Rückblick auf die WM 1990Ein Titel, den Deutschland gewinnen musste
- Am 8. Juli 1990 wurde Deutschland in Italien Fußball-Weltmeister, im Finale gelang ein 1:0-Sieg gegen Argentinien.
- Das Endspiel war ein Langweiler – die wirklich denkwürdigen Partien gab es in den Runden zuvor.
- Ein Blick zurück auf das Turnier, das Deutschland gewinnen musste.
Köln – Ein WM-Titel, der gewonnen werden musste.
Der 8. Juli 1990 war im formal noch geteilten Deutschland ein regnerischer Sommertag, an dem sich abends mehr als 25 Millionen Menschen vor den Fernsehapparaten versammelten. Die Fußball-Nationalmannschaft stand im WM-Finale gegen Argentinien und musste aus mehreren Gründen Weltmeister werden. Sie war den Südamerikanern vier Jahre zuvor im Endspiel von Mexiko Stadt nach dramatischer Aufholjagd (2:2 nach 0:2) mit 2:3 Toren unterlegen. Außerdem stand sie zum dritten Mal in Folge im Endspiel einer Weltmeisterschaft und konnte ihrer sich vereinigenden Nation ein weiteres Scheitern nicht antun. Argentinien war ein Endspielgegner wie gemalt: Eine am verrückten Genie des Superstars Diego Maradona hängende Truppe, die sich mit viel Glück und brutaler Härte in dieses Endspiel gezockt hatte. Deshalb waren im Olympiastadion von Rom vier wichtige Spieler gesperrt, darunter der pfeilschnelle Claudio Caniggia, der bei den glücklichen Siegen über Brasilien (1:0) und Italien (4:3 im Elfmeterschießen) die wichtigen argentinischen Tore erzielt hatte.
Ein einseitiges Endspiel, das man sich heute nicht mehr anschauen würde.
Das Endspiel wurde ein Langweiler, bei dem nur die Frage war, wann das deutsche 1:0 fiel, denn Argentinien hatte in 90 Minuten keine einzige Torchance. Nachdem Pedro Monzon in der 65. Minute wegen eines Fouls an Jürgen Klinsmann vom Platz gestellt worden war, war die Uhr Deutschlands gefährlichster Gegner geworden. Fünf Minute vor Ende der regulären Spielzeit verhängte Schiedsrichter Edgardo Codezal Mendez (Mexiko), der dem DFB-Team zuvor mehrere mögliche Strafstöße verweigert hatte, nach einer nicht sehr harten Aktion von Roberto Sensini gegen Rudi Völler im Strafraum einen Elfmeter, den Andreas Brehme in der 85. Minute mit einem perfekten Schuss zum 1:0-Sieg verwandelte. Danach flog noch Gustavo Dezotti vom Platz. Deutschland war zum dritten Mal Weltmeister. Das war allerdings nur das letzte und sportlich am wenigsten aufregende Kapitel der Geschichte dieses Triumphs vor 30 Jahren.
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Der große Sieg gegen das untergehende Jugoslawien.
Die Dramen auf dem Weg zum WM-Titel hatten früher stattgefunden. Zum Beispiel im ersten Gruppenspiel, das Deutschland gegen Jugoslawien 4:1 gewann. In der zerfallenden Weltordnung war die Mannschaft von Trainer Ivica Osim eine Ansammlung aktueller und kommender Superstars, die in ihren Klubs und den Nachfolgeländern des am Rande des Balkankriegs stehenden Vielvölkerstaates Geschichte schreiben sollten. Dragan Stojkovic, Dejan Savicevic, Robert Prosinecki und Darko Pancev gewannen ein Jahr später mit Roter Stern Belgrad den Europapokal der Landesmeister. Davor Suker und Alen Boksic standen am Anfang ihrer Karrieren, die acht Jahre später mit dem dritten WM-Platz Kroatiens gekrönt wurde. Aber Deutschland hatte Teamchef Franz Beckenbauer und Kapitän Lothar Matthäus, der am 10. Juni 1990 in Mailand gegen Jugoslawien das Spiel seines Lebens machte. Er war treibende Kraft und zweifacher Torschütze bei diesem 4:1-Sieg, der fußballerisch anspruchsvoller war als alles, was die deutsche Nationalmannschaft seit ihrem Titelgewinn von 1974 gezeigt hatte.
