istanbul, Bilder aus seiner bewegten Zeit beim 1. FC Köln oder bei Bayer 04 Leverkusen.
Nicht übersehen konnte man die zimmerhohen Aktenschränke mit hunderten von Ordnern, in denen sein Trainerleben dokumentiert ist. Der Coach war da pedantisch, sein Archiv über Vereine und Spieler ist legendär. Fast 40 Jahre Fußballgeschichte in Leitz-Ordnern. Natürlich sprach der Trainer auch über die aktuellen Entwicklungen im Fußball, aber erneut auch sehr offen über seine Krankheit. Daum hatte sich während seiner gesamten Karriere stets die stärksten Gegner gesucht, jetzt attackierte er den Krebs. Weil der Krebs ihn angegriffen hatte. „Du musst die Krankheit bekämpfen — nicht nur mit der richtigen Behandlung, sondern auch mit der richtigen mentalen Einstellung“, sagte Daum. Die vielen Chemotherapien, denen er sich hatte unterziehen müssen, seien für ihn kein Gift, sondern „Doping! Ich habe versucht, die Sache umzudrehen. Die Chemo soll mir helfen.“ Sein Credo „Ich bin schon des Öfteren im Leben hingefallen, aber immer wieder aufgestanden.“ Er wollte so auch anderen Kranken Mut machen.
Alles zum Thema Fußball-Bundesliga
- Fußball-Bundesliga Nach Anschlag in Magdeburg: FC Bayern gedenkt der Opfer
- Ex-Schalker ins Krankenhaus geprügelt Dialekt von Burgstallers Begleitung löste offenbar Streit aus
- Gefunden, geformt und dann verloren? Dem 1. FC Köln droht erneut der Verlust seiner tollen Talente
- „Ich hoffe, er ist am Ende so gut wie Josip“ Nordi Mukiele zwischen Fehlstart und Matchwinner
- Tischtennis 1. FC Köln muss mehrere Rückschläge verkraften
- Kristin Kögel „Eine Teilnahme mit Bayer 04 Leverkusen an der Champions League wäre ein Traum“
- Basketball Orthomol Wings Leverkusen wollen in der Rückrunde abgezockter werden
Diesen Kampf hat Daum nun verloren. Am Samstag starb der Trainer „infolge seiner schweren Krebserkrankung friedlich im Kreise seiner Familie“, wie die Familie mitteilte. Daum wurde 70 Jahre alt. Er hinterlässt neben seiner zweiten Frau Angelica vier Kinder.
Seiner Zeit oft voraus
Der deutsche Fußball trauert um eine Bundesliga-Legende, einen Pionier des modernen Spiels und eine seine schillerndsten Figuren. Und Köln um einen seiner bekanntesten Bürger. Er war ein Mann, der für den Erfolg stand, der Trainingsmethoden revolutionierte und durch den das Thema Psychologie wie nie zuvor Einzug in die Bundesliga erhalten hatte. Daum wurde als Motivationskünstler oder Messias gepriesen, war aber auch Sprücheklopfer, Provokateur und nahm es manchmal auch mit der Wahrheit nicht so genau. Der Trainer polarisierte wie kein Zweiter. Aber es eines war Daum gewiss nie: Er war während seiner Laufbahn niemals gleichgültig.
Daums Karriere in Kürze: Geboren 1953 im sächsischen Zwickau. Nach dem Tod seines Vaters zog er mit sechs Jahren zu seiner Mutter nach Duisburg. Studium an der Sporthochschule Köln, nebenbei Amateurfußballer. Ab 1975 auch beim 1. FC Köln. Am Geißbockheim der Start seiner rasanten Trainerkarriere. Im September 1986 übernahm er mit 32 Jahren die Profis des Klubs. Und wurde zum Erfolgstrainer, dem zwar die Meisterschaft verwehrt blieb, der aber den FC 1989 und 1990 zwei Mal zur Vizemeisterschaft führte – um danach während der WM 1990 von FC-Präsident Dietmar Artzinger-Bolten entlassen zu werden. Ein Wahnsinn!
Triumphe und Skandale
Daum wandelte sich zudem zum Lautsprecher der Liga. Ein gewaltiges Stück Bundesliga-Geschichte war sein Auftritt am 20. Mai 1989 im ZDF-Sportstudio, wo er sich mit Bayerns Uli Hoeneß und Jupp Heynckes anlegte. Es war ein Gespräch, das eskalierte. Auch wegen Daums Sprüchen. In Richtung Hoeneß: „Um das Maß an Überschätzung zu erreichen wie du, muss ich 100 Jahre alt werden.“ An die Adresse von Heynckes: „Der könnte auch Werbung für Schlaftabletten machen. Die Wetterkarte ist interessanter als ein Gespräch mit Jupp Heynckes.“ Es war der Beginn einer Feindschaft, doch mit Hoeneß söhnte er sich im August 2023 in einem Friedensgespräch am Tegernsee aus. Ein Ende der Fehde war dem Coach ein wichtiges Anliegen.
