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Fußballkneipen zu Katar„Wenn ich die Spiele nicht übertrage, kann ich den Laden zumachen“

Lesezeit 7 Minuten
Nicolas Gottschalk, der Wirt der Fußballkneipe Brüsseler dem Brüsseler Platz, steht im Gastraum vor der Theke mit verschränkten Händen. An der Wand hängt ein Bildschirm, auf dem ein Fußballspiel gezeigt wird.

Bei Nicolas Gottschalk, Wirt der Fußballkneipe „Brüsseler“ im Belgischen Viertel, kollidieren wirtschaftliche Zwänge mit persönlicher Haltung.

Die Fußball-WM 2022 spaltet die Fangemeinde. Auch Fußballkneipen reagieren ganz unterschiedlich. Wir haben Kölner Wirte gefragt, warum sie die Spiele zeigen - und warum nicht.

„Wirtschaftlich gesehen kann ich auf die WM nicht verzichten“

Nicolas Gottschalk, Wirt der Fußballkneipe „Brüsseler“

Das Thema Fußball-WM polarisiert – und das völlig zurecht. Auch für mich ist es bestürzend, in den zahlreichen Reportagen zu sehen, was in Katar passiert. Trotzdem kann ich als Gastronom auf die Übertragung der Spiele nicht verzichten. Wir haben das „Brüsseler“ erst dieses Jahr übernommen und hatten nach einem tollen Frühjahr einen enttäuschenden Sommer.

Dadurch, dass es so heiß war, konnte man bei uns auf der Terrasse teils gar nicht mehr sitzen. Durch die Inflation steigen die Kosten dazu gerade ins astronomische. In meiner Brust schlagen zwei Herzen: Aus Idealismus würde auch ich gerne auf die WM verzichten. Wirtschaftlich gesehen kann ich es aktuell aber nicht. Wenn ich als Fußballkneipe die Spiele nicht übertrage, kann ich den Laden gleich ganz zumachen. Ich habe großen Respekt vor meinen Kollegen, die sagen: „Ich zeige das bei mir nicht.“ Aber das muss man sich erlauben können.

Mehr Trinkgeld für das Team während der WM

Nach Corona kam vollkommen zurecht ein erhöhter Mindestlohn. Schon vorher hatten wir den Anspruch, unseren Angestellten aber immer mehr als den Mindestlohn zu zahlen. Ich will meinem Team in der Zeit der WM auch ermöglichen, mehr Trinkgeld zu verdienen. Wenn sie das bei mir nicht können, wechseln sie vielleicht in einen anderen Laden, der die Spiele zeigt.

Mir ist eine gute Bezahlung meiner Leute und Gleichberechtigung wichtig. Natürlich fühlt man sich dabei nicht gut, aber man kann seinen eigenen Idealismus nicht immer ausleben. Deshalb will ich mich hier auch gerade machen. Ich hoffe, die Menschen sehen, in welchem Konflikt man als Inhaber steckt. Ich würde auch lieber eine friedliche WM im Sommer zeigen. Ich kann mit meiner kleinen Bar aber nicht die Revolution lostreten, da bin ich lieber ehrlich.

Gaststätten, deren Konzept nicht so sehr auf Fußball ausgelegt ist, fällt es vielleicht leichter, auf die Übertragung zu verzichten. Im „Brüsseler“ ist das nicht so. Und die Leute werden immer Fußball schauen wollen. Den Druck muss man dorthin ausüben, wo wirklich etwas passieren kann: auf die Fifa und auf die Funktionäre. Wenn große Firmen solche Turniere nicht mehr sponsern, kann etwas passieren.

Statt immer wieder neue Stadien zu bauen und verwaisen zu lassen, sollte man bereits vorhandene Infrastrukturen nutzen
Nicolas Gottschalk

Ich versuche, Akzente vor Ort zu setzen, indem ich für mein Team sorge. Ich frage mich aber auch, wo man künftig die Grenze ziehen will. Schon die Fußball-WM in Deutschland 2006 war offenbar gekauft. 2018 fand sie in Russland statt. Vielleich ändert sich durch den medialen Druck etwas an der Vergabe, das würde ich mir wünschen.

