Die Fußball-Bundesliga hofft auf grünes Licht aus der Politik zum Fortsetzen der Saison.
Bayer 04 Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes ist vom DFL-Gesundheitskonzept überzeugt.
Im Interview spricht der Ex-Profi über die Rolle des Fußballs in der Krise, die Leverkusener Corona-Maßnahmen und die Zukunft von Kai Havertz.
Leverkusen – Herr Rolfes, die Politik wird in der nächsten Woche über eine Fortsetzung der Bundesliga-Saison mit Geisterspielen entscheiden. Sind Sie optimistisch, dass das Gesundheits-Konzept der DFL umgesetzt werden darf?
Ja, das bin ich. Weil ich glaube, dass es ein sehr gutes, sehr durchdachtes und umfassendes Konzept ist. Wenn die Infektions-Zahlen in Deutschland weiter auf diesem Niveau bleiben, dann ist es meiner Meinung nach auch sehr gut umsetzbar. Ich habe drei Töchter, zwei davon schulpflichtig. Wenn es so ein Konzept auch für Schulen geben würde, würde ich sie guten Gewissens dorthin schicken.
Sie glauben, dass andere Bereiche der Gesellschaft von dem Konzept der DFL profitieren könnten.
Das glaube ich. Die Fußballer wurden bereits vorher medizinisch unglaublich gut überwacht und betreut, das wird nun noch einmal erweitert. Ich glaube, dass es durch die gesammelten Daten Erkenntnisse auch für andere Bereiche der Gesellschaft geben könnte.
Der Profifußball als eine Art Laborexperiment?
„Experiment“ hört sich nach „try and error“ an, als hätte ich früher im Chemieunterricht experimentiert (lacht). Aber so ist es zum Glück nicht. Dieses Konzept ist unglaublich detailliert und umfassend. Deswegen denke ich, dass Schlüsse aus dem Umgang mit den Fußballern gezogen werden können, die sich auf andere Bereiche anwenden lassen.
Welches Datum als ersten Spieltag halten Sie für realistisch?
Das weiß ich nicht. In diesem Punkt müssen und werden wir jetzt einfach die Entscheidungen der Politik abwarten.
Wie viel Vorlaufzeit bräuchte Bayer 04, um ein Bundesliga-Spiel zu absolvieren?
Die veränderte Vorbereitung betrifft ja alle Mannschaften, und deswegen darum ist die Wettbewerbsfähigkeit auch gegeben. Unter den momentanen Umständen haben wir uns bis jetzt bestmöglich vorbereitet und wären in der Lage, auch zeitnah zu spielen.
Es gibt viele Kritiker, die eine Bevorzugung von Fußballprofis sehen: Kinder dürfen nicht auf Spielplätze, die Fußballer aber wieder in die Stadien. Es geht um die oft zitierte „Sonderrolle“ für diesen Sport.
Die rigorose Grundhaltung „entweder – oder“ kann ich in der Situation, in der wir uns als Land befinden, nicht nachvollziehen. Das ist der völlig falsche Ansatz. Es muss darum gehen, zu überlegen, wie jeder einzelne Lebensbereich zurück zur Normalität geführt werden kann. Da geht es um Schulen, Betriebe, Restaurants, um Sie als Journalist – und eben auch um den Fußball. Manches ist leichter zurück in eine relative Normalität zu bringen, anderes vielleicht schwerer. Aber wir sollten nicht verschiedene Bereiche gegeneinander ausspielen. Wir sollten stattdessen sagen: Wenn wir in der Lage sind, verantwortungsvoll irgendwo etwas zu öffnen – wo auch immer das ist – dann sollten wir das es tun.
Können Sie der aktuellen Situation etwas Positives abgewinnen?
Im Fußball haben wir beim Thema Solidarität viel Gutes gesehen. Vereine und auch die Fans haben sich in den zurückliegenden Wochen auf vielfältige Art sozial engagiert. In der Bundesliga gibt es einen großen Zusammenhalt, um gemeinsam mit der DFL diese Krise zu bewältigen. Da muss man natürlich auch die Spieler nennen, die sofort und geschlossen zu einem Gehaltsverzicht bereit waren. Das war für die Mitarbeiter in den Vereinen ein starkes Zeichen.
Seit Donnerstag werden bei den Bundesligisten Corona-Tests durchgeführt. Wie läuft das in Leverkusen ab?
Man fährt mit dem Auto in die Tiefgarage, lässt den Test machen und fährt wieder raus. Wie in einem Drive-in. Ab sofort wird in einer engeren Taktung getestet.
Wie würde die „Quasi-Quarantäne“ von Mannschaft und Betreuern bei Bayer 04 aussehen, sollte der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden?
Es gibt verschiedene Stufen in dem Modell, wenn es weitergehen sollte. Und eine sieht vor, dass die sozialen Kontakte weiterhin deutlich eingeschränkt bleiben.
Auch würden sich Verwandte von Spielern und Offiziellen – somit auch Ihre Familie – regelmäßig Corona-Tests unterziehen, auf freiwilliger Basis.
Genau, das ist nach aktuellem Stand ebenfalls eine Option.
Würden Sie oder Trainer Peter Bosz bei Geisterspielen mit Gesichtsmasken auf der Bank sitzen?
