AboAbonnieren

Novak Djokovic im PorträtDer lachende Dritte

Lesezeit 6 Minuten
Novak Djokovic

Titelverteidiger Novak Djokovic bei der Auslosung der Australian Open in der Margaret Court Arena in Melbourne

Köln – Es sind bemerkenswerte Worte, die Novak Djokovic nach einem der bemerkenswertesten Tennisspiele des vergangenen Jahrzehnts findet. „Wenn die Menge »Roger« ruft, dann höre ich »Novak«“, sagt der Serbe nach seinem Wimbledon-Triumph im Juli des vergangenen Jahres gegen Roger Federer, den Liebling der Zuschauer, auf die Frage, wie es ihm gelang, das „Auswärtsspiel“ auf dem Heiligen Rasen zu gewinnen. „Das mag sich albern anhören, aber ich überzeuge mich selbst davon, dass es so ist“, führt Djokovic aus.

Kurz zuvor hatte er den Schweizer in dem fast fünf Stunden andauernden Finalspiel mit 13:12 im fünften Satz bezwungen – und dabei im entscheidenden Durchgang bereits mit Break zurückgelegen und zwei Matchbälle abgewehrt.

Novak Djokovic: Mentale Stärke als großes Plus

Der Wimbledon-Triumph aus schier aussichtsloser Lage ist kein Zufall: Djokovic schafft es regelmäßig, das Maximum seines Leistungsvermögens abzurufen, wenn er es am meisten benötigt. Es ist nicht seine Vorhand, seine Physis oder seine Raffinesse, die ihn in die Weltspitze gebracht haben. Es ist seine mentale Verfassung in wichtigen Momenten, die ihn vom Großteil seiner Konkurrenten abhebt. Und so ist es ihm zu glauben, dass er sich einbilden kann, dass die Menge „Novak“ statt „Roger“ ruft, auch wenn die beiden Wörter nicht im Verdacht stehen, phonetische Ähnlichkeiten aufzuweisen.

Djokovic Federer

Novak Djokovic und Roger Federer nach dem Wimbledon-Finale 2019

In einer Sportart, in der der Kopf eine der wichtigsten Komponenten für Erfolg ist, hat es Djokovic – neben seiner zweifellos herausragenden technischen Fähigkeiten – auch mit dieser mentalen Stärke bislang zu 16 Grand-Slam-Titeln gebracht.

Rafael Nadal und Roger Federer sind in Reichweite

Federer (20) und Rafael Nadal (19) – die zwei weiteren Mitglieder der sogenannten „Big Three“ – sind in Reichweite. Während bei Ersterem das Alter (Federer ist 38) und bei Zweiterem (Nadal ist 33) der angeschlagene Körper auf ein baldiges Karriereende hindeuten, spricht bei Djokovic (32) viel dafür, dass er noch einige Jahre auf allerhöchstem Niveau Tennis spielen und seine Konkurrenten in vielen Statistiken überholen kann.

Trotz der offensichtlichen Augenhöhe, auf der sich die drei vielleicht besten, mit Sicherheit aber konstantesten Spieler aller Zeiten seit mehr als einem Jahrzehnt bewegen, ist Djokovic nicht der Spieler, den die Anhänger verehren. Das Duell zwischen Federer und Nadal elektrisiert mehr Tennisfans als ein Spiel mit Djokovic-Beteiligung.

Der Serbe ist es mittlerweile gewohnt, die großen Duelle vor einer Kulisse bestreiten zu müssen, die in der Mehrheit auf der Seite des Gegners steht. Wenn er gegen Federer oder Nadal antritt – und das passiert aufgrund der Setzlisten in Halbfinal- oder Finalspielen, nicht selten bei Grand-Slam-Turnieren – kann er sich sogar sicher sein, dass sein Gegner der Fanfavorit ist.

Warum sind Federer und Nadal beliebter als Djokovic?

Das mag daran liegen, dass seine Konkurrenten schon länger erfolgreich sind, sich bereits epischen Schlachten geliefert und die Szene über Jahre dominiert hatten, als Djokovic in die Weltspitze aufstieg. „Novak hat die einzigartige Rivalität zwischen Roger und Rafael gebrochen“, sagt Nicolas Almagro, ehemaliger Top-Ten-Spieler. „Das kann ein Grund dafür sein, dass er nicht so beliebt ist.“

Außerdem sei die Spielweise des Serben nicht so greifbar wie die seiner Konkurrenten. „Federer ist Perfektion und absolute Eleganz; Rafael steht für Hingabe, das Scheitern und das Aufstehen sowie seine unglaublichen Erfolge auf Sand“, so Almagro. „Novak hat ein bisschen von beidem: Rogers Talent und Nadals Einstellung.“ Das Resultat: 15 Grand-Slam-Siege in der vergangenen Dekade. Nadal kommt im selben Zeitraum auf 13, Federer auf fünf.

