Vor zwei Wochen starteten die Köln-Bäder und Partner eine großangelegte Schutz-Aktion, die auch auf bundesweites Interesse stößt. Kölner Kinder werden jetzt an der Weiterentwicklung beteiligt.
Ich sag's-KampagneGroße Resonanz auf Kölner Aktion gegen sexuelle Übergriffe in Bädern
Ein Teenager filmt ein Mädchen in der Umkleidekabine des Schwimmbades heimlich unter dem Türspalt hindurch +++ Zwei Mädchen ziehen einem Jungen vor den Augen aller Badegäste die Badehose herunter +++ Unter Wasser nähert sich ein Mann einer Jugendlichen, um sie am Po zu begrapschen +++ Ein Mann betritt, ohne anzuklopfen, die Gruppenumkleide der Mädchen +++ Zwei Jungen schubsen ein Mädchen gegen deren Willen ins Schwimmbecken ... Auf der Liegewiese, in den Umkleiden, in der Schlange vor der Rutsche, unter Wasser – sexualisierte Übergriffe gehören zum Alltag in Freibädern.
Was Mitarbeite rinnen und Mitarbeiter der Köln-Bäder täglich erleben, und was immer wieder Thema im Berufsalltag von Beraterinnen und Beratern der Kölner Fachberatungsstellen „Zartbitter“, „Kinderschutzbund“, „Lobby für Mädchen“, aber auch des Stadtsportbundes und der Polizei Köln ist, hat die Illustratorin Dorothee Wolters kindgerecht, sprich: in einfacher Bildsprache auf sieben Plakaten festgehalten.
Kölner Netzwerk setzt sich für den Schutz vor sexuellen Übergriffen in Bädern ein
Sie sind Teil der vor zwei Wochen im Agrippabad vorgestellten Kampagne „Ich sag's“, die Kinder und Jugendliche vor sexueller Belästigung in Kölns Schwimmbädern schützen — und ihnen dazu verhelfen soll, sich dort sicher zu fühlen und Spaß haben zu können. Auf Initiative von „Zartbitter“ wurde die Kampagne, zu der auch ein Schulungsprogramm für Mitarbeitende der Köln-Bäder zählt, von einem Netzwerk entwickelt, das in seiner Zusammensetzung einmalig ist in Köln.
„Dass Beratungsstellen mit öffentlichen Einrichtungen und der Polizei kooperieren, um ihre jeweiligen Stärken einzubringen und gemeinsam für das Thema sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum zu sensibilisieren, ist ein schönes Beispiel gelebter Vernetzung“, sagt die Geschäftsführerin des Stadtsportbundes, Christine Kupferer. Schließlich sei „Kooperation das A & O im Kinder- und Jugendschutz. Unsere Kampagne zeigt: Gemeinsam übernehmen wir Verantwortung, um junge Menschen präventiv und gezielt schützen zu können“, ergänzt Anna Kuss, Leiterin der Mädchenberatung bei „Lobby für Mädchen e. V.“
Opferschutz steht im Mittelpunkt der Kölner Kampagne
Mehr als 80 Sexualdelikte hat die Polizei Köln seit 2021 in Schwimmbädern des Stadtgebiets erfasst. „Doch diese Zahlen bilden die wahre Dimension des Phänomens nicht verlässlich ab. Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus, da die Hürde, diese Straftaten anzuzeigen gerade bei Kindern und Jugendlichen besonders hoch ist“, sagt Claudia Sobotta, Kriminalhauptkommissarin im Kommissariat Kriminalprävention und Opferschutz bei der Polizei Köln.
Viele junge Opfer würden schweigen, da sie traumatisiert seien, Angst hätten, verdrängen oder vergessen wollten, unsicher seien oder schlichtweg nicht wüssten, an wen sie sich wenden können.„Es geht weniger um Fallzahlen und Statistiken als darum, dass wir der Auffassung sind: Jedes Delikt ist eines zu viel, weshalb wir uns sehr gerne an dieser interdisziplinären, Präventionskampagne beteiligen, die den Fokus auf den Opferschutz legt und die Betroffenen dazu ermutigen soll, solche Übergriffe anzuzeigen und sich Unterstützung zu holen“, sagt Sobotta.
