ARD-Experte Seppelt im Interview„Der Sport hatte kein Interesse, Doping zu bekämpfen“
- Hajo Seppelt hat durch seine Enthüllungen zum Thema Doping weltweite Beachtung erreicht.
- Doch der Journalist lebt nicht immer ungefährlich, er wurde bereits mehrfach bedroht.
- Im Interview spricht Seppelt über seine persönliche Beziehung zum Sport und die Entwicklungen im Kampf gegen Doping.
Köln – Herr Seppelt, in Doha hat die Leichtathletik-WM begonnen. Haben Sie, bei allem, was Sie wissen und erlebt haben im Spitzensport, noch Spaß daran, Sport zu gucken?
Seppelt: Ich war noch nie ein Sport-Fan. Ich war immer an Sport interessiert, habe das aber auch immer mit journalistischer Distanz betrachtet. Ich schaue bei Olympia oder bei Weltmeisterschaften nicht stundenlang fern, mich interessiert schon lange mehr der Blick hinter die Kulissen.
Sie haben Ihre journalistische Karriere als Live-Berichterstatter von großen Sportereignissen begonnen. Menschen, die diese Karriere wählen, waren ja vorher oft begeisterte Sport-Gucker.
Mitte der 70er Jahre war ich mal Hertha-Fan. Aber diese Art von Begeisterung ist schnell erloschen. Ich war selbst ein begeisterter Sportler. Ich war Schwimmer und habe auch gern Fußball gespielt. Aber ich war immer ein klein wenig anders. In jungen Jahren wollte mich mal ein Trainer beim Wasserball zum Foulspiel unter der Wasseroberfläche animieren. Daraufhin habe ich den Sport sofort an den Nagel gehängt. Und beim Fußball habe ich die Hand gehoben und Bescheid gegeben, wenn ich ein Foul gespielt habe. Damit war ich für manche ein Sonderling. Aber ich fand Sport toll, war Trainer im Verein und wollte Journalist werden. Da lag es auf der Hand, dass ich das erst mal im Sport versuche.
Zur Person
Hajo Seppelt, geboren am 12. Juni 1963 in Berlin, Journalist und Autor. Von Beginn an dabei, als 2007 die Dopingredaktion der ARD gegründet wurde, weil dem Sender im Zusammenhang mit der Tour-de-France-Berichterstattung eine „klebrige Nähe“ zum Sport vorgeworfen wurde, unter anderem von Seppelt. Weltweite Beachtung erreichte Seppelt vor allem mit seinen Russland-Recherchen. In seinem 2014 ausgestrahlten Film „Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht“ in der ARD berichteten Whistleblower über systemisches Doping in Russland in der Leichtathletik und anderen Sportarten. Die Aufarbeitung der Enthüllungen dauert bis heute an.
Und Sie haben sich vom Berichterstatter zum erfolgreichsten Doping-Aufdecker in der deutschen Medienlandschaft entwickelt.
Meine Kritik an dem Genre wurde immer größer, als ich gemerkt habe, dass viele von uns nur an der Oberfläche kratzen und nicht hinter die Kulissen gucken, manche sogar nicht gucken wollen. Die Verbandelung zwischen Medien und Berichterstattungsgegenstand nimmt manchmal merkwürdige Züge an. Das hat mich zunehmend auf Distanz gehen lassen. Und als ich dann gemerkt habe, sobald ich anfange kritische Fragen zu stellen, wird man selber kritisch beäugt, hat mich das eigentlich nur noch mehr motiviert. Ich habe ein gewisses Gerechtigkeitsempfinden und mag die Heuchelei in so manchen Kreisen des Sports nicht. Und ich bin der Meinung, dass Sport ohne die Einhaltung von Regeln schlicht nicht funktionieren kann.
Nun kommt es vor, dass Sie mit falschem Bart und falscher Brille nach Geheimagentenmanier in Russland ermitteln, so erzählen Sie es in ihrem gerade erschienen Buch „Feinde des Sports“. Nicht gerade das Berufsbild, das Sie sich einst vorgestellt haben, oder?
Natürlich hätte ich nicht erwartet, dass sich mein Berufsbild in 30 Jahren derart verändert. Dass ich mal in einem Land als unerwünschte Person gelten, sehr viel angefeindet werden – aber gleichzeitig auch von anderen Anerkennung erfahren würde. Es hat sich ausgezahlt, dass die ARD seit 2007 nicht nur in Sportrechte investiert, sondern auch gezielt in Dopingrecherche. Die Keimzelle der ARD-Dopingredaktion lag in Köln beim WDR. Ulrich Loke, der dort der Redakteur der ersten Stunde für die Recherchen im Sportbusiness war, und ich arbeiteten ganz eng zusammen.
Sie haben unter anderem das russische Staatsdoping öffentlich gemacht und so dafür gesorgt, dass Sanktionen verhängt wurden. Gerade wurde bekannt, dass die Daten aus dem Moskauer Dopinglabor, die der Wada ausgehändigt wurden, offenbar manipuliert wurden. Kein Ende in Sicht also.
Niemand hätte erwartet, dass die Folgen des Films von 2014 auch fünf Jahre nach der Erstausstrahlung den Sport noch so intensiv beschäftigen würden. Wenn jetzt wieder betrogen wurde, bei den Daten, die dabei helfen sollten, das Ganze endlich zu einem Abschluss zu bringen, zeigt das, dass von einem Kulturwandel in Russland weiter absolut keine Rede sein kann.
