Bayers Triple-TraumaZidanes „Welttor“ bezwingt Leverkusen
- Die Meisterschaft hatte Bayer 04 schon verspielt, den DFB-Pokal ebenfalls. Könnte in der Champions League die Sensation gelingen?
- Leverkusen kämpfte – musste sich aber letztlich Real Madrid im Finale geschlagen geben.
- Erinnerungen an das Spiel vom 15. Mai 2002 in Glasgow
Leverkusen – Sehr ungewöhnlich verlief die Anreise mit dem Bus, der gefüllt war mit Journalisten, die nach Glasgow gereist sind, um zu erleben, wie Bayer 04 Leverkusen im Champions League-Finale gegen Real Madrid auftreten wird. Oder umgekehrt. Der Fahrer machte plötzlich eine Durchsage: „Ich glaube, zu Fuß seid ihr schneller.“ Stau auf der Fahrt vom Stadtzentrum zum Mount Florida, auf dem der Hampden-Park thront, Schottlands Nationalstadion, das sich an jenem 15. Mai 2002 grundsaniert vorstellte. Und weil die Arena am Horizont genauso zu sehen war wie Tausende stehende Autos vor uns, folgten wir dem Rat des Chauffeurs, stiegen aus und erreichten unsere Plätze zu Fuß pünktlich. Und waren durchaus erleichtert, als wir auf dem Weg ins Innere die Busse der sich duellierenden Teams sahen. Die Spieler waren also auch da.
Gegen Zinedine Zidane und Luis Figo
Bayer 04 Leverkusen war vom Namen her der krasseste Außenseiter, den man sich gegen eine Elf vorstellen kann, die sich damals mit gutem Recht „die Galaktischen“ nannte und die besetzt war mit den edelsten Fußballkünstlern jener Epoche: Zinedine Zidane, Frankreichs Weltstar in der Blüte seiner sportlichen Karriere. Luis Figo, aktueller Weltfußballer aus Portugal. Roberto Carlos, Linksverteidiger-Filou aus Brasilien mit der Spezialität, ein irrwitziges Drehmoment in den Ball zu zaubern – mit dem Fuß und den Händen bei Einwürfen. Dazu noch Raúl, der in Madrid geborene Torjäger und spätere Vereinsheilige. Und Bayer 04?
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Hatte immerhin Michael Ballack in der Startelf, damals Deutschlands größtes Versprechen. Dazu Bernd Schneider, einen eleganten Ballbeschwörer und Yildiray Bastürk, einen spielstarken Türke aus Herne in der Form seines Lebens. Und der Verteidiger Lucio aus Brasilien war dabei, schnell wie ein galoppierendes Pferd. Vor allem aber glänzte Bayer 04 in jenem Jahr als Gemeinschaft mit fabelhaftem Fußball und Offensive, mit vielen Toren und Erfolgen. Doch über all dem Glanz lag eine unglaubliche Tragik: Die Meisterschaft, die dem Team schon sicher schien, hatte es doch noch verspielt. Und das Pokalfinale gegen Schalke verloren. Nun stand es vor der letzten Chance, eine potenzielle Triple-Saison doch noch zu retten. Mit dem größten Titel, den Europas Fußball zu vergeben hat.
Raul trifft, Lucio gleicht aus
Real Madrids Saison verlief damals nicht so überzeugend wie die von Bayer 04. Das Team von Trainer Vincente del Bosque verlor am 6. März 2002, dem Tag des 100. Vereinsjubiläums, das Pokalfinale im heimischen Bernabeu-Stadion gegen Deportivo La Coruña und enttäuschte zudem als Dritter der spanischen Meisterschaft. Real und vor allem del Bosque standen also unter starkem Druck an jenem Mai-Tag in Glasgow – es galt den Centenario, den 100. Geburtstag, eines Mythos zu retten.
Vor dem Spiel zeigten schottische Highlander, wie stark sie und wie skurril ihre Sportarten sind, bei denen riesige Steine bewegt oder ganze Baumstämme geworfen werden. Als es dann endlich um Fußball ging, stand es schnell 1:0 für Real. Im Netz landete ein Kullerball, der von Rauls Fuß den Weg ins Bayer-Tor fand, in dem Keeper Hans-Jörg Butt wie gelähmt stehen blieb. Die Vorlage war ein Einwurf von Roberto Carlos. Bayers damaliger Torwarttrainer Toni Schumacher trug sich laut „Sportinformationsdienst“ spontan mit Rücktrittsgedanken. Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller sagte später: „Da weist du 1000-Mal auf die Einwürfe von Roberto Carlos hin.“ Doch Bayer 04 schaffte den Ausgleich, Lucio traf mit dem Kopf, 1:1.
Der nächste Rückschlag folgte schnell. Zidane erwischt, völlig frei, zentral auf der 16-Meter-Linie stehend, eine Carlos-Flanke mit dem linken Fuß volley perfekt und jagt ihn in den Winkel. 2:1. Toppmöller sprach von einem „Welttor“. Die drei Treffer fielen in der ersten Hälfte.
Es ist erstaunlich, wie sehr Bayer 04 im zweiten Durchgang das Spiel an sich riss, es beherrschte und offenbarte, wie schlagbar dieses vermeintlich so galaktische Heldenteam von Real in jener Saison und vor allem am 15. Mai 2002 war. Doch Dimitar Berbatow scheiterte zweimal sehr aussichtsreich und einmal auch Torwart Butt mit einem Kopfball nach einer Ecke. Aus. Verloren. Schon wieder. Drei Titel innerhalb von zwölf Tagen verspielt.
Und was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste: Bayers Stars Carsten Ramelow, Schneider und Oliver Neuville verloren später auch noch das vierte und letzte Finale der Saison – das um den WM-Titel, Ballack war gesperrt, Butt saß auf der Bank. 0:2 hieß es am Ende gegen Brasilien mit Roberto Carlos und Bayers Lucio, der 2002 wenigstens einen Titel feiern durfte.
Beinahe-Abstieg im Jahr danach
Im Lager von Bayer 04 gab es nachdem Match von Glasgow noch ein Bankett mit gedämpfter Stimmung. Schorsch Bischof, Onkel und Berater des verletzten Jens Nowotny, führte im Halbplayback singend durch den Abend. Und Reiner Calmund, damals noch Bayer-Manager, redete sich in einer seiner Stakkato-Ansprachen die Pleitenserie schön: Prestige, Reputation und Sympathie seien Bayer sicher, auch ohne Metall und Schalen.
Ein Jahr später übrigens wäre Bayer, längst ohne den da schon entlassenen Toppmöller und ohne den zum FC Bayern transferierten Ballack, beinahe abgestiegen. In der Champions League kam das Aus in der zweiten Gruppenphase – mit null Punkten aus sechs Spielen. Real Madrid wiederum schaffte es bis ins Halbfinale. Und wurde mal wieder spanischer Meister.
Da stimmten die Verhältnisse wieder zwischen dem Außenseiter und den Galacticos.
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