Boris Becker: Popularität hat Novak Djokovic beschäftigt

Beeinträchtigt die geringere Popularität den Serben in seinem Spiel? Nein, oder besser: Nicht mehr. „Es gab Zeiten, in denen er sich darüber Gedanken gemacht hat“, sagt Boris Becker, der Djokovic zwischen 2013 und 2016 als Trainer bei sechs Grand-Slam-Erfolgen begleitet hat. „Aber es interessiert ihn heute nicht mehr.“

In seinem Verhalten auf dem Platz unterscheidet sich Djokovic bisweilen deutlich von Federer und Nadal. Während an den Gesichtszügen des Schweizers kaum ablesbar ist, ob er gerade führt oder zurückliegt und Nadal sich und die Zuschauer mit ausschweifenden Gesten pusht, lässt Djokovic auch negative Emotionen zu.

Novak Djokovic: „Ich spiele, um zu wachsen“

Er ist genervt, wenn er zu viele Fehler macht oder ein Schlag nicht funktioniert – und kehrt es nach außen. „Auf dem Tennisplatz erlebe ich Hochs und Tiefs meines Charakters“, sagt er. „Manchmal verliere ich die Kontrolle, ich schreie herum, zertrümmere mein Racket. Aber ich lebe da auch meine positiven Emotionen aus. Ich spiele nicht fürs Geld. Ich spiele, um zu wachsen.“

Unter den „Big Three“ ist es Djokovic, der während seiner Laufbahn die vielleicht größte Persönlichkeitsentwicklung vollzogen hat. In den Anfangsjahren seiner Karriere fiel der Serbe mehr durch seine Entertainer-Qualitäten als durch sein Spiel auf. Es tauchten Videos vom Training, aus der Kabine und später auch von obligatorischen Interviews auf dem Platz nach Spielen auf, in denen er seine Kolleginnen und Kollegen parodierte – darunter Maria Scharapowa, Andy Roddick und eben Nadal.

Novak Djokovic ist Präsident des ATP-Spielerrats

Das Publikum johlte, seine Konkurrenten fanden die Darbietungen teilweise nur bedingt lustig. Heutzutage verzichtet Djokovic darauf – und übernimmt politische Verantwortung für seine Sportart.

Seit 2016 steht er dem ATP-Spielerrat als Präsident vor und vertritt die Interessen der Profis. So setzt er sich unter anderem dafür ein, dass mehr Preisgeld an Spieler außerhalb der Top 100 ausgeschüttet wird. „Wenn wir im Spielerrat zusammen sitzen, kämpft Novak wirklich für alle Spieler, auch die mit einem niedrigeren Ranking“, sagt etwa Vasek Pospisil, ehemalige Nummer 25 der Welt, aktuell auf Rang 153 abgerutscht.

Australian Open: Spielt Novak Djokovic im Finale gegen Alexander Zverev?

Bei den Australian Open startete Novak Djokovic als Titelverteidiger und großer Favorit mit einem Viersatz-Erfolg gegen Jan-Lennard Struff. Es folgten Drei-Satz-Siege gegen Tatsuma Ito, Yoshito Nishioka, Diego Schwartzman und Milos Raonic. Im Halbfinale kam es erneut zum Duell mit Roger Federer. Nach einem Fehlstart bezwang der Serbe auch den Schweizer in drei Sätzen. Im Finale trifft er am Sonntag entweder auf Dominic Thiem, der den Weltranglisten-Ersten Rafael Nadal bezwungen hatte, oder Alexander Zverev. Bei einem Sieg ist Djokovic wieder die Nummer eins der Welt.

Das könnte Sie auch interessieren:

In diesem Jahr steht das Turnier unter dem Vorzeichen der verheerenden Buschbrände, die seit Oktober in Australien wüten, 28 Menschen und mehr als einer Milliarde Tiere das Leben gekostet und die Luft in Melbourne derart verschmutzt haben, dass ein Qualifikationsspiel wegen eines Hustenanfalls einer Spielerin abgebrochen werden musste. Eine Verschiebung des Turniers ist vom Tisch, weil sich die Lage vor Ort etwas entspannt hat. Djokovic hätte sich dagegen nicht gewehrt. „Es ist wahrscheinlich die allerletzte Option“, sagte er.

Djokovic Nadal

Novak Djokovic mit Rafael Nadal beim Charity-Event "Rally for Relief" vor den Australian Open in Melbourne

Statt einer Absage des Großevents sammelten die Topstars der Branche am Dienstag beim alljährlichen Event „Rally for Relief“ in der Rod Laver Arena Spenden für die vom Buschfeuer betroffenen Regionen. Fast fünf Millionen australische Dollar kamen so zusammen. Djokovic nahm daran ebenso teil wie Serena Williams, Caroline Wozniacki und Alexander Zverev. Den meisten Jubel bekamen aber zwei andere: Rafael Nadal und Roger Federer. Djokovic reagierte mit einem Lächeln.