Kölner Autor und Fan Kermani„Jonas Hector wäre der ideale FC-Präsident“
- Der Kölner Schriftsteller und FC-Fan Navid Kermani spricht über die Qual der vorigen Saison, Geld im Profifußball und die Grenzen des „Mitgliedervereins“.
Herr Kermani, wie sehr haben Sie als FC-Fan in der vergangenen Saison gelitten?Kermani: Sehr, sehr, sehr. Kaum noch steigerungsfähig. Stadionbesuche gingen ja nicht. Also habe ich mir ein Sky-Abo besorgt. Das hieß, unser Rumpelfußball wurde nicht einmal durch die Stimmung wettgemacht. Und wenn man dann auch noch dank des Abos in andere Spiele reinzappt, stellt man fest: Ups, da wird ja Fußball gespielt. Ich bin – wie vermutlich die meisten im Stadion – FC-Fan, seit ich drei bin…
… oh, da bekommen Sie ja bald die Goldene Nadel…
… aber in der vorigen Saison dachte ich zwischendurch echt: Schluss, aus, vorbei! Ich verderbe mir doch nicht mehr den Samstagnachmittag, sondern warte, bis ich wieder ins Stadion gehen kann. Erste, zweite, dritte Liga, vollkommen egal. Hauptsache, man ist in dieser Trostlosigkeit nicht mehr allein.
Hat dem FC das leere Stadion ohne den „zwölften Mann“, die Fans, mehr geschadet als anderen Vereinen?
Die Jahre vor Corona waren auch nicht viel besser. Das Paradoxe ist einfach, dass dieser Verein so großartige Fans hat und eine phantastische Vergangenheit, die immer über uns schwebt, aber nun schon seit Jahrzehnten über weite Strecken so schlecht spielt. Wahrscheinlich flippen wir deshalb bei den wenigen Höhepunkten zuverlässig aus.
Navid Kermani
Navid Kermani, geb. 1967 in Siegen, ist Orientalist, Schriftsteller und Essayist. Der vielfach ausgezeichnete Autor ist seit seiner Kindheit glühender Anhänger des 1. FC Köln. Die Spiele des Vereins verfolgt er auch auf Recherche- und Vortragsreisen in aller Welt möglichst live. (jf)
Wenigstens war der Abschluss versöhnlich mit Klassenerhalt und dem 5:1 gegen Holstein Kiel.
Versöhnlich? Sie hätten mal hören soll, wie wir uns hier über den Hinterhof hinweg angeschrien haben vor Glück. Aber am nächsten Tag war’s mit dem Seligkeit auch schon wieder vorbei: Da legt die Mannschaft am Ende einer quälenden Saison mal eben ein grandioses Spiel hin; als Fan denkt man, wenigstens der Sommer ist gerettet, so können wir diese schlimme Saison vergessen und beruhigt in die Spielpause gehen. Und prompt macht der Verein diesen großartigen Augenblick zunichte durch den Hinauswurf von Sport-Chef Horst Heldt.
Aber musste es nach der verkorksten Saison nicht Konsequenzen geben?
Klar kann man diskutieren, ob Heldt im Amt bleiben sollte oder nicht. Aber so geht man doch mit keinem Menschen um! Ich meine, Horst Heldt war nicht Bernd Schuster, aber er war schon auch ein famoser Spieler. Der ist nicht irgendein Funktionär. Der brennt einfach für den FC, und wir verdanken ihm als Spieler manchen großen Sieg.
Jetzt war er aber Manager.
Da hat er Fehler gemacht, sicher. Aber er hat unter extrem schwierigen Umständen, für die andere im Verein verantwortlich sind, auch sehr vieles richtig gemacht, bis hin zur Verpflichtung von Friedhelm Funkel als Übergangstrainer und Steffen Baumgart für die Zukunft. Wenn man dann in der Abwägung trotzdem zu dem Ergebnis kommt, wir wollen einen Neuanfang – okay. Aber ihn am Tag nach dem Erreichen des allgemein erklärten Saisonziels zwei Stunden lang Pläne aufstellen zu lassen, um anschließend die Entlassung zu verkünden, die längst feststand – das ist geschmacklos. Und gleichzeitig erfährt man, dass Friedhelm Funkel vom Vorstand weder richtig begrüßt noch verabschiedet wurde, außer mit einer SMS. Also, ich weiß nicht, warum ich mich in solcher Regelmäßigkeit schämen muss für meinen Verein.
