Viktoria-Chef Rettig„Wir werden unsere Spieler zu sozialem Engagement verpflichten"
Herr Rettig, wir sitzen im Pressekonferenzraum der Viktoria-Geschäftsstelle, Sie scheinen hier ziemlich spontan Ihre Zelte aufgeschlagen zu haben.Andreas Rettig: Ja, ich bin momentan noch ohne eigenes Büro. Wir werden aber bald umziehen, und zwar aus dem Erdgeschoss in die dritte Etage, das wird dann also gleich mein erster Aufstieg mit der Viktoria. Ich hoffe, dass mir dann ein Büro zugewiesen wird. Aber ich brauche nicht das größte Büro und auch kein Schild am Parkplatz. Wir sind hier schließlich nicht beim DFB (lacht).
Was will der FC Viktoria Köln von Ihnen?
Herr Wernze hat mich direkt kontaktiert, als bekannt wurde, dass ich bei St. Pauli aufhöre. Ich wollte aber das halbe Jahr bei St. Pauli noch zu Ende bringen und dann mindestens ein Jahr aussteigen. Vor ein paar Monaten hat mich Franz Wunderlich noch einmal gefragt, ob ich nicht aus meinen Erfahrungen etwas vortragen könnte zum Thema Neuaufstellung von Fußballvereinen. Was für Zahlen zu beachten wären, Benchmarking mit anderen Vereinen. Ich habe das dann im Beisein der Geschäftsführung vorgestellt.
Ihr Konzept scheint überzeugend ausgefallen zu sein. Warum haben Sie sich dann für die Viktoria entschieden?
Ich darf hier einbringen, was mir wichtig ist. Ich kannte den Verein, weil ich selbst für die Viktoria gespielt habe. Dennoch hätte ich nicht genau definieren können, wofür Viktoria Köln im Jahr 2021 steht. Da müssen wir ein klares Konzept erstellen. Dieser Verein wird perspektivisch nur eine Chance haben, wenn er eine eigene DNA entwickelt.
Franz-Josef Wernze unterstützt den Verein finanziell, das war bislang der überwiegende Teil des Images von Viktoria Köln.
Ich habe mich selbstverständlich mit seiner Rolle beschäftigt, und der Verein kann Herrn Wernze tatsächlich nur dankbar sein. Er ist kein Investor, der auf einen Return on Investment aus ist. Seine Rendite ist eine emotionale. Wäre ich sein Finanzberater – ich würde ihm durchaus mal ein paar Fragen stellen. Er verfolgt eher einen altruistischen Ansatz. Gutes Management zeichnet sich dadurch aus, Strukturen und Organisation zu schaffen, die personenunabhängig funktionieren und sich auch frühzeitig über die Ausrichtung des Vereins Gedanken zu machen und Nachfolgeregelungen zu schaffen.
Wernzes Wirken wird auch kritisiert.
Ich habe immer gesagt, dass ich nichts gegen Investoren habe. Daher habe ich damals als DFL-Geschäftsführer aus voller Überzeugung die Ausnahmegenehmigung für Dietmar Hopp mitgetragen und gleichzeitig zweimal die Lizenz für RB Leipzig verweigert. Auch der FC Augsburg wäre jetzt nicht seit zehn Jahren in der Ersten Liga, hätte Walther Seinsch damals nicht dieses Fundament geschaffen. Investoren sind herzlich willkommen. Aber sie müssen sich an die Regeln des 50+1 halten.
Wäre Viktoria Köln ohne die Unterstützung von Franz-Josef Wernze in der Dritten Liga vorstellbar?
Perspektivisch ja, aber das bedarf noch einiger Kraftanstrengungen. Wir wollen uns auf vielen Ebenen entwickeln. Und ich bin sicher, dass wir das schaffen.
Zur Person
Andreas Rettig, geboren am 25. April 1963 in Leverkusen, arbeitete bei Bayer 04 (1989 - 1998), dem SC Freiburg (bis 2002), beim 1. FC Köln (2002 - 2005) und dem FC Augsburg (2006 - 2012). Nach einer Station als Geschäftsführer der DFL (2013 - 2015) war Rettig bis 2019 beim FC St. Pauli. Seit Juni ist er Vorsitzender der Geschäftsführung bei Viktoria.
Was für ein Klub soll die Viktoria werden?
