Berlin – Um 17.26 Uhr sanken am Sonntag 22 Spieler in den Schlamm des Berliner Olympiastadions. Das 1:1 zwischen Hertha BSC und Bayer 04 Leverkusen wird als Bundesliga-Spiel in die Geschichte eingehen, in dem die ihres Glanzes beraubte Werkself wie der sichere Verlierer aussah und kurz vor Schluss einen Punkt mit bloßem Willen rettete.
Sie tat das mit einem Personal, wie es so noch nie im deutschen Profi-Fußball ein Spielende erlebte. Zwei 16-Jährige trugen das Bayer-04-Trikot: Iker Bravo (geboren am 13. Januar 2005), der in der 79. Minute als jüngster Leverkusener Bundesliga-Spieler der Geschichte eingewechselt wurde und nur sieben Minuten später zweitjüngster war, als auch noch Zidan Sertdemir (2. Februar 2005) aufs Feld kam. Nur der Dortmunder Youssoufa Moukoko (16 Jahre/1 Tag) war bei seinem Debüt jünger.
Bayer 04 behielt zwar die weiße Weste der Ungeschlagenheit auf fremden Plätzen, rutschte aber erstmals seit Wochen aus den Top-Vier der Bundesliga. Allerdings ballen sich die Teams hier so dicht, dass das Saisonziel Champions League noch nicht in Gefahr ist. Die schlechte Nachricht nach vielen schlechten Nachrichten aus der medizinischen Abteilung erreichte die Bayer-04-Fans eine Stunde vor dem Anpfiff: Nach Patrik Schick (Sprunggelenkverletzung) fiel auch noch Florian Wirtz (Muskelverletzung im Hüftbereich) aus. Damit fehlten Trainer Gerardo Seoane 20 Scorerpunkte aus dieser Saison. Dass auch Ersatzmittelstürmer Lucas Alario (Wadenprobleme) nicht mittun konnte, machte das Angriffs-Elend der Werkselfperfekt.
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Am Donnerstag hatte sie das auf dem blitzsauberen Rasen der Bay-Arena mit der Gala von Wirtz und Diaby gegen die spielstarken Andalusier von Real Betis beim 4:0-Sieg noch aufgefangen. Aber nichts davon war ohne Wirtz in die Realität des gruseligen Berliner Olympiastadion übertragbar. Der Rasen war knöcheltief, an vielen Stellen voller Schlammlöcher. Hertha BSC hatte nur ein Ziel: Den Gegner im Morast versinken lassen, ihm alle Freude nehmen und am Ende mit ein paar gelungenen Aktionen drei Punkte in Berlin behalten.
Und dieses Drehbuch, das in der Fußball-Bundesliga schon zu tausend Außenseitersiegen geführt hat, schien perfekt zu wirken. Nach einer von Bayer 04 fruchtlos dominierten Anfangsphase nutzte Routinier Stevan Jovetic eine Schlafmützigkeit der Werkself, um den Ball kunstfertig ins Tor zu knallen (42.). Hertha jubelte. Bayer 04 ging mit hängenden Schultern in die Kabine. Die robuste Berliner Defensive hatte längst kein Problem mehr mit ihrem Geschwindigkeitsnachteil, war Herr über Zweikämpfe und Räume. Und es gab über weite Strecken der zweiten Halbzeit nichts, was sich schneller bewegte als die Uhr, die unbarmherzig gegen Bayer 04 tickte. Zudem kam die aktuelle Bayer-04-Erfolglosigkeit gegen Hertha, die inzwischen sieben Tore ohne Leverkusener Antwort in direkten Duellen erzielt hatte.
Trainer Gerardo Seoane versuchte verzweifelt, mit Wechseln das scheinbar Unvermeidliche abzuwenden, während die Hertha plötzlich damit begann, gute Kontersituationen zu verschwenden. Aber von Leverkusener Spielkontrolle und zielgerichtetem Angriffsfußball konnte natürlich keine Rede sein. Es war eine Schlammschlacht der jungen Werkstruppe, der so etwas wie höhere Gewalt zu einem Tor verhelfen musste.
Diese erschien dann in Form eines Freistoßes in der 89. Minute. Spielmacher Kerem Demirbay schaufelte den Ball in den Fünfmeterraum, wo ihn der Minuten zuvor eingewechselte Innenverteidiger Odilon Kossounou eher zufällig ans Schienbein bekam und auf Robert Andrich weiterleitete. Und der 27-Jährige, der elf Jahre lang für die Hertha spielte, ehe er sich woanders als Profi etablierte, behielt aus spitzem Winkel die Übersicht und schnippte den Ball ins Tor. Deshalb gebührte ihm auch das Recht zum Fazit dieses Spiels: „Kompliment an die Mannschaft, auf einem kaum bespielbaren Platz nach einem Rückstand gegen eine eklige Mannschaft einen Punkt zu holen, da können wir stolz drauf sein. Die Länderspielpause kommt jetzt genau zur rechten Zeit.“