Regelmäßig?
Mindestens seit Anfang der 1990er Jahre mit Präsident Dietmar Artzinger-Bolten und den Millionen aus dem Verkauf von Thomas Häßler, von denen niemand weiß, wo sie geblieben sind. Da ungefähr fing das Unglück an. Und gerade in den letzten Jahren hatten wir eben nicht nur fürchterliche Niederlagen – die verwindet man ja als Fan –, sondern so viele unwürdige Momente: Denken Sie an die verunglückte Sprachnachricht von Werner Spinner aus dem Krankenhaus an seine beiden Stellvertreter. Wo landete die? In der Zeitung, um ihn kaltzustellen. Oder denken Sie an die üble Mitgliederbeschimpfung durch Stefan Müller-Römer, der als Vertreter eben jener Mitglieder ins Präsidium aufgerückt war.
Aber was wollen Sie denn? Das sind Handlungen eines gewählten Präsidiums. Der Verein hat genau die Führung, die die Mitglieder wollten.
Richtig ist, dass die Vereinssatzung mit Bestellung des Präsidiums durch die Mitglieder ein gefühlloses, eiskaltes Management beim FC verhindern sollte. Ich gehöre selbst zu denen, die für diese neue Satzung waren und voller Stolz dachten: Tolle Sache! Ein mitgliedergeführter Verein, der demokratischste Profiklub in ganz Deutschland! Aber wie sieht die Realität aus? Wir haben ein Präsidium, das mit Mitarbeitern umspringt, wie es in keinem Handwerksbetrieb erlaubt wäre. In einem Verein, der sich „Spürbar anders“ auf die Fahne schreibt, geht es kälter zu als in den vielgeschmähten Investorenklubs.
Sie spielen auf die Finanzierung des Vereins an.
Prinzipiell zu sagen, es darf kein Geld von außen fließen, das halte ich für falsch. Natürlich müsste ein Investor zum Verein passen. Natürlich dürfte es niemand sein, für dessen Geschäfte man sich schämt. Einen Oligarchen wollte ich nicht in der Ehrenloge sehen – oder Gazprom auf dem Mannschaftstrikot. Aber offenbar war es falsch, zu glauben, in einem derart kommerzialisierten Betrieb wie dem Profifußball könnte sich ein Verein basisdemokratisch organisieren.
Ein Verein, der erfolgreich sein will, kann sich den Bedingungen des Marktes und des Kapitals nicht entziehen?
Es geht doch nicht darum, dass ein arabischer Scheich anruft und sagt, ihr kriegt ein paar Hundert Millionen! Auch ein Modell wie „Red Bull“ Leipzig für den FC wäre der Alptraum. Aber zugeben muss ich doch auch: In Leipzig wird guter Fußball gespielt, und nach allem, was man hört, geht es dabei auch nicht unmenschlich zu. Im Gegenteil: Der Umgang beim FC ist mitunter schäbiger als irgendwo anders. Der Kader ist nicht ausgewogen. Geld haben wir auch nicht. Geschäftsführer Alexander Wehrle wäre am liebsten weg.
Heldts Nachfolger Interims-Sportchef Jörg Jakobs will gar kein Geschäftsführer sein. Und dann haben wir in der sportlichen Leitung zwei Berufsanfänger, denen man nur zurufen kann: Schlechter als die anderen kriegt es ihr auch nicht hin! Statt neue Sponsoren zu finden, verlieren wir sogar welche, wie zuletzt Dieter Morszeck, weil sie offenbar den Eindruck haben, dass hier keine Zukunft liegt. Wir haben doch mit Anthony Modeste und Jhon Córdoba in den vergangenen Jahren schon zweimal absolute Schlüsselspieler abgeben müssen und dafür prompt die Rechnung in der folgenden Saison kassiert. Wird uns das mit Sebastiaan Bornauw und Ellyes Skhiri nun schon zum dritten Mal in Folge passieren?
Und das liegt alles an der Idee des mitgliedergeführten Vereins?
Am Ende hängt es immer an den handelnden Personen, und unter Präsidenten wie Wolfgang Overath oder gar Artzinger-Bolten standen wir ja nicht wirklich besser da. Umgekehrt hatte sich der Verein unter Werner Spinner auch mit dieser Satzung grundlegend konsolidiert. Aber was wir jetzt merken: Mit der starken Abhängigkeit des Präsidiums vom Mitgliederrat öffnet die Satzung dem Populismus Tür und Tor – erst recht in Zeiten des Internets, wo sich nur allzu leicht Stimmungen schüren, Empörungswellen aufbauen und Mehrheiten organisieren lassen.
