Fazit zur abgelaufenen „wir helfen“-Aktion„Die Kinder entwickeln Ängste“
Im Lockdown ist die Zahl der häuslichen Gewalttaten gegen Kinder gestiegen. Laut Bundeskriminalamt wurden 152 Kinder im vergangenen Jahr getötet, insgesamt gab es 5000 angezeigte Fälle von Misshandlungen, zehn Prozent mehr als noch 2019. Wie ist die Lage in Köln?
Die Nachfrage nach Beratungen und Kindertherapien ist gestiegen. Wir nehmen wahr, dass die Wartezeiten länger werden. Viele Eltern und Kinder bekommen gar keine Angebote oder nur mit starker zeitlicher Verzögerung. Das macht uns Sorgen.
Rechnen Sie in den kommenden Monaten mit steigenden Zahlen?
Das würde ich vermuten. Die Belastungen und Konflikte waren während des Lockdowns in Familien zum Teil sehr hoch. Das wissen wir aus Befragungen. Man sieht es auch daran, dass die Probleme von Kindern zunehmen. Sie entwickeln zunehmend Ängste, psychosomatische Beschwerden und Depressionen. Weil Schulen und Kitas wieder geöffnet sind, rechnen wir mit vermehrten Hinweisen auf Gewalt. Denn Kinder vertrauen sich nicht sofort Lehrerinnen und Lehrern sowie Erzieherinnen an. Aber wenn die Einrichtungen länger geöffnet sind, wird das vermehrt passieren.
Wo liegen die Ursachen für den Anstieg?
Pandemie und Lockdown haben die Kinder und ganze Familien stark belastet. Besonders betroffen sind Familien, die vorher schon überfordert waren. Das wissen wir ebenfalls aus Studien. Kleine Wohnungen und wenig Einkommen sorgen für viele Konflikte. Familien, deren Ressourcen besser waren, sind auch besser durchgekommen. Corona hat insofern die Probleme in den Familien verschärft.
Kommt Gewalt gegen Kinder in bestimmten Milieus häufiger vor?
Armut ist ein gewisser Risikofaktor, aber nicht der allein ausschlaggebende. Man darf arme Familien nicht unter Generalverdacht stellen. Die meisten Familien, die unter schwierigen Bedingungen leben, erziehen ihre Kinder gut und gefährden sie nicht. Wir haben eine gesellschaftliche Verpflichtung, für Familien gute Verhältnisse herzustellen. Wir fordern zum Beispiel ein Grundeinkommen für Kinder.
Was sind die Folgen von Gewalt gegen Kinder?
Kinder reagieren unterschiedlich. Das kann nach innen gehen oder nach außen. Sie reagieren zum Beispiel mit Rückzug in ihre eigene Welt. Manche wollen zu Hause bleiben und nicht mehr mit Freunden spielen. Andere werden selbst aggressiv, sind in Kitas, Schulen oder anderen Einrichtungen kaum noch zu kontrollieren. Sie sind unruhig und haben Aufmerksamkeitsstörungen. Im schlimmsten Fall, wenn sie massive Formen von Gewalt erleben, zeigen sich posttraumatische Belastungsstörungen.
Gewalt wird meistens als körperliche Gewalt verstanden. Es gibt aber auch psychische Gewalt und Vernachlässigung.
Bei der emotionalen Vernachlässigung bekommen die Kinder von den Eltern kein emotionales Feedback. Das betrifft besonders kleine Kinder, wir sprechen von Bindungsproblemen. Kinder werden beispielsweise nicht getröstet, wenn sie weinen. Bei einer körperlichen Vernachlässigung fehlen Kleidung, Essen oder ein angemessener Schlafplatz. Bei der psychischen Gewalt geht es um alle Formen von Abwertung: Kinder werden angeschrien, werden schlecht behandelt. Das hat in der Pandemie zugenommen. Die Eltern waren noch stärker unter Druck.
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Wie sollten Eltern reagieren, wenn sie merken, dass die Erziehung Sie überfordert?
Es ist wichtig, sich die Situation bewusst zu machen. Ich muss merken, hier war ich überfordert, hier habe ich unangemessen gehandelt. Manchmal reicht es, mit Freunden und Verwandten zu sprechen. Man muss überlegen, wie man es beim nächsten Mal anders machen kann. Wenn man die Probleme selbst nicht lösen kann, sollte man eine Beratung aufsuchen, zum Beispiel die Familienberatungsstelle. Dort haben die Familien einen rechtlichen Anspruch auf kostenlose und vertrauliche Hilfe. Eine andere Möglichkeit ist das bundesweite anonyme Elterntelefon. Und für Kinder gibt es das Kinder- und Jugendtelefon.
Stefan Hauschild ist Diplom-Psychologe, arbeitet seit 2007 in der Familienberatungsstelle des Kinderschutz-Zentrums in Köln und leitet sie seit drei Jahren.