Auch aus ökologischen Aspekten: Statt immer wieder neue Stadien zu bauen und verwaisen zu lassen, sollte man bereits vorhandene Infrastrukturen nutzen. Privat habe ich keine große Lust ein Spiel zu schauen. Schon seit der Verkündung der Vergabe an Katar ist mir die Lust daran vergangen. Vorfreude auf große Turniere wie die WM oder Olympia habe ich schon lange nicht mehr. Die Menschen werden aber selbst entscheiden, ob sie die Fußball-WM boykottieren werden, oder nicht. Ich werde ihnen das nicht vorgeben.

Aufgezeichnet von Anna Westkämper


„Menschenrechte sind wichtiger“

Melanie Schwartz von der Malzmühle steht im Gastraum.

Malzmühle-Chefin Melanie Schwartz lehnt in ihren Gaststätten die Übertragung von WM-Spielen ab. Sie hofft auf Weihnachtsfeiern als Finanzausgleich.

Melanie Schwartz, Geschäftsführerin der „Malzmühle“

Wir sind nicht damit einverstanden, wie die Vergabe der Fußball-WM an Katar gelaufen ist. Deshalb werden wir die Spiele nicht zeigen. Ich möchte keinen Profit aus so einer Veranstaltung ziehen. Uns sind die Menschenrechte wichtiger, in Interviews der vergangenen Tage hat man noch einmal gesehen, wie intolerant Katar ist.

Wir sollen in der Energiekrise weniger duschen, und dort werden die Stadien künstlich runtergekühlt
Melanie Schwartz

Das Gesamtkonstrukt dieses Turniers ist absolut idiotisch. Eigentlich läuft gerade die Fußball-Bundesliga, die Profis haben keine Pause im Winter, um sich zu erholen. Dazu kommt der ökologische Aspekt. Hier wird uns gesagt, wir sollen in der Energiekrise weniger duschen, und dort werden die Stadien künstlich runtergekühlt.

Es gibt natürlich Leute, die sagen, euer Boykott hier bringt doch gar nichts. Aber die ganze Aufmerksamkeit in der Presse hat vielleicht Auswirkungen auf die Vergabe in den kommenden Jahren und regt Funktionäre zum Umdenken an. Irgendwann muss etwas passieren – warum also nicht jetzt. Das Feedback, das wir dazu bekommen, ist total positiv.

Den Boykott niemandem aufzwingen

Wirtschaftlich ist der Boykott für uns aber auch ein Risiko. Je weiter Deutschland im Turnier kommt, umso mehr Menschen werden sich wieder dafür interessieren. Wir hoffen, dass sich das durch Weihnachtsfeiern auffangen lässt. Ich kann aber auch Kollegen verstehen, die die Spiele zeigen werden, weil sie nicht darauf verzichten können. Die Gastronomie hatte es sowieso schon schwer in den letzten Jahren. Wir wollen den Boykott niemandem aufzwingen.

Am Ende muss jeder selbst entscheiden, ob er die WM schaut. Wir werden stattdessen gemeinsam mit der Ortsgruppe von Amnesty International ein alternatives Tischkicker-Turnier veranstalten. Dazu wird es Gespräche zum Thema Menschenrechte geben.

Aufgezeichnet von Anna Westkämper


„Wie soll das zusammengehen mit den toten Arbeitern?“

Wirt Petter Ritter von der Kneipe "Gottes Grüne Wiese" in der Kölner Bismarckstraße steht vor der Bar und blickt in die Kamera. Er boykottiert die WM 2022 und zeigt keine Spiele in seiner Gaststätte.

Peter Ritter betreibt die Fußballkneipe „Gottes Grüne Wiese“ im Belgischen Viertel.

Peter Ritter, „Gottes Grüne Wiese“

Vor zwei Wochen hat uns eine japanische Presseagentur angefragt und wollte eine schöne Geschichte mit uns machen: So freuen sich deutsche Fußballfans auf die Begegnung Japan gegen Deutschland. In Japan, so sagten die Journalisten, sei das ganze Land aus dem Häuschen ob der Partie.

Als wir sagten, dass wir das Spiel gar nicht zeigen würden, dass wir gar kein Spiel dieser WM zeigen werden, konnten sie das überhaupt nicht verstehen. Die Kritik an Katar schon. Aber deshalb dieses Spiel nicht gucken? Das kam denen undenkbar vor.