Das schreckt womöglich auch manchen ab, der sich für den Verein engagieren und dafür sogar Geld geben will. Außerdem hat sich das Führungsmodell als unglaublich umständlich erwiesen, jedenfalls dann, wenn die Personen nicht zueinander passen und nicht miteinander reden, wie wir es ja auch schon erlebt haben. Drei Personen, von denen jede ein bestimmtes Profil vertritt - das kann im Einzelfall funktionieren, wenn die drei zueinander passen und eine gemeinsame Leidenschaft entwickeln. Aber die Gefahr, wenn es nicht passt, ist eben auch riesengroß.
Was würden Sie anders machen?
Ich gehöre als Fan ja auch nur zu den gefühlten FC-Präsidenten, und natürlich fehlen mir die Kenntnisse der internen Abläufe. Daher würde ich eher ein paar Fragen stellen: Braucht es eine Satzungsreform? Würde der Mitgliederrat nicht eben dadurch Größe zeigen, dass er sich und uns eingesteht: So kann es nicht weitergehen. Das bedeutet ja nicht, die Mitbestimmung abzuschaffen. Aber aus den offenkundigen Fehlern, Pannen und so vielen Verletzungen müsste man doch auch lernen.
Das hieße: Selbstbeschränkung.
Und das ist das Problem. Wo hat man es je erlebt, dass ein Gremium seine eigene Macht beschneidet, Macht abgibt? Die Aussichten sind in Kenntnis menschlicher Abläufe äußerst gering. Aber die Negativfolgen sind allenthalben sichtbar. Deshalb ist die Mitgliederversammlung nächste Woche so wichtig: Wird es dort eine Bewegung geben, die selbstkritisch fragt, „was ist bei uns im Verein schief gelaufen?“, statt die Schuld lediglich bei einzelnen Personen abzuladen. Das könnte der Anfang eines Reformprozesses sein. Aber wahrscheinlich wird der organisierte Teil der Basis, der wahrscheinlich gar nicht einmal die Mehrheit vertritt, sofort dagegenhalten: „Wir wollen keine Investoren!“
Wenn man Sie so reden hört, könnte man glatt zum Demokratie-Skeptiker werden.
Demokratie ist essenziell. Aber selbst in der Politik wäre es blanker Populismus, wenn Entscheidungen nach Tagesstimmungen oder Umfragewerten gefällt würden. Und der Sport ist schon gar nicht basisdemokratisch, genauso wenig wie die Kunst. Ein Bild von Picasso wäre nicht mit Mehrheitsentscheid zustande gekommen und auch eine tolle Theaterinszenierung ist nicht das Ergebnis eines demokratischen Prozesses. Zur Kunst gehören Intuition, Wagnis und ja, auch Autonomie. Das gilt übrigens auch für die Suche nach einem neuen Intendanten für das Kölner Schauspiel.
Misstrauen Sie der Findungskommission?
Die Kandidatensuche liegt bei Ulrich Khuon in guten Händen, denke ich. Er wird kaum der Versuchung erliegen, die Leitung primär nach nicht-künstlerischen Kriterien zu besetzen. Natürlich muss so jemand einen Betrieb modern führen können. Natürlich muss er oder sie kulturell heute sensibler sein, als es gerade in Düsseldorf zu beobachten war, wo offenkundiger Rassismus für nachrangig gehalten worden war.
Natürlich kann man den Anspruch haben, dass der Intendant oder die Intendantin ein Ensemble zusammenstellt, in dem sich die Vielfalt der Stadtgesellschaft wenigstens ansatzweise widerfindet. Aber vor allem muss er oder sie eine großartige Theaterpersönlichkeit sein – mit einer eigenen und auch mutigen, also gerade nicht kompromisslerischen künstlerischen Handschrift. In der Kunst wie auf dem Platz gibt es keinen Mittelweg. Oder sonst nur Mittelmaß.
Das Stichwort „Persönlichkeit“ bringt uns nochmal zum FC. Was ist das Anforderungsprofil an einen Vorstand des Vereins?