Spucke und Spektakel im Duell der damals noch tief verhassten Rivalen.
Das Achtelfinale gegen den amtierenden Europameister Niederlande war ein Unfall im Turnierbaum. Oranjes schwieriges Ensemble um das Super-Trio Ruud Gullit, Frank Rijkaard und Marco van Basten kam nach drei Unentschieden in den Vorrundenspielen als Gruppendritter nur mit Glück weiter und wurde dem damals noch zutiefst verhassten Rivalen Deutschland zugelost. Dadurch entstand eines der spektakulärsten Achtelfinalspiele der WM-Geschichte. Bevor ein Tor fallen konnte, hatte sich die Szene für die Fußball-Ewigkeit in Mailand bereits ereignet. Frank Rijkaard spuckte Rudi Völler, mit dem er schon kurz zuvor aneinandergeraten war, nach gut 20 Minuten von hinten ins Haar. Der Deutsche war außer sich vor Empörung und sah vom argentinischen Schiedsrichter Juan Loustau noch vor dem Niederländer die Rote Karte. Im Kabinengang des Stadio Guiseppe Meazza mussten beide von Betreuern getrennt werden. Im Jahr 2010 sagte Völler: „Der argentinische Schiedsrichter ist ja kürzlich gestorben. Warum er mir die Rote Karte gezeigt hat, ist ein Geheimnis, das er mit ins Grab genommen hat.“ Im Spiel zehn gegen zehn riss Jürgen Klinsmann die niederländische Abwehr mit wilden Läufen und Dribblings in Stücke. Er selbst (51. Minute) und Andreas Brehme (85.) brachten Deutschland 2:0 in Führung, der Anschlusstreffer durch Ronald Koeman per Elfmeter (89.) fiel zu spät.
Teamchef Franz Beckenbauer verhöhnt seine Mannschaft im Viertelfinale kabarettreif.
Im Viertelfinale traf Deutschland auf die Tschechoslowakei. In Erinnerung bleibt dieses schmucklose 1:0 – Elfmeter-Tor von Lothar Matthäus – durch den historischen Wutanfall des Teamchefs Franz Beckenbauer, der seine am Ende in Überzahl verkrampfende Mannschaft kabarettreif verhöhnte. „Du bist der Klinsmann, nicht der Pelé“, schrie der Kaiser seinen Mittelstürmer nach einem Ballverlust an und empfahl dessen Kollegen: „Spielt’s bloß den Blinden nicht an!“ Einen an der Linie kauernden Balljungen fragte er: „Willst spielen? Komm, ich wechsel dich ein“ Und in der Kabine erklärte er seinen Spielern ihr Talent: „Ihr Blinden. Ihr Topfenkicker. Ihr seid’s die größten Deppen!“ Nie wieder wird das Erreichen eines WM-Halbfinales von einem sportlich Verantwortlichen so moderiert werden. Schade eigentlich.
Das Elfmeterschießen gegen England – und am Ende gewinnt immer Deutschland.
Das Halbfinale gegen England verfestigte Deutschlands Ruf, eine im modernen Elfmeterschießen unschlagbare Nation zu sein. Nach Toren von Andreas Brehme (60.) und Gary Lineker (80.) musste Beckenbauers Team gegen die stärkste englische Elf seit 1966 in die Verlängerung, in der Chris Waddle und Guido Buchwald den Pfosten trafen. Vor dem Elfmeterschießen umarmten sich Franz Beckenbauer und Englands Nationaltrainer Bobby Robson wie befreundete Staatsmänner. England begann. Gary Lineker, Peter Beardsley und David Platt legten vor, Andreas Brehme, Lothar Matthäus und Karl-Heinz Riedle glichen aus. Dann kam der größte Moment des damals 23-Jährigen Torhüters Bodo Illgner vom 1. FC Köln im Trikot der Nationalmannschaft. Er wehrte den mittigen Schuss von Stuart Pearce zur Seite springend mit den Beinen ab. Olaf Thon verwandelte. Chris Waddle schoss den Ball weit übers Tor. Danach sagte Torjäger Gary Lineker seinen Spruch, der seitdem zur Zitatensammlung dieses Sports gehört: „Fußball ist ein einfaches Spiel; 22 Männer jagen einen Ball 90 Minuten lang, und am Ende gewinnt immer Deutschland.“
Zumindest was das folgende Finale anbetraf, sollte er unbedingt Recht behalten.