Dass wir jetzt auf diese Spiele verzichten müssen, ist nichts im Gegensatz dazu, was Arbeiter, Frauen oder Homosexuelle in Katar erleiden müssen
Peter Ritter

Leicht war die Entscheidung auch für uns nicht. So ein Turnier, das ist für uns immer ein Höhepunkt. Wir hätten auch gerne unbeschwerte Spiele geguckt, wir hätten uns gefreut auf ein Zusammentreffen von Freunden, auf unsere Tippwand, auf eine besondere Atmosphäre. Und natürlich bedeutet so ein Turnier auch immer viel Umsatz. Unter normalen Bedingungen ist der für uns in etwa so wichtig wie die Einnahmen an Karneval. Andererseits will ich auch nicht rumjammern. Dass wir jetzt auf diese Spiele verzichten müssen, ist nichts im Gegensatz dazu, was Arbeiter, Frauen oder Homosexuelle in Katar erleiden müssen.

Verzicht aufs Fußballfest weit weniger schlimm als die missachteten Menschenrechte

Das Schlimme ist, dass die WM in einem Land stattfindet, das Menschenrechte mit Füßen tritt, nicht, dass wir auf ein Fußballfest verzichten müssen. Natürlich musste man als Fußballfan auch schon vor der WM den Widerspruch zwischen Sport und Kommerzialisierung aushalten. Aber das jetzt ist schon eine neue Dimension. Uns war deshalb schnell klar, dass wir die WM nicht zeigen können. Die Stimmung in der Wiese bei einem Tor, der Jubel – wie soll das zusammen gehen mit der Ausbeuterei, mit den toten Arbeitern?

Ich verspüre bislang keinerlei Vorfreude auf diese WM. Auch privat nicht. Dennoch. Wenn im Verlauf dieses Turniers sagen wir mal Deutschland und England aufeinandertreffen, oder Spanien und Frankreich, dann will ich nicht ausschließen, dass ich da zu Hause auf dem Sofa nicht vielleicht doch mal reinzappe. Aber hier in der Kneipe wollen wir nicht dazu beitragen, diesen Spielen den Anstrich von Normalität zu geben. Auch dann nicht, wenn Deutschland ins Finale kommt.

Aufgezeichnet von Claudia Lehnen


„Wir zeigen die deutschen Spiele. Punkt.“

Hagen Norhausen steht in seiner Kneipe „Norhausen“ in Leverkusen hinter der Bar.

Hagen Norhausen vor seinem „Norhausen“ in Leverkusen

Hagen Norhausen, „Norhausen“

Bei einer Fußball-WM gibt es grundsätzlich nicht viel zu entscheiden – wir zeigen die deutschen Spiele. Punkt. Wir sind Gastronomen, wir müssen Geld verdienen.

Die Kritik daran, dass diese WM in Katar stattfindet, sollte nicht von uns Wirten kommen. Die Regierung oder der DFB hätten da tätig werden müssen, von der Fifa mal ganz abgesehen.

Allerdings ist schon allein der Zeitpunkt diesmal sehr ungünstig. Fußballspiele in der Adventszeit, da weiß ich gar nicht, ob diese WM überhaupt so einschlagen würde, selbst wenn es die Kritik an Katar nicht gäbe.

Wer Fußball gucken will, tut das sowieso

Hier in Leverkusen haben wir das Thema mit vielen Gastro-Kollegen diskutiert. Da gibt es nur einen, der sich ganz klar gegen die Übertragung ausgesprochen hat. Er ist schwul und lebt mit einem Mann zusammen, deshalb könne er diese WM in Katar nicht unterstützen. Dafür habe ich vollstes Verständnis.

Aber wir anderen Wirte sollten deswegen nicht stigmatisiert werden. In Köln oder Düsseldorf passiert das, davon hören wir. Dabei können wir Wirte an der Lage in Katar doch überhaupt nichts ändern. Für viele von uns geht es ums Überleben, wir müssen endlich wieder Geld verdienen. Die Leute, die Fußball gucken wollen, machen das sowieso.

Aufgezeichnet von Susanne Rohlfing