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LeverkusenDer beste Fünfte aller Zeiten kann sich für 63 Punkte nichts kaufen

Lesezeit 4 Minuten
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Kai Havertz (rechts) wurde nur eingewechselt, vielleicht war es sein letztes Heimspiel in Leverkusen.

  1. Bayer 04 hakt die Bundesliga nach dem 1:0 gegen Mainz ab und blickt nach Berlin.
  2. Kai Havertz wird bei seinem womöglich letzten Heimspiel nur eingewechselt.
  3. Geschäftsführer Rudi Völler stimmt den Werksklub auf den DFB-Pokal und die Bayern ein.

Leverkusen – An der VIP-Ausfahrt unter der Stelzenautobahn hatte sich eine Menschentraube von geringem Corona-Skandalpotenzial gebildet. Lose stand die Gruppe Bayer-04-Fans um ihre Autos auf dem Parkplatz und geriet immer in Wallung, wenn eine der Spieler-Limousinen das Gelände verließ. „Hey! Hey!“ und „Bayer 04, Bayer 04!“ lauteten die Rufe, denen manche der Profis in ihren teuren Autos mit freudigem Hupen begegneten.

Es waren die letzten Momente einer Bundesliga-Saison, die auch in der Chronik des Werksklubs als bizarre Einmaligkeit steht. Allerdings waren es nicht nur die Umstände der Pandemie und ihrer neun Geisterspiele zur Rettung des Geschäftsmodells, die eine Deutung erschwerten. Trainer Peter Bosz beschrieb es unmittelbar nach dem 1:0-Sieg über Mainz 05 am 34. Spieltag so: „Es fühlt sich sehr fremd an, 63 Punkte zu haben und dann unzufrieden sein zu müssen.“ Dafür gibt es Gründe. Noch nie in der Geschichte der Fußball-Bundesliga, die 1963 begann, ist eine Mannschaft mit so vielen Punkten nur Fünfter geworden. Im Vorjahr haben dem Werksklub fünf Punkte weniger sogar zu Platz vier gereicht, der die große Wasserscheide in der Geldverteilung ist, seit er zur direkten Qualifikation für die Champions League berechtigt.

"In einem Jahr wären wir mit 63 Punkten zufrieden"

Nur zweimal in den letzten 15 Jahren – 2011 und 2013 – hat der Werksklub mehr Punkte in einer Bundesliga-Saison geholt. Zwischen dem 5. Februar und dem 26. Mai 2020 war Bayer 04 wettbewerbsübergreifend zwölf Spiele lang ungeschlagen geblieben und hat dabei elfmal gewonnen. Dabei spielte die Mannschaft von Peter Bosz überwiegend spektakulären Offensiv-Fußball und erlebte mit dem 3:1-Sieg beim internationalen Schwergewicht FC Porto im Achtelfinale der Europa League sogar eine Sternstunde. Kai Havertz stieg zum hellsten Stern am Himmel der europäischen Supertalente auf.

Am 27. Juni um 17.21 Uhr aber stand fest, dass der Lohn dafür erst einmal nur die ungeliebte Europa League ist, der Keller des Europapokals. „Ich bin mir ganz sicher, dass wir uns in einem Jahr, wenn wir wieder 63 Punkte hätten, über den Einzug in die Champions League freuen würden“, sagte Peter Bosz, der allerdings auch dem direkten Konkurrenten Borussia Mönchengladbach gratulierte: „Sie haben eine herausragende Vorrunde gespielt. Sie haben zwei Punkte mehr, sie haben den vierten Platz verdient.“

Die letzten 90 Minuten begannen mit dem schnellsten Bayer-Tor der Saison. Nach 70 Sekunden hatte Kevin Volland seine Mannschaft mit 1:0 in Führung gebracht. Die Mainzer verrichteten die letzte Schicht des Spieljahres dennoch professionell. Trotz deutlicher Leverkusener Überlegenheit wäre sogar ein Unentschieden möglich gewesen. Es konnten allerdings alle damit leben, dass es ausblieb.

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Nur Kai Havertz schien ein wenig betrübt. 65 Minuten lang hatte er in seinem unter Umständen letzten Heimspiel in der Bay-Arena auf der Tribüne gesessen, weil Trainer Peter Bosz anderen den Vorzug gab. „Kai hat jedes Spiel von Anfang gespielt. Wir haben einen sehr breiten Kader“, sagte Bosz. Er hätte aber auch sagen können, dass Havertz zuletzt die Frische gefehlt hatte und er ihn am 4. Juli im DFB-Pokalfinale in ausgeruhtem Zustand braucht.

Ein Psycho-Fernduell mit Mönchengladbach kam an diesem schwülen Samstagnachmittag auch nicht zustande, weil die Borussia nie in Gefahr geriet, ihr Spiel gegen Hertha BSC zu verlieren, was die Voraussetzung für alle Rechnereien gewesen wäre. So hatten alle Zeit genug, sich auf das seltsame Ende einzustellen. „Die Enttäuschung heute ist nicht so groß“, erklärte Bosz, „vor einer Woche, als wir in Berlin verloren und es dann nicht mehr in der eigenen Hand hatten, da war sie groß.“ Damit war das Kapitel Bundesliga in Leverkusen abgeschlossen, die Konzentration gilt anderen Möglichkeiten.

Das DFB-Pokalfinale gegen die Bayern gibt den national stets ein wenig unterbeachteten Leverkusenern das so dringend ersehnte Rampenlicht. Zu gewinnen ist hier Reputation und eine Trophäe, weshalb man sich schon am Samstag Mut zusprach. „Da wollen wir den Bayern einen großen Fight liefern, der Pokal ist ein großer Wunsch aller hier, denn der letzte Sieg ist schon lange her“, sagte Geschäftsführer Rudi Völler, „und danach haben wir im August noch eine Chance in der Europa League. Da können wir als Sieger theoretisch noch in die Champions League kommen.“