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Leverkusener Boxer Maurice Weber„Ich hatte wirklich schlimme Schmerzen“

Lesezeit 6 Minuten
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April 2016: Maurice Weber (links) gegen den Georgier Valeri Karelidze

  1. Boxer Maurice Weber arbeitete die letzten Jahre hart an einem Comeback – vergebens.
  2. Nach einem komplizierten Handbruch musste der Leverkusener seine Karriere beendet.
  3. Im Interview spricht Weber über die Gefahren seines Sports, Versicherungen für Boxer und seine Freundschaft zu Felix Sturm.

LeverkusenHerr Weber, Sie haben seit April 2016 nicht mehr geboxt, aber bis zuletzt gehofft, doch noch ein Comeback zu schaffen. Das wird es nun nicht mehr geben. Sie haben Ihre Karriere beendet.

Es war ein sehr komplizierter, vierfacher Handbruch, den ich mir 2015 im Kampf gegen Jack Culcay zugezogen habe. Ich hatte zehn Wochen lang einen Gips, die Hoffnung war groß, dass das ohne Operation verheilt. Nach acht, neun Monaten Zwangspause habe ich wieder los gelegt, hatte aber immer noch deutliche Schmerzen. Irgendwie habe ich mich bis zu dem Kampf im April 2016 durch geboxt, das sollte ja eigentlich nur ein Zwischenkampf vor einem möglichen Rematch gegen Culcay sein.

Gegen Culcay haben Sie im Mai 2015 den größten Kampf Ihrer Karriere gemacht, es ging um den Interims-WM-Titel der WBA, und Sie haben knapp nach Punkten verloren.

Genau. Aber es kam nie zu einem Rematch. Ich musste dann doch operiert werden. Mir wurde Knochenmark aus dem Handgelenk genommen und mit zwei Titanplatten und acht Schrauben in die Mittelhand verpflanzt. Danach jeden Tag Physiotherapie. Aber nach sieben, acht Monaten war immer noch keine Besserung in Sicht. An Boxen war gar nicht zu denken, ich hatte schon im Alltag Einschränkungen. Dann kam eine zweite OP, diesmal wurde Knochenmark aus der Hüfte entnommen. Ich kann echt viel einstecken und bin kein Typ, der rumjammert – aber ich hatte wirklich schlimme Schmerzen.

Zur Person

Maurice Weber, geboren am 29. Juni 1981 als Muhammed Lassoued in Leverkusen, ehemaliger Boxer. Als Amateur für Bayer Leverkusen 88 Siege in 98 Kämpfen, Profi ab September 2005, zunächst für Universum Boxpromotion in Hamburg, dann im Stall seines Kumpels Felix Sturm in Köln, in 25 Kämpfen 22 Siege, zwei Niederlagen, ein Unentschieden, Vater von zwei Kindern.

Sein größter Kampf: Am 9. Mai 2015 gegen Jack Culcay um die Interims-WM der WBA im Superweltergewicht, Punktniederlage für Weber. (sro)

Wahrscheinlich nicht nur körperliche, oder?

Ich hatte mich so weit hoch geboxt, dass ich einen großen Kampf machen und dem Publikum meine Fähigkeiten zeigen konnte. Und dann kann ich nicht weitermachen. Das tat weh.

Zwischen 2008 und 2011 haben Sie schon einmal wegen einer Handverletzung pausiert, war das dieselbe Hand?

Ärgerlicherweise ja. Zwar an einer anderen Stelle, aber die Hand ist lädiert. Das hat mir allerdings auch Mut gemacht. Ich hatte es schon mal geschafft, zurück zu kommen und mich an die Weltspitze heran zu boxen. Ich wollte das wieder schaffen. Aber jetzt musste ich mich meinem Schicksal geschlagen geben. Anfang Dezember habe ich das eingesehen.

Warum?

Ich werde im Sommer 39 Jahre alt. Ich boxe in einer Gewichtsklasse, die von Schnelligkeit und Reflexen lebt. Seit zweieinhalb Jahren befinde ich mich in einem Schwebezustand, ich weiß nicht, wie es weiter geht. Das ist keine schöne Situation. Ich liebe den Boxsport, der Boxsport und ich, wir sind eins. Ich boxe seit meinem zwölften Lebensjahr. Aber es ist mir auch sehr wichtig, dass ich meine Hand irgendwann im Alltag wieder schmerzfrei bewegen kann. All diese Punkte bringen mich dazu, meine Karriere jetzt offiziell zu beenden.