Diesen präventiven Ansatz, sprich: Kinder und Jugendliche darüber zu informieren, dass es sexualisierte Gewalt gibt, dass sie das Recht haben, diese zu melden und sich Hilfe zu holen, weiß auch Claudia Heckmann von den Köln-Bädern zu schätzen. „An dem guten Zuspruch zu den Schulungen sehen wir, wie wichtig das Thema für unsere Mitarbeitenden ist. Früher lag manches Mal der Fokus darauf, die Täter zu fassen, was auch wichtig ist. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nun verinnerlicht, wie wesentlich der Opferschutz ist. Sie sind dank der Schulungen sicherer geworden, Fälle sexueller Gewalt zu erkennen. Und sie haben klare Handlungsanweisungen an die Hand bekommen, wie sie reagieren, wenn sich ein Kind oder Jugendlicher Hilfe suchend an sie wendet.“
Mehr als 100 der 300 Mitarbeitenden aus den verschiedenen Bereichen des Bäderbetriebs – von der Kassiererin über das Reinigungspersonal bis hin zu den Sauna- und Schwimmmeistern – haben bereits an dem Schulungsprogramm teilgenommen, das die Fachberatungsstellen gemeinsam für die Kampagne entwickelt haben.
Das sagen Kölner Kinder zur „Ich sag's“-Kampagne gegen sexuelle Übergriffe in Bädern
„Wichtig war uns bei der Auswertung der Kampagne, die ja keine Eintagsfliege bleiben soll, sondern, die wir gemeinsam weiterentwickeln möchten, auch Kinder und Jugendliche zu beteiligen“, sagt Philipp Büscher. Darunter waren auch zehn- bis zwölfjährige Mitglieder eines Kölner Schwimmvereins, die anonym bleiben möchten. Sie haben die Motive der Plakate beurteilt, von eigenen Erfahrungen im Schwimmbad berichtet und Verbesserungsvorschläge eingebracht.
Das Fazit: Beinahe alle jungen Teilnehmenden haben schon einmal grenzverletzendes oder/und übergriffiges Verhalten erlebt oder beobachtet. Zwei Mädchen berichten etwa von einem Erlebnis im Schwimmbad, als zwei Jungs versucht hätten, ihnen unter Wasser an die Füße zu greifen und sie festzuhalten. „Wir haben uns dann an das Personal gewendet und die haben sich auf unsere Seite gestellt. Die Jungs haben eine Verwarnung vom Schwimmmeister bekommen, das fanden wir super.“
Kampagnen-Titel will deutlich machen: Hilfe holen ist kein Verrat
Die jungen Teilnehmenden sind sich einig, dass es wichtig sei, dass Erwachsene, besonders aber das Bad-Personal eingreifen und die Situation stoppen sollten, um den Täterinnen und Tätern deutlich zu machen: Bloßstellen, begrapschen und belästigen sind hier tabu! Die Schwimmvereinsmitglieder wünschten sich noch weitere Plakatmotive, etwa eine Situation, in der Kinder unter Wasser getaucht werden oder in der ein Kind, das auf dem Sprungturm steht und sich nicht traut, zu springen, aber von anderen dazu gezwungen wird.
Wichtig sei an der Kampagne ihrer Meinung nach aber vor allem, dass Kinder, die sich nicht trauen, Hilfe zu holen, dazu motiviert werden. „Ich würde mir Hilfe holen in so einer Situation, aber ich weiß, dass es Kinder gibt, die das nicht machen und für die sind diese Plakate besonders wichtig“, sagt eine jugendliche Teilnehmerin.
Kölner Kinder entwickeln neue Ideen für die Weiterentwicklung der Kampagne
„Ich finde es klasse, dass die jungen Schwimmerinnen neue Ideen für die Kampagne hatten, mit denen wir gut weiterarbeiten können. Es ist im Gespräch auch noch einmal deutlich geworden, dass Kinder und Jugendliche ihre Freunde und Freundinnen als wichtige Unterstützung brauchen, wenn sie sexuell belästigt werden. Wenn es dann Erwachsene in ihrer Nähe gibt, die sie vertrauensvoll ansprechen können, stehen die Chancen auf schnelle Hilfe wirklich gut“ resümiert Philipp Büscher die Ergebnisse der Befragung.
Und Esther Giesen vom Stadtsportbund Köln hat es gefreut, „zu sehen, dass die Botschaft der Kampagne für die anvisierte Zielgruppe verständlich ist und neue Ideen für typische Badsituationen, die man als Plakat entwerfen könnte, entstanden sind.“
Kampagne stößt über die Stadtgrenzen Kölns hinaus auf große Resonanz
Auch über die Stadtgrenzen hinaus stößt die Kampagne 14 Tage nach ihrem Start, bereits auf große Resonanz. „Wir sind gebeten worden, sie bei einem bundesweiten Netzwerktreffen von Fachberatungsstellen vorzustellen“, sagt Büscher. „Und wir haben auch schon Anfragen von Schwimmvereinen und privaten Schwimmbädern“, sagt Giesen, die sich wünscht, dass künftig jedes Kölner Grundschulkind vor dem ersten Schwimmunterricht eine „Ich sag's“-Infobroschüre in den Händen hält. Auch mithilfe der Kölner Schwimmvereine könnten noch mehr Kinder und Jugendliche erreicht – und für das Thema sensibilisiert werden.