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Alle feiern in orange„Links rechts“: Wie ein niederländischer Partysong zum EM-Hit wurde

Lesezeit 6 Minuten
Fanmarsch der Fans der Niederlande in Berlin

Fanmarsch der Fans der Niederlande in Berlin

Der niederländische Partyhit der Band Snollebollekes wird zum EM-Phänomen – sogar eine deutsche Version ist geplant. Woher kommt der Hype?

Eigentlich hätte die UEFA andere musikalische Pläne gehabt. Der offizielle Song zur Fußball-Europameisterschaft heißt „Fire“ – gesungen wird er von One Republic und Leonie, aalglatt durchproduziert wurde er vom italienischen EDM-Duo Meduza. Der Song hat weder Ecken noch Kanten, das Musikvideo ist vollgepumpt mit Product-Placement für Brausehersteller und Deo-Unternehmen. Und die Fans? Die machen seit Beginn der EM einen großen Bogen um das vorgesetzte Stück Musik – und schmettern in den Straßen lieber ihre ganz eigenen Partyhits.

Wer einen Blick in die Fanmeilen oder die sozialen Netzwerke wirft, der sieht und hört dort dieser Tage allerhand musikalische Spezialitäten. Mal steht ein deutscher Saxophonist in einer Menge schwarz-rot-goldener Fußballfans und bläst den alten Gala-Hit „Freed from Desire“ – mal hüllen schottische Fans in Kilts die Fußgängerzonen in Dudelsackklänge. Der wohl größte Überraschungshit der diesjährigen EM dürfte aber aus unserem Nachbarland kommen.

Erstmals Mitte Juni gingen Bilder Tausender orange gekleideter Fans durch die Medien. Vor dem ersten Einsatz der niederländischen Mannschaft in Hamburg zogen sie durch die Straßen und schmetterten einen Song, den man auch ohne niederländische Sprachkenntnisse ganz gut versteht: „Links rechts“ lauten die Zeilen im Refrain – abgerundet werden sie von einem allseits verständlichen „Dö-dö-dö-dö-döp“. Auf Videos ist zu sehen, wie Menschenmassen nicht nur zum Song tanzen, sondern den Songtext wörtlich nehmen: Mal hüpfen sie nach links, dann wieder nach rechts, und dann wieder zurück. In den Straßen herrscht die totale Euphorie – und alles ist „oranje“. In Leipzig wurde das Spektakel wenige Tage später noch mal wiederholt.

Was ist das für ein Song, der sich zum inoffiziellen EM-Hit mausert? Und woher kommt der Hype?

Snollebollekes: Der erste Hit ist nur ein Gag

Das Stück „Links rechts“ stammt aus der Feder der niederländischen Partyband Snollebollekes und ist eigentlich schon fast zehn Jahre alt – erstmals veröffentlicht wurde es 2015. Die Gruppe selbst wurde noch früher gegründet, nämlich im Jahr 2013. Sie besteht aus dem heute 38 Jahre alten Komiker Rob Kemps und dem DJ Jurjen Gofers, Gründungsmitglied der Band ist auch der Niederländer Maurice Huismans.

Bekannt wird Kemps erstmals durch eine Castingshow namens „Lama Gezocht“ im Jahre 2007. Die Show hat die Aufgabe, ein neues Mitglied für die Improvisationsserie „De Lama‘s“ zu finden – Kemps geht zwar nicht als Sieger hervor, erlangt in seinem Heimatland damit aber erste Aufmerksamkeit. 2013 wird dann Jurjen Gofers auf Kemps aufmerksam, der als Radio-Mitarbeiter einen Karnevalshit produzieren sollte – als Gag. Heraus kommt das Stück „Vrouwkes“. Es wird ein Überraschungshit in den Niederlanden.

„Vrouwkes“ steigt auf Platz elf in die Single-Charts ein und wird dann auch noch bei den Buma NL Awards zur besten Single des Jahres 2013 gekürt. Heute hat es auf Youtube 22 Millionen Aufrufe. Das Erfolgsrezept der Snollebollekes wird schon mit ihrem ersten Hit klar: Platte Texte, die jedoch das Zeug dazu haben, die Partymenge zur Ekstase zu bringen. Schon in „Vrouwkes“ hört man im Refrain die Worte „links“ und „rechts“, gefolgt von einem Schunkel-Beat.

Frauen-EM macht „Links rechts“ zum Hit

Weitere Songs der Band in den Folgejahren tragen Titel wie „Sorry Voor De Overlast“ (Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten), „Hullemaal Kapot“ (Völlig kaputt) oder „Beuk De Ballen Uit De Boom“ (Schlagen Sie die Kugeln aus dem Baum) – ein Weihnachtssong. Der inzwischen größte Hit der Band „Links rechts“ ist 2015 zunächst einer von vielen, mausert sich aber über die Jahre zum Hit.