1992 führte Daum den VfB Stuttgart zur Meisterschaft. Ab 1994 war er erstmals in der Türkei tätig. Gewann mit Besiktas Pokal und Supercup, 1995 die Meisterschaft. Den nationalen Titel feierte Daum mit Fenerbahce 2005 und 2006. Er wurde in der Türkei verehrt, auch, weil er sich für Land, Leute und die Kultur sehr interessierte. 1996 holte ihn Bayer 04 zurück in die Bundesliga. Und der Trainer ließ Spieler über glühende Kohlen laufen und Eisenstangen verbiegen. Mit der Werkself wurde er auf Anhieb Vizemeister, 1999 und 2000 folgten weitere zweite Plätze. Doch der letzte Spieltag der Saison 1999/2000 geriet zum Trauma für Leverkusen, das in Unterhaching den sicher geglaubten Titel verschenkte. Daum weinte mit seinem damals 13-jährigen Sohn Marcel, der heute dem Trainerstab von Xabi Alonso in Leverkusen angehört.
Nach seiner Zeit bei Bayer 04 folgte ein Kapitel, das allerdings auch immer in Erinnerung bleiben wird. Nach dem desaströsen EM-Vorrundenaus sollte der Coach spätestens 2001 die deutsche Nationalmannschaft übernehmen. Doch im Oktober 2000 wurde Daum infolge seines Kokainskandals, der von Hoeneß öffentlich gemacht worden war, vorzeitig in Leverkusen entlassen. Auch der DFB trat von der Abmachung mit Daum zurück. Der massiv unter Druck stehende Trainer hatte zuvor selbst veranlasst, seine Haare auf Drogenrückstände zu analysieren. Auf einer legendären Pressekonferenz Anfang Januar 2001 im Hotel Hyatt in Köln erklärte Daum kess: „Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe.“ Doch die Haarprobe war positiv und Fußball-Deutschland fiel aus allen Wolken. Daum floh nach Florida. Später gab er zu: „Das mit der Haarprobe hätte ich nicht machen sollen.“
Turbulente Rückkehr zum 1. FC Köln
Als Daum wieder auftauchte, feierte er im Ausland Meisterschaften. 2003 auch mit Austria Wien. Ende November 2006 kehrte er zum zweiten Mal als Trainer zum 1. FC Köln zurück. Und normal verlief dabei nichts. Der Klub wollte Daum unbedingt als Coach, doch der musste sich zu der Zeit im Krankenhaus St. Elisabeth einer Halsoperation unterziehen. Der Trainer trommelte die Journalisten in der Kölner Klinik zusammen. Und zwar passend zum Sessionsbeginn am 11.11., Teile der Blauen Funken waren zugegen. Der Chefarzt trug ein Bulletin vor, Daum redete mit dünner Stimme. Und gab dem FC erst einen Korb. Zwei Wochen später sagte er doch noch zu. Sein erstes Training hielt er vor über 10.000 Fans im Rhein-Energie-Stadion ab, der „FC-Erlöser“ sollte sogar Babys segnen.
Solche skurrilen Szenen spielten sich öfter ab – zum Beispiel auch im Mai 2008, als nach dem Aufstieg die Entscheidung über seine Zukunft als FC-Trainer bevorstand. Damals reichten Angelica Daum und der Gärtner der wartenden Journalistenschar vor seiner Villa im Hahnwald Kaffee, Pizza und Hanuta. Daum blieb noch für ein weiteres Jahr, nach Platz zwölf in der Bundesliga machte er jedoch von einem Sonderkündigungsrecht im Vertrag Gebrauch und verließ Köln. Im Anschluss trainierte er Fenerbahce, Frankfurt, Brügge, Bursaspor und bis September 2017 die rumänische Nationalmannschaft – seine letzte Station als Coach. Danach war Daum weiterhin gefragt, ob als Berater von Vereinen, Verbänden oder als TV-Experte.
2022 trat dann der Lungenkrebs in sein Leben. Ein typischer Daum-Spruch fiel auch im Interview mit dieser Zeitung: „Nach der Krebs-Diagnose habe ich sofort mit dem Rauchen aufgehört. Vielleicht etwas zu spät.“ Während einer New-York-Reise fiel er fast ins Koma. Und berappelte sich wieder. Mit rund 200 Gästen feierte Daum in einem Kölner Restaurant seinen 70. Geburtstag. Zuvor hatten sich die Gäste die Premiere der Doku angeschaut.
Im Februar 2024 reiste Daum mit seinem Freund Reiner Calmund in den Thailand-Urlaub. Er war gerührt und dabei, als Bayer 04 bereits Mitte April endlich die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte perfekt gemacht hatte und danach auch den DFB-Pokal holte. Im Juli unternahm er mit Calmund und Wolfgang Bosbach eine Kreuzfahrt im Mittelmeer. Kurz nach der Rückkehr verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dann rapide. Mit Christoph Daum wurde es nie langweilig. Daum war immer anders – und das hat ihn so besonders gemacht. Er war ein Entert(r)ainer.