Besuch in der Kölner AusreiseberatungWenn Kinder in ein ungewisses Leben starten
Köln – Moschda Ebrahimi erinnert sich an eine Mutter mit zwei Kindern, die zu ihr kam. Der ältere Sohn ging in die erste Klasse, der jüngere war erst zwei Jahre alt. Die Familie sollte zurück in ihr Heimatland Albanien. Das Land auf dem Balkan wurde 2015 von der Bundesregierung als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft. Für die 30-jährige Mutter und ihre Söhne war es nicht sicher. Ihre Familie hatte sie verstoßen und bedroht, weil sie sich von ihrem gewalttätigen Mann getrennt hatte.
„Die Frau war sehr verzweifelt, weil sie nicht wusste, wohin und wovon sie das Schulgeld für ihren Sohn bezahlen soll“, erzählt Ebrahimi, Mitarbeiterin in der Ausreise- und Perspektivberatung der Diakonie.
Zu ihr kommen Menschen, die sich zu einer „freiwilligen Ausreise“ aus Deutschland entschieden haben. Wobei die Alternative in den meisten Fällen die Abschiebung ist. Heißt: Irgendwann in den frühen Morgenstunden kommen Beamte nach Hause, die Ausreisepflichtigen haben nur wenig Zeit, um zu packen, und werden mitgenommen. „Freiwillig“ ist also nicht das richtige Wort, um zu beschreiben, warum Geflüchtete zu Ebrahimi ins Büro am Kartäuserwall in der Südstadt kommen. Laut Statistik des Kölner Ausländeramts haben 2021 aus diesem Grund 164 Menschen die Stadt verlassen. In Wahrheit seien die Zahlen aber höher, weiß Annegret Kohnen-Spitz, Leiterin der Beratungsstelle. Im selben Jahr waren alleine 300 Geflüchtete aus Köln bei ihr und ihren Kolleginnen zum Gespräch.
Spenden für Schulgeld
Um die Rückkehr ins Heimatland zu erleichtern, bieten der deutsche Staat und die EU verschiedene Prämien und Unterstützungsprogramme. Wer in den Iran und Irak zurückgeht, bekommt beispielsweise Flugtickets und 1000 Euro pro erwachsene Person, die Hälfte für ein Kind. „Offiziell ist das Geld eine Starthilfe, um in den ersten Wochen über die Runde zu kommen. Aber es soll auch ein Anreiz sein“, sagt Kohnen-Spitz.
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Für die Rückkehr in die Balkanländer gibt es 50 Euro pro Erwachsenen, 25 Euro pro Kind. „Was soll man für 25 Euro zuerst kaufen? Viele haben nichts, wenn sie zurückkehren“, sagt Ebrahimi. Besonders schwierig ist es, wenn es keine Verwandten gibt, bei denen die Rückkehrer erstmal unterkommen können.Ein neues Diakonie-Projekt sammelt gezielt Spenden für ausreisepflichtige Kinder. Sie werden laut Ebrahimi und Kohnen-Spitz in keinem der offiziellen Rückkehrprogramme in den Blick genommen. Zum Beispiel will die Diakonie in speziellen Fällen das Schulgeld oder Medikamente für chronisch kranke Kinder bezahlen. Nicht-lebensbedrohliche Erkrankungen wie Diabetes und Asthma sind nämlich kein Hindernis für eine Abschiebung.
In manchen Ländern übernimmt das Rückkehrprogramm die Kosten für Medikamente in den ersten drei Monaten. Allerdings nicht in Ländern wie Albanien, in denen es zwar offiziell ein funktionierendes Gesundheitssystem gibt – aber längst nicht für alle Menschen. „Der Zugang zu Arbeitsmarkt, Schulsystem und zur Gesundheitsversorgung für Sinti und Roma wird in diskriminierender Weise eingeschränkt“, schreibt die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl in einem Bericht über Albanien.
Die Erfahrungen haben auch die beiden Beraterinnen gemacht. „Die zurückgekehrten Familien müssen vor Ort dann doch etwas bezahlen, um beispielsweise Medikamente für die Kinder zu bekommen. Das können sich viele überhaupt nicht leisten.“ Eine kleine finanzielle Unterstützung kann da am Anfang helfen, im Heimatland besser zurechtzukommen. „Uns ist klar, dass das nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Ein Mini-Hoffnungsschimmer“, sagt Kohnen-Spitz. In einem anderen Projekt mit „wir helfen“ haben die Mitarbeiterinnen Schulrucksäcke mit Stiften und Heften für Kinder gepackt, um sie nicht mit leeren Händen ziehen zu lassen.
Ziel ist eine humane Ausreise
Eine „humane“ Ausreise ist das Ziel. Kinder leiden in der belastenden Situation besonders. Viele sind in Deutschland geboren und kennen ihr Heimatland gar nicht. Die Eltern sind von der drohenden Abschiebung selbst überfordert und können ihre Ängste nicht auffangen. Kohnen-Spitz versucht die Kinder und Jugendlichen in das Beratungsgespräch mit einzubeziehen. Sie fragt nach der schulischen Situation: In welche Klasse gehst du? Hast du schon einen Abschluss? Sie recherchiert über eine Datenbank, ob es am Zielort eine passende Schule gibt und wie man sich dort anmeldet.
Verabschiedung organisieren
„Wir appellieren außerdem, die Schule und den Klassenlehrer hier rechtzeitig zu informieren. So kann man zum Beispiel noch eine kleine Verabschiedung organisieren und das Kind ist nicht einfach plötzlich weg.“ Ebrahimi erlebt die Lehrer dabei oft sehr engagiert. Einige thematisieren die Ausreise im Unterricht und erklären die Hintergründe. „So werden die Kinder besser vorbereitet.“
So können Sie helfen
wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird
Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.
Bislang sind 1.328.993,90 Euro (Stand: 27.09.2022) eingegangen.Die Spendenkonten lauten:„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25
Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.
Auch unbegleitete minderjährige Geflüchtete bekommen bei Kohnen-Spitz und Ebrahimi Unterstützung. Vielen ist ihre rechtliche Lage nicht klar: Wenn sie keinen Ausbildungsplatz haben, droht ab dem 18. Geburtstag die Abschiebung. „Wenn sie vorher kommen, ist das oft ein Motivationsschub, noch eine Ausbildung zu beginnen“, erzählt Ebrahimi. Wenn die Ausreiseaufforderung allerdings schon da ist, ist es oft zu spät.
Auch Fälle von tatsächlich freiwilligen Ausreisen kommen vor, erzählen die Beraterinnen. Kohnen-Spitz erinnert sich an eine Familie, die vor zwei Jahren mit zwei kleinen Kindern nach Afghanistan zurückkehrte, weil der Schwager des Mannes gestorben war. Er musste dann zurück, um sich um seine Schwester zu kümmern. Als die islamistische Taliban vor circa einem Jahr die Macht ergriffen, hat Kohnen-Spitz an diese Familie gedacht.
Manchmal hat sie zu ehemaligen Klientinnen und Klienten noch Kontakt. Einige schaffen es tatsächlich, sich mit der Starthilfe wieder eine Existenz aufzubauen und melden sich regelmäßig. „Es gibt auch Erfolgsgeschichten“, sagt Kohnen-Spitz. Aber erst einmal reisen die Familien ins Ungewisse.