Wir wollen einen regionalen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Ich habe Vorstand, Mitarbeitern und Mannschaft angedeutet, was wir vorhaben. Wir werden ganz konkret in jeden Spielervertrag eine Gemeinwohlklausel einbauen, mit der sich unsere Spieler zu sozialem Engagement verpflichten. Denn eine Branche, die mit dem Interesse der Öffentlichkeit ihr Geld verdient, braucht gesellschaftliche Akzeptanz – und die verliert der Profifußball zurzeit. Wenn ich lese, dass Krankenpfleger in Deutschland maximal 3149 Euro Grundgehalt bekommen, müssen wir uns bewusst machen, in was für einem Schlaraffenland wir im Fußball leben.
Soziales Engagement mit eigenem Antrieb – das ist mehr als eine Autogrammstunde in der Grundschule.
Selbstverständlich. Es gehen heutzutage 15- und 16-Jährige für soziale und ökologische Themen auf die Straße, das nenne ich Engagement. Wir wollen glaubwürdig auftreten, damit diese jungen Leute am Ende sagen: Ich bin vielleicht kein Fan von Viktoria Köln. Aber was die machen, finde ich gut.
Ihren Spielern wird es auch nicht schaden.
Zu begreifen, dass man etwas tun kann, gibt ein gutes Gefühl. Wenn ich heute eine Bewerbung sehe und da jemand ein Freiwilliges Soziales Jahr geleistet hat, dann hat das für mich einen Wert, das ist für mich wichtiger als die Eins in Mathe. Es ist eine Frage der Kultur eines Klubs. Das habe ich in St. Pauli erlebt, aber auch beim SC Freiburg, als wir das Solarthema besetzt haben. Wir waren auch in Augsburg die Ersten, die ein CO2-neutrales Stadion gebaut haben. Ich habe nicht erst damit angefangen, seit Greta durchs Land marschiert.
Was werden Sie persönlich einbringen?
Ich habe mich mit dem Verein auf eine nachhaltige Vergütungsstruktur geeinigt. Ich bin Mitglied der Arbeitsgruppe Sportsgovernance, die dabei ist, einen Kodex zu entwickeln. Da nehme ich interessante Impulse mit. So sind zum Beispiel meine Erfolgsboni nicht nur an sportliche, sondern auch an Nachhaltigkeitsziele gebunden.
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Was werden Sie dagegen tun, dass ihre Nachhaltigkeitsziele im Druck des sportlichen Wettbewerbs letztlich doch wieder beiseitegeschoben werden, weil Ihr Trainer plötzlich sagt, er müsse primär Spiele gewinnen?
Ich würde nicht das eine gegen das andere stellen. Ich habe in Freiburg mit Volker Finke erlebt, dass man für Nachhaltigkeit und sportlichen Erfolg gleichermaßen stehen kann. Überhaupt halte ich es für wichtig, die Trainer mehr in die Verantwortung zu nehmen. Das war jedenfalls mein Gedanke angesichts der jüngsten Bewegungen auf dem Trainermarkt. Durch die Ausstiegsklauseln schwächen Trainer grundsätzlich ihre Position im Verein. Aber es geht auch um die Vorbildfunktion und die Glaubwürdigkeit, wenn ein Trainer mit einem Spieler perspektivisch spricht. Ich habe gar kein Problem damit, dass Ablösen für Trainer bezahlt werden. Dass aber der Trainer jederzeit gehen kann, halte ich für problematisch.
Was schlagen Sie vor?
Mein Vorschlag wäre eine Solidaritätsabgabe an die Trainerausbildung. Dann könnte von jeder Ablöse, die für Trainer bezahlt wird, ein Prozentsatz in die Ausbildung von Trainern fließen. Das hätte aus meiner Sicht einen gewissen Charme. Was mir außerdem Sorgen bereitet: Ein Trainer, der frei auf dem Markt und damit ablösefrei ist, wird früher oder später nach einem Handgeld fragen. Dann wird es schwierig, denn solches Geld wird dem Kreislauf entzogen. Bei Ablösen ist das anders.
Wie weit kann ihr Weg führen in Köln, wo es bereits den FC gibt?
Wir wollen am Ende unsere Mitgliederzahlen erhöhen, das Faninteresse steigern und sportlichen Erfolg haben. Ich sage es aber heute schon, weil ich hier und da höre, dass uns womöglich ein Abstieg des 1. FC Köln neue Chancen eröffnen könnte: Der 1. FC Köln heißt deshalb 1. FC Köln, weil er der erste Fußballclub dieser Stadt ist. Und das wird er bleiben. Wir wollen nicht die Nummer 1 werden. Wir wollen im besten Falle positiv beleumundet in der Stadt Sympathien gewinnen. Und ich würde mir wünschen, dass die Leute es cool fänden, mal zur Viktoria zu gehen.