AboAbonnieren

Nach 2:1-Sieg nun Rekord-EuropameisterSpanien feiert Joker Oyarzabal und seine Jungstars – England trauert

Lesezeit 6 Minuten
Spaniens Jungstars Lamine Yamal (l.) und Nico Williams jubeln nach dem Sieg vor dem Pokal.

Spaniens Jungstars Lamine Yamal (l.) und Nico Williams jubeln nach dem Sieg vor dem EM-Pokal.

Das spielerisch stärkste Team der EM hat sich auch im Finale verdient durchgesetzt. „Three Lions“ warten weiter auf ersten Titel seit 1966.

Als um 22.53 Uhr der Schlusspfiff im Berliner Olympiastadion erklang, plumpsten die Spieler beider Mannschaften gleich reihenweise auf den Rasen. Die Spanier vor Erleichterung und Glück, die Engländer vor Enttäuschung. Spanien ist Europameister!

Die Mannschaft von Trainer Luis de la Fuente bezwang in einem im zweiten Durchgang dramatischen Finale England mit 2:1. Was für ein historischer Sport-Tag für Spanien! Erst krönte sich am Nachmittag Carlos Alcaraz in London zum Wimbledon-Sieger, dann setzte sich die „Furia Roja“ Europas Fußball-Krone auf.

Spanien bezwingt England und feiert einen historischen Erfolg

Der spanische Held ist ein Baske: Der eingewechselte Mikel Oyarzabal traf in der 86. Minute zum Sieg des Favoriten, der nun auch Rekord-Europameister ist und sich mit vier Titel von Deutschland abgesetzt hat. Keine Frage: Die Spanier sind ein verdienter Champion. Sie waren die spielerisch beste Mannschaft des Turniers und auch im Finale das bessere Team mit mehr Chancen und Spielanteilen. Aber England hatte sich erneut als widerspenstig, leidenschaftlich und effizient gezeigt.

Mikel Oyarzabal (r.) hat zum 2:1 für Spanien getroffen, Englands Phil Foden (l.) ist entsetzt.

Mikel Oyarzabal (r.) hat zum 2:1 für Spanien getroffen, Englands Phil Foden (l.) ist entsetzt.

Die „Three Lions“ waren nach dem 0:1 durch Niko Williams (47.) mit dem Ausgleich des eingewechselten Jokers Cole Palmer noch einmal ins Spiel zurückgekommen (73.). Doch am Ende half das alles nichts. Der spanische König Felipe jubelte auf der Tribüne über den Sieg, dem englischen Thronfolger Prinz William blieb nur der Beifall für seine kampfstarke Löwen, die ihr zweites EM-Finale in Folge verloren. England wartet somit seit 58 Jahren weiter auf seinen ersten Titel seit der Heim-WM 1966.

„Es ist nicht leicht, diese Endspiele zu erreichen. Man muss es nehmen, wenn es kommt, und das haben wir noch nie geschafft. Es ist extrem schmerzhaft und wird noch lange wehtun“, sagte Englands Kapitän Harry Kane, der bereits in der 61. Minute ausgewechselt worden. Für den Bayern-Star, der kein Faktor war und enttäuschte, hält somit der Final-Fluch an, denn Kane muss weiter auf seinen ersten großen Titel überhaupt warten.

Southgate lässt Zukunft als englischer Nationaltrainer offen

Gareth Southgate ließ nach dem Abpfiff seine Zukunft als englischer Nationaltrainer offen. „Ich glaube nicht, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, eine solche Entscheidung zu treffen“, sagte der 53-Jährige. „Ich muss mit den richtigen Menschen sprechen. Das ist nichts für jetzt.“

Die Spanier dagegen bauten ihre sagenhafte Final-Bilanz aus: Seit 2001 hat kein spanisches Team auf der Nationalelf- oder der Klub-Ebene ein internationales Finale mehr verloren! „Ich könnte nicht glücklicher sein, wenn ich die Fans sehe, das Publikum, die Spieler. Es ist ein wunderbarer Tag für uns. Meine Mannschaft hat verdient die Europameisterschaft gewonnen. Danke an ganz Spanien für die Unterstützung. Man kann immer besser werden. Das ist vielleicht ein bisschen unser Geheimnis: Wir können immer besser werden“, schwärmte Trainer Luis de la Fuente. Und Siegtorschütze Oyarzabal kämpfte mit seinen Emotionen: „Ich habe meine Arbeit gemacht, ich habe meine Pflicht erfüllt. Ich habe der Mannschaft geholfen. Ich bin super glücklich und super stolz auf alles. Wir sind eine Mannschaft. Wir sind eine Familie. Das ist unglaublich.“

Unspektakuläre erste Halbzeit im EM-Finale

In Spaniens Aufstellung von Trainer de la Fuente hatte es keine Überraschung gegeben: Daniel Carvajal und Robin Le Normand, die im Halbfinale gegen Frankreich (2:1) noch gesperrt gefehlt hatten, rückten wieder für Jesus Navas und Nacho in die Startelf. Englands Coach nahm im Vergleich zum Duell gegen die Niederlande (2:1) eine Änderung in der ersten Formation vor: Luke Shaw erhielt links den Vorzug vor Kieran Trippier. Der Man-United-Profi hatte vor drei Jahren im verlorenen Endspiel gegen Italien nach zwei Minuten das früheste Finaltor der Euro-Geschichte erzielt.