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Die Wada zumindest scheint etwas gelernt zu haben. Inzwischen leitet dort ein ehemaliger BKA-Beamter die Investigativ-Abteilung, potenzielle Whistleblower dürften inzwischen bei der Wada besser aufgehoben sein. Oder täuscht dieser Eindruck?
Ich glaube, alle haben durch die Entwicklungen etwas gelernt. Durch die Recherchen und die Ermittlungen hat sich der Weltsport zumindest in Teilen bewegt, bewegen müssen. Hier konnte die vierte Säule unserer Gesellschaft, die Medien, dazu beitragen, dass sich gesellschaftliche Dinge verändern, möglicherweise ja in manchem auch zum Positiven. Es heißt oft, das Doping-Problem sei größer als früher. Das glaube ich gar nicht. Doping ist heute partiell besser im Griff als noch vor 20 Jahren. Es wird heute nur durch die mediale Präsenz des Themas stärker wahrgenommen und transparenter diskutiert. Es liegen viel mehr Dinge auf dem Tisch und das System Sport wird stärker hinterfragt.
Einzigartig sind die russischen Methoden sicher nicht. Meldungen von positiven Tests und Verdachtsmomente erreichen uns von überall auf der Welt. Generalverdacht gegen Unschuldsvermutung – in welche Richtung tendieren Sie, wenn Sie herausragende Leistungen im Sport sehen?
Ich glaube, dass Doping im Spitzensport zumindest in manchen Ländern – etwa in Westeuropa – auf Grund des zunehmenden Drucks zum Beispiel durch Anti-Doping-Gesetze oder journalistische Enthüllungen nicht mehr ganz so risikolos praktiziert werden kann wie früher. Die Gefahr der Enttarnung wurde größer, weshalb vermutlich manche Akteure nicht mehr ganz so waghalsig vorgehen. Aber zu glauben, dass wir deshalb einen sauberen Sport haben, das halte ich für eine Chimäre.
„Der Sport ist ein Kulturgut. Bedroht wird er von jenen, die ihn nur mehr als Ware betrachten.“ Das ist ein sehr schöner Satz aus ihrem Buch. Ist das Kulturgut Sport noch zu retten?
Das Kulturgut Sport wird es immer geben. Die Frage ist, wovon wir reden, vom Spitzensport oder vom Breitensport und was das Kulturgut sonst noch ausmacht. 27 Millionen Mitgliedschaften im DOSB, der Sport trägt die Gesellschaft, er hat eine ganz wichtige Funktion, was wären wir ohne Sport in diesem Land? Ob der kommerzialisierte Spitzensport noch zu retten ist, das hängt davon ab, ob er endlich einsieht, dass er die Strukturen ändern muss, die feudalen, anachronistischen Verhältnisse. Es gibt natürlich Leute, die an den Machtverhältnissen festhalten wollen – und das ist in erster Linie Thomas Bach (Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Anm. d. Red.). Wenn man die viele Jahre anhaltende Vertuschung in Russland oder einst in der DDR sieht, wenn man den lange währenden und von Verbänden gedeckten Betrug in Sportarten wie Leichtathletik und Radsport sieht, dann erkennt man schnell: Der organisierte Sport hatte, kommerziellen Interessen folgend, gar kein wirkliches Interesse, Doping zu bekämpfen. Doping verbessert die Leistung, damit steigert es die Attraktivität des Wettbewerbes. Davon profitiert der Athlet mit höheren Siegprämien und höheren Sponsorengeldern. Es profitiert der Manager mit höheren Provisionen. Der Sportverband mit mehr Sponsoren und höheren Einnahmen beim Verkauf der Fernsehrechte, die Sponsoren mit längeren Übertragungszeiten im Fernsehen, die Fernsehsender mit höheren Einschaltquoten und teureren Werbefenstern. Und so weiter. Für alle eine Win-Win-Situation.
Nur der Athlet hat möglicherweise irgendwann mit gesundheitlichen Problemen zu rechnen.
Aber das nimmt er ja in Kauf. Und jetzt kommt ein Journalist, oder ein staatlicher Ermittler um die Ecke und sagt, da wurde betrogen. Dann wird aus „win win“ schnell ein „lose lose“. Alle Teilhaber in der Kommerzkette büßen die positiven finanziellen Effekte ein. Mal ehrlich: Wer will das schon? Deshalb behaupte ich: Der Sport muss von außen kontrolliert werden. Der Sport muss sich gefallen lassen, wenn er denn die Hand aufhält für öffentliche Subventionen, wenn er etwa im Fußball gern möchte, dass der Polizeieinsatz bei Bundesligaspielen vom Staat bezahlt wird, dann muss er sich gefallen lassen, dass die öffentliche Hand sein Treiben kontrolliert. Anders geht es meiner Ansicht nach nicht.
Julia und Wiatali Stepanow leben heute an einem unbekannten Ort in den USA, Grigori Rodschenkow wurde ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Die Whistleblower, die Ihnen bei Ihren Recherchen geholfen haben, fürchten die Rache Russlands. Wie geht es Ihnen? Haben Sie Angst?
Angst habe ich keine. Aber die Kritik bestimmter Kreise an meiner Arbeit hatte zwischenzeitlich sehr unangenehme Formen angenommen, es hat Bedrohungen gegeben. Einmal wurde meine Adresse im Internet gepostet, das fand ich nicht so toll, da musste ich die Behörden einschalten. Gleichzeitig ist aber auch die Anerkennung für die Recherchen unseres Teams gestiegen.