Empathie wäre schon mal das erste. Dass so jemand einen Spieler auch mal in den Arm nimmt, statt eine SMS ins Trainingslager zu schicken. Das sind doch die Impulse, die jeder Fußballer kennt: zusammenhalten, für den anderen rennen und gerade dann zu einem Mitspieler stehen, wenn der den Elfmeter versemmelt hat. Deshalb wäre es wahrscheinlich gut, ehemalige Spieler in der Führung zu haben, die aus eigener Erfahrung wissen, wie Fußball funktioniert und mit denen sich jeder Fan identifiziert. Oder wenn schon nicht im Präsidium, dann wenigstens in der Ehrenloge. Wir lieben doch nicht die Kremers, Weiands, Spinners, Wolfs…
… allesamt Präsidenten des FC.
Wir lieben unsere Spielerlegenden wie „Bulle“ Weber, Flohe, Overath, Pierre Littbarski oder „Icke“ Häßler. So viele von denen leben hier in der Stadt oder im Umland. Oder sie haben mindestens ihr Herz immer noch in Köln. Weshalb sieht man sie so selten bei den Spielen? Vielleicht müsste man ein bisschen höflicher zu ihnen sein. Ich verzweifle seit Jahren daran, wie gering der FC seine verdienten ehemaligen Spieler schätzt. Ein Lukas Podolski ist vielleicht nicht der geborene Manager. Aber was für ein Glück, jemanden wie ihn zu haben, der doch fast darum bettelt, etwas für den Verein zu tun.
Haben Sie da auch aktuell jemanden im Blick?
Eines ist doch klar: Wir hätten diese Saison nicht überstanden ohne Jonas Hector - mit seiner Spielkunst, aber auch mit seiner Leidenschaft. Wie der gerackert, wie der die Mannschaft angeführt und sich vollkommen verausgabt hat – von diesen Bildern werden später noch unsere Kinder zehren! Denken Sie aber auch mal daran, dass Hector mit dem FC in die Zweite Liga gegangen ist. Als Nationalspieler! Wer hätte das getan? Und für welchen Verein? Nennen Sie mir einen Klub in Deutschland, in dem das möglich wäre! So bekloppt sein, das kann man nur für den FC. Aber jeder andere Verein, der einen solchen Spieler hätte wie Hector, würde alles tun, so jemanden perspektivisch zu binden.
Wie?
Das wüssten andere sicher besser als ich. Gleich nach dem Karriereende ein Management-Training, Führungs-Coaching, ein Praktikum bei den Bayern? Ich sehe nur: Einen solchen Spieler mit Fuß, mit Herz und ganz offenkundig mit sehr viel Intelligenz und auch noch Sprachgewandtheit – den braucht der Verein nicht nur, auf den kann er seine Zukunft bauen. Hector wäre doch der ideale Präsident! Und wenn er uns dann zurück nach Europa führt, benennen wir die Hohenzollernbrücke in Hectorbrücke um. Als Literatur wie als Kölner ist mir ein griechischer Sagenheld ohnehin lieber als ausgerechnet eine Preußendynastie.
Wenn Sie ein Buch über den FC schreiben sollten, wie würde es heißen?
Keine Ahnung. Wenn es ein Bekenntnis wäre, dann vielleicht: „E Jeföhl dat verbingk.“ Ich trage dieses wunderbare Wort aus der Vereinshymne mit mir herum, egal wohin ich reise. Das ist und bleibt das Geheimnis dieses Vereins: E Jeföhl dat verbingk. Wir können es nicht erklären, aber es ist einfach da, egal, wo auf der Welt sich ein FC-Fan gerade aufhält: diese Euphorie, diese Leidensfähigkeit, dieser Zusammenhalt - und ja, auch diese Karnevalsmentalität und Freude, wo immer es nur geht. Dass wir den Sieg in der Relegation gegen Kiel feiern, als hätten wir die Meisterschaft geholt.
Wäre „E Jeföhl dat verbingk“ nicht auch ein viel schöneres Motto für den Verein als „Spürbar anders“?
Das stimmt: „Spürbar anders“ will ja jede Cola sein, das ist ein vollkommen austauschbarer, beliebiger Werbeslogan, der für jedes Putzmittel stehen könnte und für jede Versicherung. „E Jeföhl dat verbingk“ – das ist nur unser FC.
Das Gespräch führten Carsten Fiedler und Joachim Frank.