Die erste Halbzeit war noch recht unspektakulär. Beide Mannschaften neutralisierten sich weitgehend, ihnen fehlten zudem die Ideen im Offensivspiel. Aber das Finale lebte natürlich schon da von der Spannung.

Erneut Pfiffe gegen Cucurella

Zu Beginn des Spiels griff erneut eine kleingeistige Unsitte um sich: Die deutschen Zuschauer pfiffen wieder einmal Marc Cucurella bei jedem Ballkontakt aus. Den spanischen Verteidiger, dem im Viertelfinale gegen Deutschland ein Handspiel im Strafraum unterlaufen war, dass er allerdings auch schlecht selbst als Elfmeter für die DFB-Auswahl ahnden konnte.

Die Spanier versuchten, die Dinge für sich zu regeln, ergriffen die Initiative. Doch die Engländer standen im Deckungsverbund sicher, machten die Räume eng. Nach 15 Minuten hatten sie dann ihre erste kleine Druckphase – und sofort waren ihre Fans, die klar in der Überzahl waren, voll da. Die Briten hielten dagegen, Harry Kane allerdings zu sehr, der Bayern-Stürmer traf Fabian mit einer Grätsche voll auf dem Spann und sah zurecht die Gelbe Karte (25.). Die Spanier waren danach die spielbestimmende Mannschaft, hatten deutlich mehr Ballbesitz (70 zu 30 Prozent). Doch zwingend wurden sie nicht, das Southgate-Team ließ auch nicht viel zu. Kurz vor dem Halbzeit-Pfiff hatte Phil Foden noch die erste Chance für die „Three Lions“, doch nach einem Freistoß kam er nur mit der Fußspitze an den Ball.

Spanien dreht nach der Pause auf und belohnt sich schnell

England hatte bis dato die Jungstars Lamine Yamal und Nico Williams gut in Schach gehalten. Doch das galt nur bis zur 47. Minute, denn der zweite Durchgang begann 69 Sekunden nach dem Wiederanpfiff mit einem Knallstart der Spanier, bei denen der wichtige Mittelfeldspieler Rodri (wurde nach dem Abpfiff zum „Spieler des Turniers gekürt) angeschlagen in der Kabine geblieben war. Carvajal passte rechts nach vorne auf Yamal. Der zog in die Mitte und legte perfekt für den mitgelaufenen Williams ab.

Der Offensivspieler visierte das lange Eck an, zog flach ab – Englands Torhüter Pickford war chancenlos. Für Williams war es sein zweites Turnier-Tor. Und für Teenager Yamal, der am Samstag seinen erst 17. Geburtstag gefeiert hatte, bereits die vierte Torvorlage. Nur zwei Minuten später wäre Spanien fast der Doppelschlag gelungen, doch Dani Olmo zielte knapp am Tor vorbei. Jetzt war der Favorit am Drücker, Morata und Fabian hatten weitere Chancen.

Cole Palmer schenkt England Hoffnung

Southgate reagierte, nahm Starstürmer Kane runter und brachte Ollie Watkins, den Siegtorschützen des Halbfinals (61.). Doch es waren die Spanier, die die nächste gute Chance hatten. Wieder schalteten sie schnell um. Olmo sah Yamal, der zog am Strafraum ab. Pickford musste sich ganz lang machen (67.).

Der eingewechselte englische Stürmer Cole Palmer feiert sein Tor zum zwischenzeitlichen 1:1.

Der eingewechselte englische Stürmer Cole Palmer feiert sein Tor zum zwischenzeitlichen 1:1.

Spanien hatte das 2:0 liegengelassen – und das sollte sich rächen. Denn wieder einmal kamen die „Three Lions“ aus dem Nichts zu einem Tor. Und wie im Halbfinale hatte Southgate ein Goldenes Händchen. Denn sein Joker stach sofort. Nach Sakas Pass legte Jude Bellingham stark in den Rücken für Cole Palmer ab. Und der erst drei Minuten zuvor eingewechselte Chelsea-Stürmer hämmerte die Kugel aus rund 22 Metern mit links ins untere Toreck – 1:1 (73.). Die englischen Fans standen Kopf. Ihre Mannschaft bewies erneut eine sagenhafte Effizienz. Jetzt wurde es dramatisch, denn auf der anderen Seite hatte Yamal wieder das 2:1 auf dem Fuß, doch Pickford partierte (82.).

Doch das letzte Wort hatten die Spanier! Und wieder traf ein Joker. Cucurella trieb den Ball nach vorne, passte flach auf den Fünfer. Dort stand der eingewechselte Mikel Oyarzabal, der das Leder zum 2:1 ins Tor grätschte. Die Entscheidung? Ja, aber Spanien musste doch noch einmal um den Sieg zittern. Denn die Engländer hätten fast postwendend erneut mit dem Ausgleich geantwortet, doch sie konnten eine doppelte Kopfballchance nicht nutzen. Erst parierte Unai Simon gegen Rice, dann klärte Olmo nach dem Versuch von Guehi auf der Torlinie. Es war die letzte wilde Aktion im Spiel. Der Rest war spanischer Jubel.