Das muss im Detail geklärt werden. Grundsätzlich wollen wir das Social Distancing in möglichst vielen Bereichen beibehalten – auch auf der Bank. Die Trainer könnten natürlich vorne und damit weit genug weg in ihrer Coaching-Zone stehen (lacht).
DFL-Chef Christian Seifert hat für die Zeit nach der Krise ein Überdenken des Werte-Fundamentes angeregt. Stimmen Sie zu?
Das ist ein wichtiger Punkt. Der Fußball ist der Volkssport Nummer eins. In ihm und auch in anderen Sportarten werden Werte vermittelt. Als ich als Vierjähriger in einem kleinen Verein angefangen habe, bekam ich zum Beispiel Dinge wie Teamgeist und Zusammengehörigkeit vermittelt. Oder Niederlagen zu akzeptieren. So ein Vorbild, gerade für Kinder, muss die Bundesliga sein. Obwohl viele Klubs schon erhebliche soziale Beiträge leisten – Bayer 04 unterhält dafür eine eigene Direktion „Fans und Soziales“ – hat es momentan trotzdem den Anschein, als würde der Fußball in einer Parallelgesellschaft leben. Da müssen wir uns kritisch hinterfragen: Warum gibt es dieses Bild? Wir müssen intensiv daran arbeiten, damit unsere Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft wieder wächst und der Fußball seiner Vorbildfunktion gerecht wird.
Kann es ein „Weiter so“ bei den gewaltigen Ablösesummen und den immer höheren Gehältern geben?
Die Krise hat zunächst einmal gezeigt, wie wichtig es ist, die Solidität der Vereine für künftige Krisen zu stärken. Dabei hat die Verschuldung der Klubs in Europa in den vergangenen Jahren bereits enorm abgenommen. Aber das scheint nicht zu reichen. Wir müssen auf europäischer Ebene den Weg der geringeren Verschuldung und der besseren Solidität weitergehen. Bei den Ablösen und Gehältern muss man differenzieren. Die Ablösen sind enorm gestiegen – aber sie sind nicht das Problem. Da gibt es einen Umverteilungs-Mechanismus bis ganz unten: Der größere Verein kauft einen Spieler von einem kleineren Verein, der dafür Geld bekommt. Dieser Klub kauft dann wieder woanders. Am Ende profitieren dann auch die Ausbildungsvereine über Ausbildungsentschädigungen und Solidaritätsbeiträge. Ein ganz anderer Punkt sind die hohen Personal- und Beraterkosten, unter denen gerade die Vereine leiden. Denn Verträge sind über mehrere Jahre abgeschlossen und das Geld geht anders als bei den Ablösesummen aus dem System heraus.
Könnten Sie sich eine Gehalts-Obergrenze vorstellen?
Das wäre das US-Modell, ich könnte mir einen anderen Ansatz vorstellen. Nur ein bestimmter Anteil des Umsatzes darf für Personalkosten ausgegeben werden. Das würde die Solidität der Vereine deutlich stärken.
Ein gewaltiger, womöglich 100 Millionen Euro schwerer, Abgang von Kai Havertz schien lange Zeit sehr sicher – ist nun wieder alles offen?
An der Situation rund um Kai hat sich nichts geändert. Dass er irgendwann den Schritt macht, hat er selbst gesagt. Er ist natürlich ein fantastischer Spieler und hat die Qualität dazu. Wann das sein wird, werden wir sehen.
Sie hätten aber vermutlich lieber später einen dreistelligen Millionenbetrag als Ablösesumme als krisenbedingt deutlich weniger jetzt im Sommer.
Wenn Sie mich fragen, was ich gerne habe: Ich freue mich einfach, wenn ich Kai Fußball spielen sehe.
Charles Aránguiz hatte lange mit seiner Vertragsverlängerung gezögert. Wie konnte er überzeugt werden?
Charles hat lange über die Situation seiner Familie und über eine mögliche Rückkehr nach Chile nachgedacht. Die Gespräche mit ihm waren immer gut, er trägt den Bayer-Löwen nicht nur auf der Brust, sondern auch im Herzen. Dass er jetzt noch einmal langfristig verlängert hat, hängt aber auch damit zusammen, dass er weiß, was für eine Top-Mannschaft wir haben, mit der vieles möglich ist.
Torhüter Lennart Grill kommt aus Kaiserslautern, er soll die neue Nummer zwei werden. Oder ist ein offenes Duell mit Lukas Hradecky gedacht?
Wir wollen Lennart weiterentwickeln, er bringt sehr viel Talent mit. Aber klar ist, dass Lukas die Nummer eins ist, er ist ein fantastischer Rückhalt und spielt eine Super-Saison.
Was passiert mit Ramazan Özcan? Erhält er eine andere Rolle im Verein?
Ja, Rambo wird nach Ablauf seines Vertrages in den Jugend- und Torwartbereich eingebunden.
Der Name Malang Sarr kursiert in Verbindung mit Bayer 04. Der 21 Jahre alte französische Innenverteidiger ist angeblich ablösefrei von Nizza zu bekommen.
Wir haben vier gute Innenverteidiger hier, im Sommer werden in Tin Jedvaj und Panos Retsos nach jetzigem Stand zwei weitere zurückkommen. Da sind wir sehr gut aufgestellt und in unseren Planungen sehr entspannt.