Der Superschwergewichtler hofft in Paris auf eine Medaille. Auf seinem Weg zum Leistungssport gab es einige glückliche Fügungen.
Kölner Boxer bei OlympiaWie ein Tag in Müngersdorf Nelvie Tiafacks Leben für immer veränderte
Es war ein Tag irgendwann Ende 2015, der das Leben von Nelvie Tiafack für immer verändern sollte. Der damals 15-Jährige stand an den Abelbauten in Müngersdorf vor dem Gym des SC Colonia 06, dem ältesten Boxverein Deutschlands. „Dann habe ich dort ‚Olympia-Stützpunkt‘ gelesen und dachte natürlich, es wäre nur für Fortgeschrittene“, erinnert sich Tiafack im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er habe schon umdrehen und nach Bergheim heimfahren wollen. „Aber in diesem Moment kam mein späterer erster Trainer Erwin Radovan raus und hat mich angesprochen und mir gesagt, dass es auch Training für Anfänger gibt – es sollte wohl so sein“, sagt Tiafack.
Eigentlich wollte der Teenager sich nur ein bisschen informieren, Trainingsklamotten hatte er keine dabei. Doch Radovan überredete ihn, sofort mit ins Gym zu kommen. „Er hat mich nicht gehen lassen. Ich bin dann rein. Die 15 Minuten Aufwärmen waren das Anstrengendste, was ich je in meinem Leben gemacht hatte. Und dann ging es ja erst richtig los. Ich weiß noch, dass ich gedacht habe: Ich komme nie wieder“, berichtet Tiafack mit einem Grinsen. „Bis heute ist mir nicht genau klar, was mich bewogen hat, doch wiederzukommen.“
Nelvie Tiafacks kometenhafter Aufstieg im Boxen
Was auch immer es war, es hat sich gelohnt. Tiafack, geboren in Buea im Westen Kameruns, legte einen kometenhaften Aufstieg im Olympischen Boxen hin. Wenige Monate, nachdem er erstmals in einem Boxring stand, wurde Tiafack Deutscher Jugendmeister (2016), im selben Jahr gewann er Bronze bei der Jugend-WM, 2019 Bronze bei den Europaspielen. 2022 holte er schließlich EM-Gold, sein bis heute größter Erfolg. Nun ist Tiafack Deutschlands einziger männlicher Boxer, der sich für die Olympischen Spiele in Paris qualifiziert hat. „Ich will auf jeden Fall eine Medaille“, gibt sich der 25-Jährige selbstbewusst. „Dabeisein ist alles trifft es bei mir definitiv nicht.“
Weil sein Vater früh verstarb, kam Tiafack im Alter von acht Jahren zusammen mit seiner Mutter nach Deutschland. „Sie war sogar schon früher hier, ist als Frau allein in ein fremdes Land gekommen, um alles für uns vorzubereiten. Sie hat es gemeistert“, sagt der 1,89 Meter große Athlet. Die für den Leistungssport notwendige Disziplin habe er von ihr – noch heute wohnen sie gemeinsam in Bergheim, sie ist ein Anker in seinem Leben.
Dass aus Nelvie Tiafack einmal ein olympischer Athlet werden würde, war vor seinem ersten Besuch im Müngersdorfer Gym nicht abzusehen. „In Deutschland gab es Süßigkeiten im Überfluss. Das kannte ich aus Kamerun nicht, da habe ich es als Kind wohl etwas übertrieben“, berichtet Tiafack lachend. „Groß und wuchtig war ich schon immer, darum hat es mich nicht gestört.“ Als er sich dann im Alter von 13 Jahren auf die Waage stellte und dort 135 Kilogramm ablas, machte es aber „klick“ in seinem Kopf: „Das geht nicht.“ Fußball und Basketball waren nicht seine Sportarten, „zu langweilig“, so Tiafack. „Und du kannst individuell so gut sein, wie du möchtest. Für dein Glück bist du aber nie allein verantwortlich.“ Also Boxen, ein einsamer Sport.
„Eigentlich wollte ich nur abnehmen. Ich habe keine Sekunde an Leistungssport gedacht. Und der SC Colonia war für mich gut mit Bus und Bahn zu erreichen“, sagt Tiafack. Doch schnell entwickelte sich eine Liebe zum Sport, und im Kölner Boxverein gingen ihm schon nach drei Monaten die Gegner im Anfängerbereich aus – Tiafack rückte zu den Fortgeschrittenen auf. Parallel zu Training und Wettkämpfen machte er sein Fachabitur auf dem Alfred-Müller-Armack-Berufskolleg, später wurde der Boxer Sportsoldat.
Nelvie Tiafack hatte immer wieder mit Verletzungsproblemen zu kämpfen
Zusammen mit Trainer Lukas Wilaschek wurden Olympia-Pläne geschmiedet, dem Highlight für jeden Amateurboxer. Beim Qualifikations-Turnier für Tokio 2021 war der Kölner an Platz eins gesetzt. „Aber dann habe ich alles zu leichtgenommen“, so Tiafack – er scheiterte. „Ich hatte schon die Möglichkeit, im Profi-Bereich zu starten. Aber mein großer Traum ist einfach Olympia.“ Also lag der Fokus auf Paris. In den nächsten Jahren hatte Tiafack allerdings mit verschiedensten körperlichen Problemen zu kämpfen – Schulter, Knie, Rücken. Irgendwie war alles lädiert.
Beim Quali-Turnier für Paris im italienischen Busto Arsizio im Frühjahr 2024 gewann Tiafack den entscheidenden Kampf gegen den Serben Dusan Veletic gar mit einem Kapselriss im rechten Daumen. „Ich musste es ausblenden und das Beste daraus machen, alles geben, was der Körper hergibt“, sagt der 25-Jährige. Inzwischen ist der Finger verheilt, auch die anderen Probleme konnten nach einer Trainingsumstellung beseitigt werden. „Körperlich war ich wahrscheinlich noch nie bei 100 Prozent. Die Olympischen Spiele sind darum ja eigentlich ein guter Zeitpunkt dafür“, sagt Tiafack.
Der Trip nach Paris wird das Highlight des Kölners in seiner Karriere als Amateur. Anschließend will sich das Schwergewicht im lukrativen Profiboxen versuchen – im Idealfall als Europameister und olympischer Medaillengewinner.