Erstmals zu spüren ist das 2017. Da sind die Niederlande Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft der Frauen – und gewinnen das Turnier auch noch. In den Straßen entwickelt sich der Song „Links rechts“ zur inoffiziellen EM-Hymne, wird immer wieder von Fans euphorisch gesungen. Die Snollebollekes sind nun landesweit bekannt: „Dank dieses Songs habe ich zwölf Shows im GelreDome gespielt“, erinnert sich Rob Kemps gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Der GelreDome ist das Fußballstadion der Stadt Arnheim.

In den Folgejahren wird der Hype im eigenen Land noch größer. Und 2019 sorgt die Band mit ihrem Stück sogar für handfeste Schlagzeilen in fast allen niederländischen Medien. Da treten die Snollebollekes beim Königstag in der Stadt Breda in Nordbrabant auf, der traditionell mit viel Musik und Jahrmärkten einher geht.

Song „Links rechts“ sorgt für ein Erdbeben

Auch hier performen die Snollebollekes ihren Song „Links rechts“. Das Publikum allerdings hüpft bei dem Auftritt derart enthusiastisch, dass es in der Stadt gar ein kleines Erdbeben verursacht. „Plötzlich habe ich gespürt, wie mein Bett auf und ab geht“, erzählt damals eine Anwohnerin dem TV-Sender Omroep Brabant. „Zuerst dachte ich, ich wäre verrückt“.

Auch andere Anwohnerinnen und Anwohner berichten von einem „Mini-Erdbeben“ in den sozialen Medien. Videos des Auftritts verbreiten sich anschließend im Netz und werden hunderttausendfach angesehen. In den folgenden Jahren wird „Links rechts“ auf niederländischen Karnevalsveranstaltungen und anderen Festen zum Dauerbrenner.

Nun wird das Lied auch in den Rest Europas getragen. „Dieser Erfolg in Deutschland ist unserer Orange-Army und all den anderen Fans zu verdanken - die sind großartig“, freut sich Kemps gegenüber dem RND. Durch die Europameisterschaft werde der Song nun zu einem globalen Erfolg – „und ich liebe es“, ergänzt er.

EDM und Volksmusik

Grund für den Erfolg dürften aber nicht nur die euphorischen Fans sein – sondern auch das Stück selbst. Das Geheimrezept der Snollebollekes-Songs ist generell eine eher ungewöhnliche musikalische Mischung: In vielen Stücken mixt die Partyband etwa traditionelle Tuba-Klänge und stumpfe Schunkel-Rhythmen, die man aus der Volksmusik kennt, mit elektronischen Sounds. Anders als deutsche Ballermann-Hits setzt die Band weniger auf Ohrwurm-Refrains, sondern häufig auf eingängige Synthesizer-Hooks mit einem stumpfen Beat, der dann mit wenigen Worten angereichert wird. Und viele Songs klingen, als hätte man die Performance der Menschenmasse gleich mitgedacht - wie das Hin-und Her-Hüpfen beim EM-Song „Links rechts“.

Der EM-Erfolgshit lässt sich am ehesten dem EDM-Subgenre „Bigroom“ zuordnen, das ab Anfang der 2010er Jahre auf Festivals populär wurde. Insbesondere niederländische DJs wie Martin Garrix, Hardwell oder Blasterjaxx prägten es in seiner Anfangszeit. Typisch für das Genre ist ein wummernder Beat mit tonalen Kickdrums, die von einem Synthesizer begleitet werden dieser wiederum spielt überaus simple Melodien.

Die Snollebollekes vermischen das ohnehin schon sehr einprägsame Genre mit klassischem Partyschlager- und Karnevalselementen, etwa dem „Döp döp“ in der Hook – oder dem Stilelement, dass der Song zum Ende immer schneller wird. Der eingängige Songtext tut dann sein übriges. „Schade um den Dachboden, aber das Dach löst sich. Hacken, Stampfen, Springen, die Hütte spielt verrückt“, heißt es übersetzt in der Strophe. Und dann folgt der Refrain.

Deutsche Version von „Links rechts“ bereits in Planung

Vieles spricht dafür, dass der aktuelle Hype um den Song erst der Anfang für die Band sein dürfte. Beim Streamingdienst Spotify wurde „Links rechts“ inzwischen 49 Millionen Mal abgespielt – viele andere Songs der Partyband erreichen in der Regel Streamingzahlen zwischen 10 und 20 Millionen.

Auch auf Instagram habe er viele neue Follower und Followerinnen hinzugewonnen, sagt Kemps. Und: „Wir haben viele Anfragen für neue Auftritte erhalten.“ Der Konzertsommer dürfte für die niederländische Partyband also bald durchgeplant sein.

Und noch einen großen Plan hat die Band: „Wir arbeiten gerade an einer deutschen Version“, sagt Kemps. Dann haben deutsche Fans die Chance, auch die Strophen von „Links rechts“ zu verstehen. Bis dahin können diese weiterhin die niederländische Hymne mitfeiern – der Refrain, das sieht man auf den Straßen dieser Tage, ist ja ohnehin selbsterklärend.