Köln – Volker Struth ist zwar nie Tellerwäscher gewesen, doch abgesehen davon hat der 55-Jährige auf seinem Weg zu Deutschlands erfolgreichstem Spielerberater beruflich soweit alles getan, was sich auftat: Er arbeitete auf dem Bau, für Bofrost lieferte er Tiefkühlgemüse aus – verkaufte Versicherungen an der Haustür und gründete einen Vertrieb für Büroartikel. Später erwarb er die Lizenz, das jährliche Kölner Karnevalsmotto als Schal verkaufen zu dürfen und geriet so ans Münchner Oktoberfest, dem er ebenfalls einen Schal widmete. Weil im Festzelt ohnehin ständig „Viva Colonia“ angestimmt wurde, brachte Struth seine Version eines Oktoberfests nach Köln, ehe ihn sein Freund Reiner Calmund überredete, es im Fußball zu versuchen.
Seinen erstaunlichen Weg nach einer Kindheit bei den Großeltern in den einfachen Verhältnissen der Pulheimer „Ford-Siedlung“ bis zum Manager von Stars wie Toni Kroos oder Julian Nagelsmann hat Struth nun in der bemerkenswerten Biografie „Meine Spielzüge“ aufgeschrieben. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ veröffentlicht von Struth kommentierte Auszüge.
Wie Struth sich auf dem Oktoberfest in Edmund Stoibers Loge flunkerte
Zwei Sicherheitsmänner versperrten den Aufgang zur Empore. „Grüß Gott“, sagte ich. „Fritz Schramma mein Name. Ich bin der Oberbürgermeister von Köln.“ Man ließ Struth vor, damals war er 38. „Herr Stoiber, ich soll ganz herzliche Grüße von einem guten Freund bestellen, Fritz Schramma.“ „Ah, der Fritz! Wie geht’s ihm denn?“ Danke, sehr gut, nahm ich an. Auf jeden Fall: „Herr Stoiber, was halten Sie davon, wenn wir ein Oktoberfest auch in Köln abhalten würden?“ „Das ist eine ausgezeichnete Idee!“ „Ich würde das dann mit dem Fritz Schramma besprechen. Aber es wäre natürlich hilfreich, wenn ich dabei auf Ihre Unterstützung zählen könnte. Wenn der Fritz Sie anriefe, würden Sie ihm sagen, dass dieses Projekt in Ihrem Sinne sei?“ „Selbstverständlich.“
Kölns Alt-Bürgermeister weiß bis heute nichts von dieser Episode, „er wird das aus dem Buch erfahren“, sagt Struth, der kein schlechtes Gewissen hat: „Ich habe ja nur Grüße ausgerichtet, manchmal funktioniert das. Es hat ja auch niemandem geschadet“.
Wie FC-Torhüter Timo Horn bei Real Madrid auf die Liste geriet
Im Sommer 2014 transferierte Struth Toni Kroos vom FC Bayern zu Real Madrid. Rund um die Präsentation des Weltmeisters gab es ein Mittagessen mit Reals legendärem Präsidenten Florentino Pérez im Bernabeu-Stadion. Es kam zum Smalltalk.
„Aus welcher Stadt in Deutschland kommen Sie?“, erkundigte sich Florentino Pérez. „Köln“, sagte ich: „Bernd Schuster hat lange für den 1. FC Köln gespielt. Und Bodo Illgner kommt aus Köln. Auch Harald Schumacher, falls Sie sich an ihn erinnern, ein großer Torwart. Wir hatten in Deutschland immer starke Torhüter.“
„Gibt es denn aktuell auch einen, den Sie empfehlen können?“ „Timo Horn“, sagte ich. Timo war 21, Junioren-Nationaltorwart. Aber er hatte mit dem FC bislang nur in der zweiten Liga gespielt. Florentino Pérez zückte aus der Innentasche seines Sakkos ein Ledernotizbuch, strich die Seiten mit dem Handrücken glatt und notierte fein säuberlich den Namen: Timo Horn.
Struth betreut Horn noch heute. „Ich konnte damals noch kein Spanisch, aber wir haben einfach einander Spieler aufgezählt. So kamen wir ins Plaudern. Ja, und plötzlich stand Timo Horn im Notizbuch. Ich habe Pérez später noch mehrfach wiedergesehen. Er hat mich allerdings nicht mehr auf Timo angesprochen. Aber ich weiß sicher: Im Notizbuch war er!“
Wie einsam die Sommerferien in der Ford-Siedlung waren
Ich suchte mir eine Ecke in der Görlitzer Straße und schoss den Fußball gegen die Hauswand. Die Werksbusse, die dort nach jedem Schichtende hielten, kamen nicht. Ford machte Betriebsferien. Alle machten Ferien. Ich weiß nicht mehr, mit wie viel Jahren ich die Frage bei meinen Großeltern aufgegeben hatte: „Warum fahren wir nicht in den Urlaub?“ Ich machte mir Hoffnung, ich ging hinaus mit dem Wunsch, dass da doch wenigstens einer sein musste, den ich gestern übersehen hatte, oder der Erste schon wieder aus dem Urlaub zurück war. An manchen Ferientagen jedoch merkte ich erst nach vier Stunden, dass ich doch nicht allein auf der Welt war. Wenn sich in der Görlitzer Straße ein Fenster öffnete und eine Frau herausschrie, ich solle endlich verschwinden mit meinem Scheißball, so ein Lärm!
Struth berichtet ohne Bedauern über seine Kindheit in einfachen Verhältnissen. Seine Mutter hatte ihn mit 16 zur Welt gebracht, war alkoholkrank geworden und hatte den Sohn weggeben müssen. Der Großvater starb früh, die Oma wurde „meine Heldin“, wie Struth betont, der mittlerweile selbst Großvater ist. „Meine Großeltern sind 1913 und 1916 geboren, diese Generation ist in den Siebzigern nicht mit dem Auto an die Adria in den Urlaub gefahren. Sie hatten nicht einmal einen Führerschein. Aber ich muss klar sagen: Ich bin zwar in einfachen Verhältnissen großgeworden. Aber ich habe von meinen Großeltern jede Menge Spielregeln mitbekommen. Mein Opa ist morgens mit seiner Beinprothese zum Bus gehumpelt, um acht Stunden bei Ford am Band zu arbeiten. Meine Oma ist mit Mantel und Hut jeden Morgen durch die Felder aus Pulheim nach Lövenich gegangen, um in der Fabrik zu arbeiten. Diese Vorbilder haben mich geprägt. Eine bessere Schule gibt es nicht.“
Volker Struth: Meine Spielzüge. Aus der Kohlesiedlung zum erfolgreichsten Spielerberater Deutschlands. Piper Verlag, 336 Seiten, 22 Euro.