Und jetzt? Sie haben mal eine Ausbildung zum Erzieher angefangen.

Da war ich zehn Jahre jünger als heute. Ich weiß nicht, ob ich die dafür nötige Kraft wieder aufbringen kann. Im Moment brauche ich selbst viel Kraft, um dieses Karriereende wirklich zu realisieren. Finanziell ist zum Glück noch nicht Alarmstufe Rot.

Aber wovon leben Sie? Sie gehören ja nicht zu den Boxern, die Millionen verdient haben.

Das haben Sie richtig erkannt. Gott sei Dank habe ich eine Unfallversicherung abgeschlossen. Deshalb konnte ich weiter meinen Unterhalt finanzieren. In meiner Zeit bei Universum Boxpromotion habe ich zwei schwere Unfälle miterlebt, ein Kollege hatte eine Unfallversicherung abgeschlossen, einer nicht. Das habe ich hautnah mitbekommen, und das hat mich dazu bewegt, selbst eine Versicherung abzuschließen.

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Viele Boxer, die eine Karriere lang vom WM-Titel träumen und ihn nie gewinnen, stehen am Ende mit leeren Händen da. Insofern haben Sie alles richtig gemacht.

Im Profisport herrscht oft ein Realitätsverlust. Aber gerade in einer Kontaktsportart wie dem Boxen sind Verletzungen ja vorprogrammiert. Da kann ich nur alle jungen Sportler animieren, sich gut beraten zu lassen. Es kann so schnell gehen.

Ihre Karriere war sehr eng verbunden mit der Ihres Kumpels Felix Sturm. Er war Weltmeister im Mittelgewicht, stand voll im Rampenlicht, hat viel Geld verdient – und hat jetzt ganz andere Probleme. Er muss sich wegen angeblicher Steuerhinterziehung und vermeintlichen Dopings vor Gericht verantworten und saß lange in Untersuchungshaft. Sein letzter Kampf war im Februar 2016, Ihrer im April 2016. Wäre Ihre Karriere mit gesunder Hand auch ohne Sturm weitergegangen?

Davon bin ich felsenfest überzeugt. Gerade nach dem Kampf gegen Culcay, das war eine ganz enge Kiste. Vielleicht in einem anderen Boxstall, vielleicht alleine. Viele, die halb so viel erreicht haben wie ich, schaffen das auch.

Wie war das, immer so nah dran zu sein an einem, der es nach ganz oben geschafft hat?

Ich weiß, wie viele Opfer dafür nötig waren. Wie viel Fleiß dahinter steckte. Ich habe das immer bestaunt. Es war auch motivierend. Ich habe mit Felix zusammen in Leverkusen bei den Amateuren geboxt. Er war boxerisch der Talentiertere, ich bin mehr der Arbeiter. So ist es nun mal. Nur ganz, ganz wenige schaffen es. Felix hat es sportlich geschafft, er ist Weltmeister geworden, davor ziehe ich den Hut. Er war einer von vielen von uns. Natürlich war es auch mein Ziel, Weltmeister zu werden. Aber wäre ich heute glücklicher, wenn ich es geschafft hätte? Ich weiß es nicht. Ich bin auch so ein zufriedener Mensch. Gerade bin ich traurig, dass ich meine Karriere beenden muss. Aber das macht mich nicht unglücklich.

Haben Sie noch Kontakt zu Felix Sturm?

Das möchte ich gern für mich behalten.

Wie sehen Sie Ihre Karriere heute? Ihr großer Traum war immer der WM-Titel, Sie waren überzeugt, es drauf zu haben. Und nun ist Ihre Karriere vorbei und Ihr größter Kampf war eine Niederlage in einem Duell um eine Interims-WM.

Es wird immer ein Fragezeichen bleiben. Den Handbruch habe ich mir im ersten Drittel des Kampfes gegen Culcay zugezogen. Ich möchte nicht mit faulen Äpfeln schmeißen, aber natürlich denke ich darüber nach, wie es ohne die Verletzung gelaufen wäre. Was mich beruhigt: Ich schaue in den Spiegel und weiß, dass ich alles getan habe, um meinen Traum in Realität umzuwandeln. Das Schicksal hat anders entschieden. Aber ich kann mir keinen Vorwurf machen. Ich liebe diesen Sport. Ich würde es genauso wieder machen. Ich würde es wieder versuchen.